Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersübergangsgeld. Verfügbarkeit. Erreichbarkeit. Aufenthaltsanordnung. Umzug, Mitteilung. Arbeitsamt, Zuständigkeit des. wesentliche Änderung. Ausgangsbescheid. Arbeitslosmeldung
Leitsatz (amtlich)
Empfänger von Altersübergangsgeld müssen für die Bundesanstalt für Arbeit erreichbar sein – sogenannte Residenzpflicht – (Fortführung von BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 16).
Normenkette
AFG § 249e Abs. 3, § 103 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 5, § 152 Abs. 3; SGB X § 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 11
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 12. Januar 1995 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Altersübergangsgeld (Alüg) für die Zeit vom 1. April 1992 bis 24. Mai 1993 und die damit verbundene Erstattungsforderung in Höhe von 21.401,70 DM (für die Zeit vom 1. April 1992 bis 8. Mai 1993).
Die 1935 geborene Klägerin erhielt ab 1. Oktober 1991 Alüg (Bescheid vom 18. September 1991). Am 31. März 1992 verzog sie von B.… S.…-P.… (Arbeitsamt ≪ArbA≫ Frankfurt/Oder) nach H.… (ArbA Halberstadt), ohne dies – so die Feststellung des Landessozialgerichts (LSG) für die Zeit vor Mai 1992 – bei einem der Arbeitsämter zu melden. Das ArbA Frankfurt/Oder stellte die Zahlung ab 9. Mai 1993 ein, nachdem es anläßlich der Überprüfung einer Beschäftigung der Klägerin vom Umzug erfahren hatte, und teilte dies der Klägerin mit. Das ArbA Halberstadt bewilligte ihr wiederum Alüg ab 25. Mai 1993, dem Tag der erneuten Arbeitslosmeldung.
Nach Anhörung der Klägerin hob das ArbA Frankfurt/Oder die Bewilligung des Alüg rückwirkend ab 1. April 1992 auf und forderte die Erstattung des in der Zeit vom 1. April 1992 bis 8. Mai 1993 gewährten Alüg in Höhe von 21.401,70 DM, zahlbar in monatlichen Raten von 250,00 DM (Bescheid vom 13. Oktober 1993; Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 1994).
Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid vom 13. Oktober 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids aufgehoben und darüber hinaus die Beklagte verurteilt, der Klägerin Alüg für die Zeit vom 9. bis 24. Mai 1993 nachzuzahlen (Urteil vom 12. Juli 1994). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 12. Januar 1995). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Leistungsbewilligung nach § 48 Abs 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) seien nicht gegeben. Die Anwendbarkeit der genannten Bestimmungen scheitere daran, daß durch den der Beklagten (zunächst) nicht mitgeteilten Umzug keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen eingetreten sei. Zwar sei die Klägerin wegen ihres Umzugs ab 1. April 1992 iS des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) für das ArbA nicht mehr erreichbar gewesen, wobei dahinstehen können, ob sie der Beklagten im Mai 1992 ihre neue Anschrift mitgeteilt habe. Der Anspruch der Klägerin auf Alüg sei jedoch nicht entfallen, weil für die Bezieher von Alüg das Erfordernis der Erreichbarkeit nicht gelten könne.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 249e Abs 3 Satz 1 AFG iVm § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG. Sie ist der Ansicht, nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes unterlägen Empfänger von Alüg in gleichem Maße wie Empfänger von Arbeitslosengeld (Alg) der sog Residenzpflicht, wenn auch unter den erleichterten Voraussetzungen des § 105c AFG. Die Residenzpflicht bei Alüg- und Alg-Empfängern nach § 105c AFG erfülle ua den Zweck, daß dem ArbA die Überprüfung erleichtert werde, ob die objektiven Voraussetzungen für den Bezug der Leistung weiter