Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragserhebung in der gesetzlichen Unfallversicherung: Gefahrtarif. Gewerbezweigbildung. Zusammenfassung aller Schulen und schulischen Einrichtungen in einem Gewerbezweig. Kein Anspruch einer Freien Waldorfschule auf Verselbstständigung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Risikobewertung in der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem Gewerbezweigprinzip ist im Grundsatz mit den Zielvorstellungen und Wertentscheidungen des Gesetzes und der Verfassung vereinbar (st.Rspr.; vgl. BSGE 95, 47).
2. Innerhalb eines jeden Gewerbezweigs gibt es unterschiedliche Tätigkeiten mit unterschiedlichen Gefährdungsrisiken. Diese Risikomischung auf der Ebene des jeweiligen Gewerbezweigs ist eine Konsequenz eines Gewerbezweigtarifs und damit eine Entscheidung, die der Selbstverwaltung des Unfallversicherungsträgers vorbehalten ist (BSGE 91, 128).
3. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft alle Schulen und schulischen Einrichtungen ohne Differenzierung zwischen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen in einem einzigen Gewerbezweig zusammengefasst hat. Zwar bestehen zwischen den verschiedenen Bildungsstätten, wie den allgemeinbildenden Schulen mit ihrem weitgehend theoretischen Bildungsangebot und den berufsbildenden Schulen mit einer vorwiegend berufspraktischen Ausrichtung strukturelle Unterschiede, die sich auch in unterschiedlichen Gefährdungsrisiken niederschlagen. Derartige Unterschiede können aber nur dann Anlass für eine Aufgliederung in mehrere selbstständige Gewerbezweige sein, wenn die jeweiligen Betriebe und Einrichtungen zusammengenommen eine Größenordnung erreichen, bei der sich eine gewerbetypische Unfalllast nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechnen lässt. Soweit das nicht möglich ist, müssen die unterschiedlichen Gefährdungsrisiken bei den zugehörigen Unternehmensarten als Folge der bei der Tarifbildung unvermeidlichen Typisierung hingenommen werden.
Normenkette
SGB VII § 219 Abs. 1 S. 1, § 159 Abs. 1 S. 1, § 157 Abs. 2 S. 1, Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten wegen der Veranlagung des Klägers zu dem ab 1. Januar 1998 geltenden Gefahrtarif der Beklagten (Gefahrtarif 1998).
Der Kläger, ein eingetragener Verein, ist Träger einer staatlich anerkannten Privatschule in S…, die als Freie Waldorfschule betrieben wird und eine Schulbildung mit der Ausbildungsdauer – je nach Abschluss – von 10 bis 13 Jahren im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht vermittelt.
Die Beklagte veranlagte den Kläger erstmals im Jahre 1990 nach dem damals gültigen Gefahrtarif unter der Unternehmensart “Schulen und schulische Einrichtungen” mit der Gefahrklasse 1,80 (Veranlagungsbescheid vom 13. Juli 1990) und unter dem ab 1. Januar 1995 gültigen Gefahrtarif wiederum unter dieser Unternehmensart mit der Gefahrklasse 1,60 (Veranlagungsbescheid vom 29. September 1995). Mit Wirkung vom 1. Januar 1998 veranlagte sie den Kläger nach dem von ihrer Vertreterversammlung am 11. Dezember 1997 beschlossenen und vom Bundesversicherungsamt am 15. Dezember 1997 genehmigten Gefahrtarif 1998 unter der Unternehmensart “Schule, schulische Einrichtung” zur Gefahrtarifstelle 07 mit der Gefahrklasse 1,63 (Veranlagungsbescheid vom 31. März 1998). Dieser Gefahrtarif sah ua – soweit im vorliegenden Fall von Interesse – folgende Gefahrtarifstellen vor:
Gefahrtarifstelle |
Unternehmensart |
Gefahrklasse |
07 |
Schule, schulische Einrichtung |
1,63 |
32 |
Organisation zur Betreuung, Unterstützung im sozialen Bereich – soweit diese Unternehmensart nicht zur BG 36 gehört |
2,05 |
53 |
Sonstige Unternehmensarten: ua Schule für Sport, Gymnastik, Ballett, Tanz … |
1,05 |
Der vom Kläger gegen den Veranlagungsbescheid erhobene Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 2000).
Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die Klage, die sich sowohl gegen den letzten Veranlagungsbescheid als auch gegen die inzwischen für die Beitragsjahre 1998 bis 2000 ergangenen Beitragsbescheide der Beklagten richtete, abgewiesen (Urteil vom 14. Januar 2003).
Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung, die der Kläger auf die Aufhebung des Veranlagungsbescheides vom 31. März 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2000 beschränkt hatte, zurückgewiesen (Urteil vom 24. Januar 2005). Die Gliederung des Gefahrtarifes 1998 mit der Gefahrtarifstelle 07 für die Unternehmensart “Schule, schulische Einrichtung” sei rechtlich nicht zu beanstanden. Bei einem nach Gewerbezweigen gegliederten Gefahrtarif seien Gewerbezweige mit annähernd gleichem Risiko zu Tarifstellen zusammenzufassen. Die Unternehmensart “Schule, schulische Einrichtung” sei eine zulässigerweise vorgenommene Umschreibung eines Gewerbezweiges. Die Beklagte stelle auf den Unternehmensgegenstand der als Schule oder schulische Einrichtung bezeichneten Institution, die Wissensvermittlung, ab. Die von der Beklagten angegebenen Abgrenzungskriterien ließen nicht erkennen, dass unter Überschreitung des dem Satzungsgeber zustehenden Gestaltungs- und Entscheidungsermessens gegen höherrangiges Recht verstoßen werde. So hätten die vom Kläger gerügten widersprüchlichen Überschneidungen mit Unternehmen, die der Gefahrtarifstelle 53 zugeordnet seien, einen sachlichen Grund. Die von der Beklagten zur Gefahrtarifstelle 32 veranlagten Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften unterschieden sich von den schulischen Einrichtungen dahingehend, dass sie auf die Verwirklichung sozial rehabilitativer Zwecke und nicht auf Fort- und Weiterbildung gerichtet seien.
Es sei nicht zu beanstanden, dass allgemeinbildende und berufsbildende Schulen in einer Gefahrtarifstelle zusammengefasst seien. Selbst wenn Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die Beschäftigung in letzteren risikoreicher sei, zwinge dies nicht zur Differenzierung, da jedem Gewerbezweig eine Risikomischung immanent sei. Die nach Ansicht des Klägers zu berücksichtigende erhöhte Unfallzahl im Beitrittsgebiet und die Ausweitung beruflicher Aus- und Fortbildung, insbesondere durch Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit, belege keinen grundlegenden, eine Korrektur des bisherigen Gewerbezweiges erforderlich machenden Strukturwandel. Auch die Berechnung der Gefahrklasse der Gefahrtarifstelle 07 sei nicht zu beanstanden. Die Rüge, die Berücksichtigung der DDR-Altlasten und die Vereinbarung mit dem DFB führe zu einer übermäßigen Belastung durch höhere Beiträge, betreffe die Höhe des Beitragsfußes und wirke sich somit nur auf die Richtigkeit der – nicht mehr angefochtenen – Beitragsbescheide aus.
