Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenzahnärztliche Vereinigung. Honorarverteilungsmaßstab (HVM). Rückwirkende Aufnahme von Honorarbegrenzungsregelungen vor Durchführung einer Quartalsabrechnung. Unechte Rückwirkung
Leitsatz (redaktionell)
Honorarbegrenzungsregelungen zur gleichmäßigen Verteilung budgetierter Gesamtvergütungen, die erst während des Abrechnungszeitraums bekannt gemacht werden, haben im Rahmen des vertrags(zahn)ärztlichen Vergütungssystems lediglich eine unechte Rückwirkung zur Folge (st.Rspr.; vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 19.07.2006, B 6 KA 8/05 R; vgl. weiter BSGE 94, 50, BSGE 92, 10). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Honorarabrechnung des streitbefangenen Quartals zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des geänderten HVM noch nicht erfolgt war.
Normenkette
SGB V § 72 Abs. 1 S. 2, § 85 Abs. 4; GG Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. August 2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten für das Revisionsverfahren.
Tatbestand
I
Streitig ist die Höhe vertragszahnärztlichen Honorars für das Jahr 2001.
Der Kläger war seit 1984 im Bezirk der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV) zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. Die Beklagte führte zur Umsetzung der im GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz zunächst nur für das Jahr 1999 vorgeschriebenen Budgetierung der Gesamtvergütungen im Rahmen von deren Verteilung an die Vertragszahnärzte ein System praxisindividueller Honorarkontingente ein, welches in § 4 Abs 1a ihres Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) geregelt war. Nachdem im GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 (GKVRefG 2000) die Budgetierung der Gesamtvergütungen ohne zeitliche Begrenzung fortgeführt wurde, ergänzte die Vertreterversammlung der Beklagten im Mai 2000 den HVM in § 4 Abs 1a erneut um – in einigen Punkten modifizierte – Regelungen zur Festlegung individueller Honorarkontingente je Vertragszahnarzt und zu vorläufigen Honorareinbehalten im Falle von deren Überschreitung. Diese traten zum 1. April 2000 in Kraft, doch waren die monatlichen Abrechnungen von Zahnersatz-, Parodontose- und Kieferbruchleistungen bis einschließlich Mai 2000 hiervon ausgenommen. Die Geltung dieser Bestimmungen war ausdrücklich bis zum 31. Dezember 2000 begrenzt. Die von der neu gewählten Vertreterversammlung der Beklagten am 17. Februar 2001 beschlossene und zwei Tage später in einer Sonderausgabe des Rheinischen Zahnärzteblattes bekannt gemachte Nachfolgeregelung für das Jahr 2001 sah ein Inkrafttreten des § 4 Abs 1a HVM in einer gegenüber dem Vorjahr ergänzten Gestalt (dh nunmehr mit separaten Honorarkontingenten für den Primär- und Ersatzkassenbereich) ausnahmslos bereits mit Wirkung ab 1. Januar 2001 vor.
Die Beklagte setzte im Honorarbescheid des Klägers für das Quartal I/2001 auf der Grundlage von § 4 Abs 1a HVM vorläufige Honorareinbehalte sowohl bei der Vergütung für konservierendchirurgische Leistungen (KCH-Leistungen – 2.934,66 DM) als auch beim Honorar für Kieferorthopädie, Zahnersatz, Parodontal- und Kieferbruch-/Kiefergelenkbehandlungen (übrige Leistungsarten ≪ÜLA≫ – 13.302,45 DM) fest. Im Honorarbescheid für das Quartal II/2001 wurden die KCH-Einbehalte sowie der ÜLA-Einbehalt für den Bereich der Ersatzkassen wieder gut geschrieben, während sich für die ÜLA-Leistungen bei Primärkassenpatienten ein vorläufiger Einbehalt von nunmehr insgesamt 15.513,97 DM ergab. Der Bescheid über die Schlussabrechnung für das Jahr 2001 setzte den Einbehalt endgültig auf 10.180,61 DM fest (Bescheid vom 12. April 2002 – nur hinsichtlich der ÜLA-Leistungen für Primärkassen – Quote 12,35 %). Den Widerspruch des Klägers gegen den Einbehalt bei Leistungen, für die er vor ihrer Erbringung eine Kostenzusage der zuständigen Krankenkasse (KK) erhalten habe, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 4. September 2002).