vorlägen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung der Sache begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Das LSG hat zwar § 249e Abs 3 Satz 1 AFG (hier idF, die § 249e durch das Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung vom 25. Juli 1991 – BGBl I 1606 – erhalten hat) iVm § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG (hier idF, die § 103 durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung vom 18. Dezember 1989 – BGBl I 2261 – erhalten hat) unrichtig angewandt. Für eine abschließende Entscheidung des Senats reichen die tatsächlichen Feststellungen des LSG jedoch nicht aus.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 1994, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Alüg (Erstbescheid vom 18. September 1991 für die Zeit ab 1. Oktober 1991 und weitere – vom LSG nicht festgestellte – Bescheide über die Höhe der Leistung für die Folgezeit) rückwirkend aufgehoben hat. Gegen diesen Aufhebungsbescheid kann sich die Klägerin mit der reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) wehren; denn die Kassation des angefochtenen Bescheids hätte im Regelfall zur Folge, daß der frühere Bewilligungsbescheid wiederhergestellt würde und die Beklagte ohne weiteres zur Zahlung des bereits bewilligten Alüg auch für die Zeit vom 9. bis 24. Mai 1993 verpflichtet wäre. Für eine zusätzlich erhobene Leistungsklage nach § 54 Abs 4 SGG bestünde dann uU kein Rechtsschutzbedürfnis (BSGE 48, 33, 34 = SozR 4100 § 44 Nr 19; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 24 mwN; BSG, Urteil vom 11. Januar 1990 – 7 RAr 54/88 –, DBlR Nr 3638a zu § 103 AFG; vgl aber zu § 54 Abs 5 SGG BSGE 76, 16, 17 f = SozR 3-1200 § 66 Nr 3). Ob Gegenstand des Rechtsstreits auch der Bescheid der Beklagten über die Wiederbewilligung von Alüg ist, weil dieser uU auch eine Ablehnung der Leistung für davorliegende Zeiten enthält, ist abhängig vom Inhalt dieses dem Senat nicht bekannten Verwaltungsakts. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG deshalb das Begehren der Klägerin ohne Rücksicht auf die Fassung ihrer Anträge (§ 123 SGG) näher zu prüfen und zu würdigen und ggf den Tenor der erstinstanzlichen Entscheidung abzuändern bzw zu berichtigen haben.
Die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 13. Oktober 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Januar 1994 mißt sich – jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen des LSG – an § 48 SGB X, ggf iVm § 152 Abs 3 AFG (idF des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 – BGBl I 2353). Nach § 48 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt (Satz 1). Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Satz 2 Nr 2). Die Bestimmung des § 152 Abs 3 AFG modifiziert § 48 SGB X dahin, daß die “Soll”-Regelung in § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X für den Bereich des AFG durch eine “Ist”-Regelung ersetzt wird. Dies bedeutet, daß auch in sog atypischen Fällen die Pflicht zur Ermessensausübung der Beklagten entfällt. Ob der am 1. Januar 1994 in Kraft getretene § 152 Abs 3 AFG zur Anwendung kommt, wenn der Bescheid noch im Jahre 1993, der Widerspruchsbescheid hingegen im Jahre 1994 ergangen ist, kann im vorliegenden Fall noch offenbleiben (vgl aber zur Anwendung der Vorschrift auf vor dem 1. Januar 1994 liegende Sachverhalte bei nach dem 31. Dezember 1993 ergangenem Bescheid das Senatsurteil vom 28. November 1996 – 7 RAr 56/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen; vgl insoweit auch die nicht näher gründete Anwendung der Vorschrift in den Urteilen des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ vom 1. August 1996 – 11 RAr 9/96 und 11 RAr 15/96 –, unveröffentlicht).