Mit seiner – vom LSG zugelassenen – Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 157 Abs 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII). Die Gefahrtarifstelle 07 des Gefahrtarifes 1998 fasse zwar Unternehmen derselben Branche zusammen; diese wiesen aber sehr unterschiedliche Gefährdungsrisiken auf, so dass nicht mehr von einer an Gefährdungsrisiken orientierten Gefahrengemeinschaft gesprochen werden könne. Allgemeinbildende und berufsbildende Schulen wiesen in der Art ihrer Tätigkeit so große Unterschiede auf, dass sie nicht in einem Gewerbezweig zusammengefasst werden dürften: Während allgemeinbildende Schulen ihre Schüler über einen langen Zeitraum hinweg allgemein auf das Leben vorbereiteten, vermittelten berufsbildende Schulen in einem Zeitraum von in der Regel drei Jahren Spezialkenntnisse, insbesondere handwerkliche und sonstige Fertigkeiten. Die allgemeinbildenden Schulen seien von ihrem Erscheinungsbild und ihren Tätigkeitsmerkmalen her viel eher mit den in der Tarifstelle 53 erfassten Schulen für Sport, Gymnastik, Ballett und Tanz verwandt. Beide Schularten wiesen zudem sehr unterschiedliche Gefährdungsrisiken auf, die aus der drastischen Erhöhung der Gefahrklasse der zugrundeliegenden Gefahrtarifstelle zu ersehen seien. Diese sei auf exorbitant erhöhte Unfallzahlen und Entschädigungsleistungen im Beitrittsgebiet seit 1993 zurückzuführen, die Folge der damals aus arbeitsmarktpolitischen Gründen eingeleiteten Vielzahl von Umschulungsmaßnahmen der damaligen Bundesanstalt für Arbeit seien.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Januar 2005 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. Januar 2003 sowie den Veranlagungsbescheid der Beklagten vom 31. März 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Der Veranlagungsbescheid vom 31. März 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 2000, der allein Gegenstand des Verfahrens ist, ist rechtmäßig, wie SG und LSG zutreffend entschieden haben.
Maßgebliche Rechtsgrundlage zur Beurteilung der Beitragserhebung in der gesetzlichen Unfallversicherung ist seit 1. Januar 1997 das SGB VII (§ 219 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Rechtsgrundlage für den Veranlagungsbescheid ist § 159 Abs 1 Satz 1 SGB VII, nach dem der Unfallversicherungsträger die Unternehmen für die Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu Gefahrklassen veranlagt. Die in der gesetzlichen Unfallversicherung allein von den Unternehmern aufzubringenden Beiträge berechnen sich nach dem Finanzbedarf der Berufsgenossenschaften (BG), den Arbeitsentgelten der Versicherten und dem in der Gefahrklasse zum Ausdruck kommenden Grad der Unfallgefahr in den Unternehmen (§ 153 Abs 1, § 157 Abs 1 Satz 2 SGB VII). Um eine Abstufung der Beiträge nach dem Grad der Unfallgefahr zu ermöglichen, muss jede BG einen Gefahrtarif aufstellen.
Dieser Gefahrtarif ist vom Unfallversicherungsträger als autonomes Recht festzusetzen, und in ihm sind zur Abstufung der Beiträge Gefahrklassen festzustellen (§ 157 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB VII). Er ist nach Gefahrtarifstellen zu gliedern, denen jeweils eine aus dem Verhältnis der gezahlten Leistungen zu den Arbeitsentgelten errechnete Gefahrklasse zugeordnet ist (§ 157 Abs 2 Satz 1 und Abs 3 SGB VII). In den Tarifstellen sind Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs zu bilden (§ 157 Abs 2 Satz 1 SGB VII).
Hierbei können die Kriterien, die unter Geltung der Reichsversicherungsordnung (RVO) aufgestellt worden sind, herangezogen werden, da bei der Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch als SGB VII im Wesentlichen das zuvor geltende Recht der RVO übernommen worden ist und auch die neu eingeführte Vorschrift des § 157 Abs 2 Satz 1 SGB VII über die Bildung der Gefahrtarifstellen lediglich der bisherigen Praxis der BGen Rechnung trägt (vgl Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung, BT-Drucks 13/2204, S 73, 110 ff; BSG SozR 4-2700 § 162 Nr 1 RdNr 5).