Klage und Berufung des Klägers sind erfolglos geblieben. Im Berufungsurteil ist im Wesentlichen ausgeführt, die Honorarbegrenzungsregelungen im HVM der Beklagten für das Jahr 2001 seien rechtmäßig. Die Veröffentlichung des geänderten HVM erst am 19. Februar 2001 begründe keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot, da die rückwirkende Umgestaltung der Rechtslage kein schutzwürdiges Vertrauen verletze. Die Leistungserbringung in den Bereichen Kieferorthopädie und Zahnersatz sei dadurch geprägt, dass die Maßnahmen zuvor vom zuständigen Kostenträger auf der Grundlage eines Heil- und Kostenplans genehmigt werden müssten. Da der Vertragszahnarzt sie über einen längeren, der Planung unterworfenen Zeitraum erbringe, seien für sein Leistungsverhalten nicht die zum Zeitpunkt der Abrechnung geltenden Bestimmungen, sondern die bei der Planung bestehenden Vergütungsregelungen entscheidend. Darüber hinaus könne der Vertragszahnarzt nach Abschluss der Behandlung den Zeitpunkt der Leistungsabrechnung relativ frei wählen und zur Optimierung des Honorars – auch unter steuerrechtlichen oder Budgetaspekten – selbst festlegen, was sich auch im Abrechnungsverhalten des Klägers zeige. Aus diesen Umständen folge, dass für die vom Kläger abgerechneten Leistungen des streitigen ÜLA-Bereichs das Vertrauen auf eine honorarbegrenzungsfreie Vergütung nicht entscheidend gewesen sei (Urteil vom 31. August 2005 – juris).
Der Kläger rügt mit seiner Revision – nach entsprechender Klarstellung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat – nur noch, das Landessozialgericht (LSG) habe das aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Verbot rückwirkend belastender Rechtsnormen verletzt. Die am 17. Februar 2001 mit Wirkung ab 1. Januar 2001 beschlossene Änderung des HVM habe hinsichtlich der zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung bereits erbrachten und abgerechneten Leistungen zu einer echten Rückwirkung geführt, da sie insoweit in bereits abgeschlossene Sachverhalte eingegriffen habe. Zum diesem Zeitpunkt sei das erste Quartal des Jahres bereits zu mehr als 60 % abgelaufen gewesen, weshalb es ihm nicht mehr möglich gewesen sei, die Leistungen innerhalb dieses Quartals gleichmäßig zu verteilen, um so ein Leistungsvolumen weit über der vorläufigen Honorargrenze zu verhindern. Wäre dies für ihn vorhersehbar gewesen, hätte er seine Praxistätigkeit so angepasst, dass Einbehalte und nicht mehr rückgängig zu machende Vermögensdispositionen verhindert worden wären.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. August 2005 sowie des Sozialgerichts Düsseldorf vom 5. Mai 2004 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung der Schlussabrechnung für 2001 im Bescheid vom 12. April 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. September 2002 zu verurteilen, ihm – dem Kläger – das einbehaltene Primärkassen-Honorar für die übrigen Leistungsarten in Höhe von 5.205,26 € auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die auf gesamtvertraglicher Ebene zwischen KZÄV und KKn vereinbarten unterschiedlichen Abrechnungstermine für einzelne Leistungsarten führten nicht dazu, dass in der Rechtsbeziehung zum Vertragszahnarzt bei der Feststellung von dessen Honoraranspruch differenziert werden müsse. Aus § 4 Abs 9 ihres HVM ergebe sich, dass der Honorarbescheid quartalsweise zu erteilen sei und die im jeweiligen Quartal abgerechneten Leistungen sämtlicher Leistungsbereiche umfasse. Auf dieser Grundlage sei eine unzulässige Rückwirkung nicht festzustellen. Zudem sei zweifelhaft, ob der Kläger auf eine durch Budgetierungen nicht geschmälerte Abrechnung habe vertrauen können, obwohl ihm die Budgetierungsmaßnahmen der Vorjahre bekannt gewesen seien. Darüber hinaus habe das Bundessozialgericht (BSG) die im HVM der Beklagten angelegte kumulative Betrachtung der Honorargrenzen über das gesamte Kalenderjahr hinweg mit endgültiger Festlegung des Honoraranspruchs erst nach Abschluss des vierten Quartals ebenfalls nicht als unzulässige Rückwirkung angesehen. Das LSG habe zu Recht auch darauf hingewiesen, dass in den hier betroffenen Leistungsbereichen die Einholung einer Genehmigung der KK vor der Leistungserbringung erforderlich sei. In der Rechtsprechung des BSG sei insoweit geklärt, dass die Erteilung der Genehmigung durch die jeweilige KK dem Vertragszahnarzt keinen in der Höhe bestimmten Honoraranspruch garantiere.