Schon die Voraussetzungen des § 48 SGB X sind nämlich vom Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des LSG nicht überprüfbar. Zwar erfolgte die Bewilligung von Alüg zugunsten der Klägerin ab 1. Oktober 1991 durch einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (vgl hierzu: BSGE 66, 134, 136 = SozR 3-4100 § 138 Nr 1; BSG, Urteil vom 14. März 1996 – 7 RAr 38/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Frage nach einer wesentlichen Änderung läßt sich jedoch nicht beantworten. Die wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die bei Erlaß des Verwaltungsakts vorgelegen haben, könnte jedenfalls darin zu sehen sein, daß die Klägerin ab 1. April 1992 der Arbeitsvermittlung nicht mehr zur Verfügung stand. Anspruch auf Alüg hat nämlich nach § 249e Abs 2 Nr 2 AFG nur der, der die in den §§ 101 bis 103 AFG genannten Voraussetzungen allein deshalb nicht erfüllt, weil er nicht bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann und darf, sowie an zumutbaren beruflichen Bildungsmaßnahmen teilzunehmen (§ 103 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG). Die Vergünstigung des § 249e Abs 2 Nr 2 AFG bezieht sich damit schon vom Wortlaut her nur auf die subjektive Seite der Verfügbarkeit, nämlich die Arbeitsbereitschaft iS des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 2 AFG (BSG, Urteil vom 14. März 1996 – 7 RAr 38/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Am Vorliegen der objektiven Merkmale der Verfügbarkeit, also der Verfügbarkeit iS des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 1 AFG und der Erreichbarkeit iS des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG, muß aber auch nach Sinn und Zweck der Regelung unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung und der Gesetzessystematik für den Anspruch auf Alüg festgehalten werden.
Nach § 249e Abs 3 Satz 1 AFG sind auf das Alüg die Vorschriften über das Alg und für Empfänger dieser Leistungen ua mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, daß die Beklagte in der Anordnung nach § 103 Abs 5 AFG Regelungen treffen kann, die die Besonderheiten des Alüg berücksichtigen (Nr 4 Satz 1). Bis zum Inkrafttreten einer solchen Regelung gelten indes für das Alüg die Regelungen entsprechend, die die Besonderheiten des § 105c AFG berücksichtigen (Nr 4 Satz 2). Da die Beklagte von der Ermächtigung bisher keinen Gebrauch gemacht hat, ist die Voraussetzung der Erreichbarkeit somit in gleicher Weise zu prüfen wie in den Fällen des § 105c AFG.
Zu dieser Vorschrift, die eine dem § 249e Abs 2 Nr 2 AFG entsprechende Vergünstigung beim Alg für ältere Arbeitslose vorsieht, hat der Senat bereits entschieden, daß auf die Anspruchsvoraussetzung der Erreichbarkeit nicht verzichtet werden kann (BSG, Urteil vom 14. September 1995 – 7 RAr 14/95 –, unveröffentlicht; Urteil vom 14. März 1996 – 7 RAr 38/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Nichts anderes gilt für das Alüg, wie der Senat ebenfalls schon ausgeführt hat (BSG, Urteil vom 14. März 1996 – 7 RAr 38/95).
Dieses Ergebnis widerspricht entgegen der Ansicht des LSG nicht Sinn und Zweck der Alüg-Regelungen. Das Alüg wurde zwar – in Ablösung der durch die Verordnung vom 8. Februar 1990 (GBl I 42) eingeführten Vorruhestandsregelung der DDR – durch Art 30 Abs 2 des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (EinigVtr) als neue Leistungsart eingeführt und sollte der mit der Umstellung auf marktwirtschaftliche Gegebenheiten in den neuen Bundesländern verbundenen schwierigen Arbeitsmarktlage speziell für ältere Arbeitnehmer unter sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragen (BT-Drucks 11/7760 S 370). Es sollte jedoch gemäß Art 30 Abs 2 Satz 1 EinigVtr – ähnlich wie das Alg nach § 105c AFG – die Zeit bis zum frühestmöglichen Bezug einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung überbrücken und wird dabei, wie Art 30 Abs 2 Satz 3 EinigVtr vorsieht, von der Beklagten in Anlehnung an die Regelungen des Alg, insbesondere des § 105c AFG, gewährt (vgl: BSGE 73, 195, 199 = SozR 3-4100 § 249e Nr 3; BSG SozR 3-4100 § 249e Nr 5). Diese ausdrückliche Bezugnahme auf § 105c AFG, der auch § 249e Abs 2 Nr 2 und Abs 3 Nr 4 AFG Rechnung trägt, verdeutlicht die Ähnlichkeit der beiden Leistungen. Für die vom LSG vertretene Rechtsmeinung, Alüg sollten abweichend vom Alg nur Personen erhalten, die bereits auf Dauer aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden seien und diesem nicht mehr zur Verfügung stünden, finden sich keine Anhaltspunkte.