Angesichts dieser vom Gesetzgeber gewollten Kontinuität behält die bisherige Rechtsprechung zur Bildung von Gefahrtarifen nach der RVO auch für das geltende Recht ihre Bedeutung. Es ist daher davon auszugehen, dass Gefahrtarife durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit unbeschadet der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde (vgl § 158 Abs 1 SGB VII) überprüfbar sind, als autonom gesetztes objektives Recht (vgl § 157 SGB VII, §§ 33 ff des Vierten Buches Sozialgesetzbuch) allerdings nur daraufhin, ob sie mit dem Gesetz, das die Ermächtigungsgrundlage beinhaltet und mit sonstigem höherrangigen Recht vereinbar sind. Den Unfallversicherungsträgern ist als ihre Angelegenheiten selbst regelnden öffentlich-rechtlichen Körperschaften ein Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum eingeräumt, soweit sie innerhalb der ihnen erteilten gesetzlichen Ermächtigung Recht setzen (BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 12 mwN). Die Prüfung, ob der Gefahrtarif die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Regelung trifft, ist nicht Aufgabe der Gerichte; die Abwägung zwischen mehreren, jeweils für die eine oder andere Regelung bei der Gestaltung des Gefahrtarifs wesentlichen Gesichtspunkte und die daraus folgende Entscheidung obliegt vielmehr den Unfallversicherungsträgern. Bei komplexen und sich sprunghaft entwickelnden Sachverhalten ist ihnen ein zeitlicher Anpassungsspielraum zuzubilligen, um weitere Erfahrungen zu sammeln, Klarheit zu gewinnen und Mängeln in den Regelungen abzuhelfen (BSG aaO). Die Bildung des Gefahrtarifs muss allerdings auf gesichertem Zahlenmaterial fußen und versicherungsmathematischen Grundsätzen entsprechen. Denn Veranlagungs- und Beitragsbescheide sind eingreifende Verwaltungsakte, die nur auf einer klaren rechtlichen und tatsächlichen Grundlage erlassen werden dürfen (BSG aaO).
Die Gliederung des Gefahrtarifes 1998 der Beklagten mit einer einzigen Gefahrtarifstelle für Schulen und schulische Einrichtungen (Gefahrtarifstelle 07) ist nach diesen Maßstäben rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat in diesem Gefahrtarif als Anknüpfungspunkt für die Bildung der Gefahrtarifstellen die Gewerbezweige gewählt. Ein solcher Gewerbezweigtarif basiert auf der Erkenntnis, dass technologisch artverwandte Unternehmen gleiche oder ähnliche Unfallrisiken aufweisen und der Gewerbezweig deshalb eine geeignete Grundlage für die Bildung möglichst homogener Gefahrgemeinschaften darstellt. Die Risikobewertung nach dem Gewerbezweigprinzip ist damit im Grundsatz mit den Zielvorstellungen und Wertentscheidungen des Gesetzes und der Verfassung vereinbar, wie der Senat in zahlreichen Entscheidungen zur Rechtslage nach der RVO und nunmehr auch nach dem SGB VII entschieden hat (BSGE 95, 47 = SozR 4-2700 § 157 Nr 2, jeweils RdNr 13).
Dies setzt voraus, dass eine sachgerechte Abgrenzung der Gewerbezweige und ihre korrekte Zuordnung zu den Gefahrtarifstellen stattgefunden hat, denn die Veranlagung nach Gefahrklassen soll eine möglichst gerechte Verteilung der Unfalllast auf die Beitragspflichtigen gewährleisten (Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ SozR 2200 § 734 Nr 2). Da ein Gewerbezweigtarif seine Rechtfertigung aus der Gleichartigkeit der Unfallrisiken und Präventionserfordernisse bei technologisch verwandten Betrieben bezieht, kommt es für die Bildung der Gewerbezweige und die Zuordnung zu ihnen entscheidend auf die in der jeweiligen Unternehmensart anzutreffenden Arbeitsbedingungen an. Dabei darf sich die Betrachtung nicht auf einzelne für oder gegen eine Vergleichbarkeit sprechende Gesichtspunkte beschränken; sie muss vielmehr alle das Gefährdungsrisiko beeinflussenden Faktoren einbeziehen (BSGE 27, 237, 241 ff = SozR Nr 1 zu § 730 RVO). Angesichts der Entwicklung der modernen Arbeitswelt zu einer Dienstleistungsgesellschaft verlieren zwar klassische technologische Abgrenzungskriterien immer mehr an Bedeutung; dennoch bleiben für den Zuschnitt der Gewerbezweige auch unter den veränderten Bedingungen der heutigen Berufs- und Arbeitswelt in erster Linie Art und Gegenstand des Unternehmens maßgebend, da sie den zuverlässigsten Aufschluss über die Unfallgefahren in den Unternehmen geben (BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 15).