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Bescheid über die Schlussabrechnung des dem Kläger für das Jahr 2001 zustehenden Honorars sowie die zugrunde liegenden Bestimmungen des HVM, soweit ihre Überprüfung in diesem Revisionsverfahren veranlasst ist, rechtmäßig sind. Der Kläger kann die Auszahlung derjenigen Honorareinbehalte, die sich auf die im Januar und Februar 2001 abgerechneten übrigen Leistungen (ÜLA) beziehen, nicht beanspruchen (§ 54 Abs 2 Satz 1 und Abs 4 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers auf Zahlung höheren vertragszahnärztlichen Honorars ist § 72 Abs 1 Satz 2 iVm § 85 Abs 4 Satz 1 bis 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V – hier anzuwenden idF des GKVRefG 2000 vom 22. Dezember 1999, BGBl I 2626). Danach steht dem Vertragszahnarzt ein Anspruch auf Teilhabe an den von den KKn entrichteten Gesamtvergütungen entsprechend der Art und dem Umfang der von ihm erbrachten und abrechnungsfähigen Leistungen nach Maßgabe der Verteilungsregelungen im HVM zu.
Der HVM der beklagten KZÄV für das Jahr 2001 – idF vom 17. Februar 2001 – sah in § 4 Abs 1 zunächst eine Verteilung der Gesamtvergütungen an die Vertragszahnärzte auf der Grundlage der für die abgerechneten Einzelleistungen im Bewertungsmaßstab für vertragszahnärztliche Leistungen ausgewiesenen Punktzahlen sowie der in den Gesamtverträgen vereinbarten bzw vom Schiedsamt festgesetzten Punktwerte vor. In Ergänzung hierzu führte § 4 Abs 1a HVM mit Rücksicht auf die begrenzten Gesamtvergütungsvolumina einen Mechanismus ein, der sicherstellen sollte, dass zum einen die zur Verfügung stehenden Budgets voll ausgeschöpft, zum anderen aber bei Überschreitungen der Budgetvolumina die hiernach erforderlichen Kürzungen der Einzelleistungsvergütungen gerecht auf die Vertragszahnärzte verteilt werden. Zudem sollte eine gleichmäßige Verteilung der Gesamtvergütungen auf das gesamte Jahr gewährleistet sein. Zu diesem Zweck wurden vorläufige Honorar-Obergrenzen je Fall – differenziert nach Kassenarten und nach den Leistungsbereichen KCH bzw ÜLA – bestimmt, die sich aus den zur Verfügung stehenden Gesamtvergütungsvolumina sowie aus den im Jahr 1997 abgerechneten Leistungsmengen errechneten (§ 4 Abs 1a Sätze 1 bis 4 HVM). Auf dieser Basis wurde für jeden Vertragszahnarzt ein individuelles Honorar-Gesamtkontingent ermittelt (§ 4 Abs 1a Abschnitt A Nr 1 und Nr 2.1 HVM). Für jedes Abrechnungsquartal erfolgte eine Berechnung der individuellen Teilkontingente (KCH und ÜLA, jeweils für Primär- und Ersatzkassen) in kumulierter Betrachtung aller im Verlauf des Jahres bis dahin angefallenen Quartals- bzw Monatsabrechnungen (aaO Nr 2.4). In den genannten Teilbereichen wurden die abgerechneten Einzelleistungen unter Anwendung der vertraglich vereinbarten Punktwerte nur bis zum Erreichen des Individual(teil)budgets vergütet (aaO Nr 2.2); Überschreitungen der Teilkontingente wurden vorläufig einbehalten (§ 4 Abs 1a Abschnitt C Nr 1 Satz 1 HVM). Die Einbehalte erfolgten ebenfalls quartalsweise, wobei jede Monatsabrechnung entsprechend ihrem Einreichungstermin einer Quartalsabrechnung zugeordnet wurde (aaO Nr 1 Satz 2). Bis zur Quartalsabrechnung galten die auf zuvor eingereichte Monatsabrechnungen bereits geleisteten Zahlungen als vorläufige Abschlagszahlungen (aaO Nr 1 Satz 3). Die endgültige Festsetzung des Jahreshonorars des Vertragszahnarztes unter Berücksichtigung seines individuellen Gesamtkontingents erfolgte im Zusammenhang mit der Abrechnung des vierten Quartals eines Jahres (aaO Nr 2).