Wie beim Alg gemäß § 105c AFG kann deshalb ein Verzicht auf das Merkmal der Erreichbarkeit iS des § 103 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG auch nicht damit begründet werden, daß die sog Residenzpflicht ausschließlich dem Zweck der sofortigen Vermittelbarkeit des Arbeitslosen diene und dieser Zweck bei Alüg-Empfängern wegen der nur eingeschränkten subjektiven Verfügbarkeit nicht verfolgt werde. Denn diese Argumentation übersieht, daß die Residenzpflicht auch weiteren Zwecken dienen soll. So hat bereits der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung im Zusammenhang mit der Einführung des § 105c AFG betont, daß an der Residenzpflicht für den von dieser Regelung erfaßten Personenkreis festgehalten werden soll. Damit sollte es dem ArbA erleichtert werden, bei gegebenem Anlaß zu prüfen, ob die objektiven Voraussetzungen für den Bezug von Alg (zB Arbeitslosigkeit oder Anrechnung von Einkommen nach § 115 AFG) weiter vorliegen (BT-Drucks 10/4483 S 10; BSG, Urteil vom 14. März 1996 – 7 RAr 38/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Diese Überlegungen gelten in gleicher Weise für den Anspruch auf Alüg.
Auch die vom LSG angeführten verfassungsrechtlichen Gründe tragen seine Entscheidung nicht. Das Grundrecht auf Freizügigkeit (Art 11 Grundgesetz ≪GG≫) ist nicht einmal in seinem Schutzbereich berührt (vgl: BSGE 58, 104, 108 f = SozR 4100 § 103 Nr 36; BSG, Urteil vom 17. März 1981 – 7 RAr 20/80 –, DBlR Nr 2529 zu § 151 AFG), weil die Klägerin Anspruch auf Alüg unabhängig davon hat, wo sie ihren Wohnsitz wählt; sie muß nur für die Beklagte erreichbar sein. Art 2 Abs 1 GG ist ebenfalls nicht verletzt, weil die in § 103 AFG geregelte Anspruchsvoraussetzung der Erreichbarkeit eine zulässige Schrankenregelung iS dieses Grundrechts ist (vgl BSG, Urteil vom 17. März 1981, aaO). Insoweit verstößt das Erfordernis der Erreichbarkeit nicht gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbotes (Art 20 Abs 3 GG), wie der Senat ebenfalls bereits entschieden hat (Urteil vom 14. März 1996 – 7 RAr 38/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Schließlich ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, daß die für die Beurteilung der Erreichbarkeit gemäß § 249 Abs 3 Nr 4 Satz 1 AFG heranzuziehende Anordnung des Verwaltungsrats der BA über den Aufenthalt von Arbeitslosen während des Leistungsbezugs – AufenthaltsAnO – (vom 3. Oktober 1979 – ANBA S 1388) keine Sonderregelungen für Alüg-Empfänger enthält. Denkbar wäre allenfalls ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG, wenn Alüg-Empfänger darin mit Empfängern von Alg nach § 105c AFG willkürlich gleichbehandelt würden. Das würde aber voraussetzen, daß zwischen beiden Leistungsarten Unterschiede von solchem Gewicht bestünden, daß für Alüg-Bezieher in der AnO zwingend eine andere Regelung hätte getroffen werden müssen. Angesichts der bereits beschriebenen Ähnlichkeit der beiden Leistungsarten drängen sich derartige Differenzierungsgründe nicht auf; vielmehr bedürfte eine Ungleichbehandlung einer besonderen Rechtfertigung, um nicht ihrerseits zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung von Alg-Empfängern zu führen.