Namentlich bei heterogen zusammengesetzten Gewerbezweigen muss aber geprüft werden, ob die nach technologischen Gesichtspunkten vorgenommene Zuordnung und die daran geknüpfte Vermutung einer gemeinsamen “gewerbetypischen” Unfallgefahr die tatsächliche Risikosituation in den betroffenen Unternehmen zutreffend widerspiegelt. Ergibt sich, dass bei einer bestimmten Art von Unternehmen ein vom Durchschnitt des Gewerbezweiges erheblich abweichendes Gefährdungsrisiko besteht, kann daraus ein Anspruch auf Verselbstständigung als eigener Gewerbezweig oder auf Zuteilung zu einem anderen, “passenderen” Gewerbezweig folgen (dazu nochmals BSGE 27, 237, 241 ff = SozR Nr 1 zu § 730 RVO; ferner: Urteil des Senats vom 22. September 1988 – 2 RU 2/88 = HV-INFO 1988, 2215).
Indessen sind den Bestrebungen nach Differenzierung und Berücksichtigung des individuellen Gefährdungsrisikos bei der Bildung von Gewerbezweigen Grenzen gesetzt, die sich aus der Funktion und der Systematik eines Gefahrtarifs ergeben (BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 4. März 1982 – 1 BvR 34/82 = SozR 2200 § 734 Nr 2). Eine Unternehmensart kann nur dann als eigenständiger Gewerbezweig geführt werden, wenn die zugehörigen Betriebe und Einrichtungen zusammengenommen eine Größenordnung erreichen, bei der sich eine gewerbetypische Unfalllast nach versicherungsmathematischen Grundsätzen (vgl § 157 Abs 2 Satz 1 SGB VII) berechnen lässt. Ist das nicht der Fall, müssen die in Rede stehenden Unternehmen einem der im Gefahrtarif der BG ausgewiesenen Gewerbezweige zugeordnet werden. Nach der einem Gewerbezweigtarif innewohnenden Logik kommen dafür aber nur solche Gewerbezweige in Betracht, die technologisch verwandte Unternehmensarten beherbergen. Eine Zuordnung zu einem Gewerbezweig ohne Berücksichtigung technologischer Zusammenhänge allein nach der Größe des Unfallrisikos scheidet dagegen aus, weil damit das Gewerbezweigprinzip aufgegeben und die Systementscheidung für einen Gewerbezweigtarif konterkariert würde. Insofern unterscheiden sich die Vorgaben für die Zusammenstellung von Gewerbezweigen von denjenigen bei der Bildung der Gefahrtarifstellen, in denen durchaus auch technologisch nicht verwandte Gewerbezweige nach dem Belastungsprinzip zu einer Gefahrengemeinschaft zusammengefasst werden können.
Die Forderung eines Unternehmens, wegen eines erheblich abweichenden Grades der Unfallgefahr einem anderen Gewerbezweig zugeteilt zu werden, kann danach überhaupt nur mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden, wenn der Gefahrtarif der BG mehrere für die betreffende Unternehmensart in Betracht kommende Gewerbezweige ausweist und unklar ist, welchem von ihnen sie nach Art und Gegenstand zuzurechnen ist. Steht dagegen die nach technologischen Kriterien richtige Zuordnung fest, kann die Zugehörigkeit zu dem Gewerbezweig nicht mit dem Hinweis auf eine unterschiedliche Belastungssituation in Frage gestellt werden. Die Bildung von Gefahrklassen nach dem Gewerbezweigprinzip hat zur zwangsläufigen Folge, dass es innerhalb der Gewerbezweige nicht nur gewerbetypische, sondern auch vom Durchschnitt der Gruppe mehr oder weniger deutlich abweichende Unternehmen und Unternehmensarten gibt. Dass alle gewerbezweigzugehörigen Betriebe und Einrichtungen trotz unterschiedlicher Gefährdungslagen zur selben Gefahrklasse veranlagt und deshalb einzelne von ihnen stärker mit Beiträgen belastet werden als es ihrem tatsächlichen Gefährdungsrisiko entsprechen würde, ist als Folge der bei der Tarifbildung notwendigen Typisierung hinzunehmen (siehe dazu bereits: BSG SozR 2200 § 734 Nr 1; BVerfG SozR 2200 § 734 Nr 2; Urteil des Senats vom 21. August 1991 – 2 RU 54/90 = NZA 1992, 335). Zudem ist der Solidarausgleich innerhalb des gesamten Systems der gewerblichen BGen auf den verschiedenen Ebenen zu beachten, der vom Ausgleich innerhalb der Gefahrtarifstellen bis zum Ausgleich zwischen den BGen reicht (vgl BSGE 91, 128 ff = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 25, 28; BSGE 92, 190 = SozR 4-2700 § 152 Nr 1, jeweils RdNr 18 f; BSGE 95, 47 = SozR 4-2700 § 157 Nr 2, jeweils RdNr 18).
Die von der Gefahrtarifstelle 07 erfassten Schulen und schulischen Einrichtungen sind nach diesen Kriterien in zulässiger Weise als eigener Gewerbezweig umschrieben. Hierzu gehören nach den Feststellungen des LSG Institutionen in öffentlicher oder privater Trägerschaft, die durch planmäßigen Unterricht Bildung, Wissenschaft und/oder Fähigkeiten vermitteln, insbesondere allgemeinbildende und berufsbildende Schulen, in denen allgemeines bzw berufsspezifisches Wissen gelehrt wird. Die schulischen Einrichtungen vermitteln Bildungsinhalte in vergleichbarer Weise. Gegenstand aller Unternehmensarten ist die Vermittlung von Wissen, Kenntnissen und Fähigkeiten. Hinsichtlich der Art dieser Wissensvermittlung werden gleiche Methoden – planmäßiges, regelmäßiges Lehren in der Regel in Form des klassischen Schulunterrichtes – angewandt.
Es ist entgegen der Ansicht der Revision rechtlich nicht zu beanstanden, dass allgemeinbildende und berufsbildende Schulen von der Beklagten in einem einzigen Gewerbezweig zusammengefasst wurden. Wie oben dargelegt, gibt es regelmäßig innerhalb eines jeden Gewerbezweiges unterschiedliche Tätigkeiten mit unterschiedlichen Gefährdungsrisiken; diese Risikomischung auf der Ebene des jeweiligen Gewerbezweiges ist eine Konsequenz eines Gewerbezweigstarifs und damit eine Entscheidung, die der Selbstverwaltung der Beklagten vorbehalten ist (BSGE 91, 128 = SozR 4-2700 § 157 Nr 1, jeweils RdNr 19). Wenn dies für den heterogen zusammengesetzten Gewerbezweig der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung gilt, der Gegenstand der letztgenannten Entscheidung des Senats war, so muss dies auch auf den im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Gewerbezweig hinsichtlich der allgemeinbildenden und der berufsbildenden Schulen mit ihren eher näher zusammenliegenden “Produktionsweisen” und Risiken gelten. Die gesetzliche Vorgabe des § 157 Abs 2 Satz 1 SGB VII, wonach in einer Gefahrengemeinschaft nur annähernd gleiche Gefährdungsrisiken zusammengefasst werden dürfen, kommt nur dann zum Tragen, wenn – anders als bei der hier im Streit stehenden Gefahrtarifstelle 07 – mehrere, technologisch unterschiedliche Gewerbezweige in einer Gefahrtarifstelle zusammengefasst werden (vgl BSG aaO). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Es ist weiter von Rechts wegen nicht zu beanstanden, dass hier die den Schulen und schulischen Einrichtungen jedenfalls hinsichtlich der “Produktionsmethoden” ähnlichen “Schulen für Sport, Gymnastik und Tanz” nicht dem Gewerbezweig der Schulen und schulischen Einrichtungen eingegliedert sind, sondern – zusammen mit anderen Unternehmensarten – in der Gefahrtarifstelle 53 (“Sonstige Unternehmensarten”) gesondert veranlagt werden, weil hierfür ein sachlicher Grund gegeben ist. Anders als allgemein- und berufsbildende Schulen, die auf die Vermittlung von – allgemeinem oder spezifischem – Wissen und Fähigkeiten zur Vorbereitung auf die Teilnahme am Erwerbsleben ausgerichtet sind, handelt es sich bei diesen Schulen um Einrichtungen, die vornehmlich Unterweisung zur Aneignung von Kenntnissen und Fertigkeiten für körper- und fitnessorientierte Freizeitaktivitäten zum Gegenstand haben. Dieser Unterschied, der auch das Unfallrisiko erheblich beeinflusst, rechtfertigt die Herausnahme aus dem allgemein umschriebenen Gewerbezweig der Schulen und schulischen Einrichtungen und die Zuordnung zu einer anderen Gefahrtarifstelle.
Dagegen ist die – von der Revision erhobene – Forderung nach einer Herausnahme der Unternehmensart der allgemeinbildenden Schulen aus dem Gewerbezweig der Schulen und schulischen Einrichtungen und Zuordnung zu einem anderen Gewerbezweig nicht gerechtfertigt. Eine entsprechende Entscheidung des Unfallversicherungsträgers wegen eines erheblich abweichenden Gefährdungsrisikos einer Unternehmensart kann – wie die Bildung des Gefahrtarifs insgesamt – nur auf der Grundlage von gesichertem Zahlenmaterial, welches im Vorfeld der Gefahrtarifaufstellung erhoben worden ist, getroffen werden. Allgemeine Überlegungen zur Abschätzung des Unfallrisikos, wie sie der Kläger anstellt, sind angesichts der zahlreichen Gesichtspunkte, die das Unfallrisiko und die sich daraus ergebenden Entschädigungsleistungen beeinflussen können – Häufigkeit der Versicherungsfälle, die zB bei Wegeunfällen von der Länge des Weges und der Art des Fortbewegungsmittels abhängen, Kreis der Versicherten, Schwere der Versicherungsfälle, Höhe der vom Entgelt der Versicherten abhängigen Leistungen, Meldeehrlichkeit der Unternehmen, Arbeitsaufnahme trotz fortbestehender Arbeitsunfähigkeit – in der Regel willkürlich und reichen daher als Rechtfertigung nicht aus (BSGE 95, 47 = SozR 4-2700 § 157 Nr 2, jeweils RdNr 25).
Die Revision macht insoweit geltend, zwischen allgemeinbildenden Schulen einerseits und berufsbildenden Schulen andererseits bestünden erhebliche Unterschiede hinsichtlich der Unfallgefahr. Die unterschiedlichen Gefährdungsrisiken ergäben sich aus der drastischen Erhöhung der Gefahrklasse, die Folge von exorbitant erhöhten Unfallzahlen und Entschädigungsleistungen durch eine Vielzahl von Umschulungsmaßnahmen der damaligen Bundesanstalt für Arbeit seien. Diese seien allein dem Bereich der berufsbildenden Schulen zuzuordnen. Abgesehen davon, dass die Erhöhung der Gefahrklasse von 1,60 nach dem Gefahrtarif 1995 auf 1,63 nach dem Gefahrtarif 1998 kaum als “drastisch” bezeichnet werden kann, ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Beklagte diese vom Kläger angestellte Vermutung nicht zur Grundlage ihrer Gefahrtarifstellenbildung gemacht hat. Denn die Erhöhung der Gefahrklasse ist auf andere Ursachen zurückzuführen. Nach den von den Beteiligten nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsgründen angegriffenen und damit für den Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG beruht der Gefahrtarif 1998 auf einer nach anderen Grundsätzen erhobenen empirischen Grundlage als die früheren Gefahrtarife der Beklagten. Demnach entsprechen die Gefahrklassen den Belastungsziffern, die sich als Quotient aus der Summe der Entschädigungsleistungen und den Lohnsummen errechnen. Hierbei flossen erstmals alle Entschädigungsleistungen, also neben den Geldleistungen auch die Kosten für Heilbehandlung und Rehabilitation, statt wie bisher nur die Leistungen für Renten ein. Eine solche Berechnung steht mit den Zielvorstellungen und Wertentscheidungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Einklang. Sie bildet die Kosten verursachenden Beiträge der einzelnen Gewerbezweige zum Umlagesoll, das sich nicht nur aus den erbrachten Rentenleistungen zusammensetzt, deutlicher ab und führt zu einer Berücksichtigung auch kleinerer Unfälle, deren Folgen nicht zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 vH und damit nicht zu einem Anspruch auf Verletztenrente führen (vgl § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII).