Ob die Voraussetzungen der Erreichbarkeit nach der AufenthaltsAnO im einzelnen vorliegen (vgl hierzu BSG, Urteil vom 14. März 1996 – 7 RAr 38/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen), hat das LSG nicht geprüft und insoweit auch keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen getroffen. Das LSG hat vielmehr lediglich aus der Tatsache, daß am 31. März 1992 ein Umzug stattgefunden hat, rechtlich auf eine fehlende Erreichbarkeit der Klägerin geschlossen (vgl zum Problem der Erreichbarkeit bei Umzug: BSGE 58, 104 ff = SozR 4100 § 103 Nr 36; BSGE 66, 103 ff = SozR 4100 § 103 Nr 47; BSG, Urteil vom 11. Januar 1990 – 7 RAr 54/88 –, DBlR Nr 3638a zu § 103 AFG; Urteil vom 25. April 1990 – 7 RAr 20/89 –, DBlR Nr 3674a zu § 48 SGB X; Urteil vom 29. April 1992 – 7 RAr 4/91 –, DBlR Nr 3928a zu § 48 SGB X; Urteil vom 14. März 1996 – 7 RAr 38/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) und hat sogar offengelassen, ob die Klägerin im Mai 1992 ihre neue Wohnanschrift mitgeteilt hat (vgl zu den Wirkungen einer solchen Mitteilung insbesondere: BSGE 66, 103, 105 ff = SozR 4100 § 103 Nr 47). Die Verlegung des Wohnsitzes allein führt aber noch nicht zu einer wesentlichen Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X; vielmehr sind die Voraussetzungen der AufenthaltsAnO im einzelnen zu prüfen. Insbesondere setzt § 1 AufenthaltsAnO voraus, daß der Arbeitslose unter der von ihm benannten, für die Zuständigkeit des ArbA maßgeblichen Anschrift tatsächlich nicht erreichbar ist. Selbst wenn durch einen Umzug ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit für die Leistungszahlung der Beklagten eingetreten sein sollte (vgl hierzu §§ 129, 130 AFG iVm dem DBl-Sammelerlaß-Alg der Beklagten, Stand Dezember 1994, Ziff 2.2 zu § 129 AFG und BSGE 58, 104 ff = SozR 4100 § 103 Nr 36), führte dies allein noch nicht zum Wegfall des Anspruchs. Insoweit gilt für die fehlende Meldung des Umzugs nichts anderes als für die fehlende Arbeitslosmeldung nach einer eventuellen Zuständigkeitsänderung gemäß § 131 AFG (vgl: Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG, Stand September 1996 – Anm zu § 131; Gagel, AFG, Stand Januar 1996, RdNrn 1 ff zu § 131; Niesel, AFG, RdNr 4 zu § 131; Knigge/Ketelsen/Marschall/Wissing, Komm zum AFG, 3. Aufl Stand 7. Ergänzungslieferung 1996, Anm 3 zu § 131).
Neben dem vom LSG noch zu überprüfenden Wegfall der Erreichbarkeit der Klägerin könnte eine wesentliche Änderung auch im Hinblick auf die Aufnahme einer Beschäftigung (Wegfall der Arbeitslosigkeit iS des § 101 AFG) oder der Anrechnung von erzieltem Einkommen (§ 115 AFG) in Betracht kommen. Ist eine wesentliche Änderung zu bejahen, kommt es für die Zulässigkeit einer rückwirkenden Aufhebung darauf an, ob die Klägerin einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für sie nachteiliger Änderungen zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X).