Da der Gefahrtarif 1998 der erste Gefahrtarif der Beklagten war, der nach den oben dargelegten Bedingungen berechnet wurde, und erst dieser Gefahrtarif zu einer erheblich höheren Belastung der Unternehmen des Gewerbezweigs “Schule, schulische Einrichtung” der Gefahrtarifstelle 07 durch die Verringerung der Gefahrklassen der anderen Tarifstellen bei nahezu gleichbleibender eigener Gefahrklasse führte, war die Beklagte nicht von Rechts wegen gehalten, bereits zum Zeitpunkt der Festsetzung des Gefahrtarifs 1998 Schlussfolgerungen für eine mögliche weitere Unterteilung dieses Gewerbezweiges zu ziehen. Denn die für Veränderungen erforderliche empirische Grundlage setzt einen ausreichend langen Beobachtungszeitraum voraus. In der Wertung der empirischen Grundlagen sind die Unfallversicherungsträger – innerhalb der bereits aufgezeigten Grenzen – frei; denn auch dies ist Ausfluss des Regelungsspielraumes, der ihnen bei der Erstellung autonom gesetzten Rechts eingeräumt ist (BSG SozR 2200 § 731 Nr 2). Der Beklagten stand es mithin frei, erst einmal die Auswirkungen der neuen Berechnungsweise der Belastungsziffern des Gefahrtarifs 1998 in den folgenden Jahren in ihrer praktischen Umsetzung zu überprüfen und dann ggf weitere Überlegungen zur Neuformierung der Tarifstellen für die folgenden Gefahrtarife anzustellen.
Der Kläger ist mit seinem Unternehmen auch zu Recht zur Gefahrtarifstelle 07 veranlagt worden. Denn er betreibt nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) eine Schule, was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Bei dieser Schule handelt es sich zweifellos nicht um eine Schule für Sport, Gymnastik, Ballett und Tanz, so dass eine Veranlagung in der Gefahrtarifstelle 53 (“Sonstige Unternehmensarten”) nicht in Betracht kommt. Auch die Berechnung der Gefahrklasse ist nach den Belastungsziffern, deren Richtigkeit das LSG ebenfalls bindend festgestellt hat, rechtlich nicht zu beanstanden. Die weiteren vom Kläger im Berufungsverfahren erhobenen Rügen hinsichtlich der seiner Ansicht nach übermäßigen Beitragserhöhung durch die Berücksichtigung der DDR-Altlasten und die mit dem DFB geschlossene Vereinbarung betreffen die Berechnung des Beitragsfußes, der nicht durch den angefochtenen Veranlagungsbescheid, sondern durch die im vorliegenden Verfahren nicht streitgegenständlichen Beitragsbescheide festgesetzt wurde und demgemäß hier nicht entscheidungserheblich ist.
Nach alledem war die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung, die im vorliegenden Fall noch anzuwenden war (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24).
Fundstellen
SGb 2007, 35 |
ZfSSV 2007, 29 |