War die Klägerin infolge des Umzugs tatsächlich nicht mehr erreichbar gewesen, wäre sie zur Mitteilung ihrer neuen Anschrift verpflichtet gewesen (vgl nur BSG, Urteil vom 14. März 1996 – 7 RAr 38/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Hierzu hat das LSG nur festgestellt, die Klägerin habe vor Mai 1992 dem ArbA keine Mitteilung über den Umzug gemacht; offengeblieben ist, ob im Mai oder später eine solche Mitteilung erfolgt ist. Sollte dies der Fall sein, wäre ggf zu prüfen, wie sich eine verspätete Mitteilung im Rahmen des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X auswirkt (vgl Schroeder-Printzen ua, SGB X, 3. Aufl 1996, RdNr 23 zu § 48 mwN), wenn die Mitteilung des neuen Wohnorts nicht bereits zur Wiederherstellung der Verfügbarkeit führt. Bei seiner Entscheidung wird das LSG zudem beachten müssen, daß im Rahmen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist (vgl nur BSG, Urteile vom 23. Juli 1996 – 7 RAr 104/95 und 7 RAr 14/96 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Soweit die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB X zu verneinen sind, ist an eine Prüfung auch der Voraussetzung des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X und ggf der Nr 3 (bei Hinzuverdienst) zu denken.
Das LSG wird des weiteren auf die Jahresfrist des § 48 Abs 4 Satz 1 SGB X iVm § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X und darauf zu achten haben, ob für den streitigen Aufhebungszeitraum nicht anstelle von § 48 SGB X § 45 SGB X zur Anwendung kommt. Diese Frage könnte sich stellen, wenn die Beklagte nach Eintritt der maßgeblichen Änderung durch einen oder mehrere weitere Bescheide eine Neufeststellung der Leistungsbewilligung vorgenommen hätte. Zu einer solchen Prüfung besteht nach Aktenlage Anlaß. Die insoweit fehlenden Feststellungen hat das LSG nachzuholen.
Sollte es sich bei eventuellen Änderungsbescheiden (unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts) um typische Dynamisierungsbescheide handeln, fände allerdings weiterhin § 48 SGB X Anwendung. In einem solchen Fall ist für die Frage der wesentlichen Änderung der Verhältnisse auf den Ausgangs- bzw Grundlagenbescheid, hier also auf den Bewilligungsbescheid vom 18. September 1991, zurückzugreifen (vgl: BSGE 63, 266, 267 = SozR 3642 § 9 Nr 3; BSG SozR 1300 § 45 Nr 37; BSG, Urteil vom 26. Oktober 1989 – 9 RV 14/88 –, SozSich 1990, 231; Urteil vom 20. Februar 1991 – 11 RAr 67/89 –, DBlR Nr 3841a zu § 48 SGB X; Urteil vom 23. Juli 1996 – 7 RAr 104/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen; Urteil vom 23. Juli 1996 – 7 RAr 112/95 –, unveröffentlicht; Urteil vom 15. August 1996 – 9 RV 22/95 –, zur Veröffentlichung vorgesehen). Das gleiche liegt nahe, soweit Änderungsbescheide allein in Anwendung neuer Leistungsverordnungen ergangen sind (BSG, Urteil vom 23. Juli 1996 – 7 RAr 112/95 –, unveröffentlicht). Das LSG wird schließlich für den Fall, daß der Klage nicht oder nur teilweise stattzugeben wäre, abzuklären haben, ob sich die Klägerin auch gegen die Höhe der im Widerspruchsbescheid eingeräumten Raten wendet und hierüber sachlich zu befinden haben; das LSG wird außerdem über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 955670 |
SozSi 1997, 280 |