Diese Honorarbegrenzungsregelungen in Gestalt eines Individualbudgets sind – soweit sie hier zu beurteilen sind – rechtmäßig. Das hat der Senat zu vorangegangenen Fassungen von § 4 Abs 1a des HVM der Beklagten, die mit der hier maßgeblichen Regelung im Wesentlichen identisch waren, bereits entschieden (BSGE 81, 213 = SozR 3-2500 § 85 Nr 23; BSG MedR 2004, 172) und dies auch hinsichtlich ähnlicher HVM-Regelungen anderer KZÄVen in ständiger Rechtsprechung bekräftigt (zusammenfassend BSGE 96, 53 = SozR 4-2500 § 85 Nr 23, jeweils RdNr 23 ff; s auch BSG, Urteil vom 19. Juli 2006 – B 6 KA 8/05 R – RdNr 10 ff, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen). An dieser Beurteilung hält der Senat fest, zumal das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zwischenzeitlich die den genannten Senatsentscheidungen zugrunde liegende Auslegung und Anwendung des § 85 Abs 4 SGB V als mit Art 12 Abs 1 und Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) vereinbar beurteilt hat (BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 27. Oktober 2006 – 1 BvR 1645/06 ua, das Senatsurteil vom 8. Februar 2006 – BSGE 96, 53 = SozR 4-2500 § 85 Nr 23 – betreffend). Der Kläger stellt die Rechtmäßigkeit derartiger Honorarbegrenzungsregelungen auch nicht mehr in Frage. Nachdem er die Revision in der mündlichen Verhandlung inhaltlich begrenzt hat, steht nur noch im Streit, ob die Einbeziehung der im Januar und Februar 2001 von ihm abgerechneten ÜLA-Leistungen in die Berechnung der endgültig festgesetzten Honorareinbehalte gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 Abs 3 GG) abgeleitete Rückwirkungsverbot verstößt. Das ist nicht der Fall. Das Inkrafttreten der im Februar 2001 beschlossenen und bekannt gemachten HVM-Honorarbegrenzungsregelung mit Wirkung vom 1. Januar 2001 führt lediglich zu einer unechten Rückwirkung, die sich als rechtmäßig erweist.
Eine echte Rückwirkung liegt vor, wenn eine Norm nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Sachverhalte eingreift, eine unechte dann, wenn eine Rechtsnorm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt, indem sie Rechtspositionen nachträglich entwertet. Bei dieser Abgrenzung, die jeweils nur im Einzelfall unter Würdigung der Eigenarten des in Betracht kommenden Regelungsbereichs vorgenommen werden kann, ist auf den Zeitpunkt der Bekanntmachung der Norm abzustellen (stRspr, vgl zB BSGE 95, 199 = SozR 4-2500 § 106 Nr 11, jeweils RdNr 46; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 4 RdNr 10 – jeweils mit Nachweisen auch zur Rspr des BVerfG).
Nach diesen Maßstäben bewertet der Senat die rückwirkende Inkraftsetzung von HVM-Honorarbegrenzungsregelungen, deren Ziel darin besteht, die in § 71 Abs 1 und 2 iVm § 85 Abs 3 SGB V normierte Begrenzung der von den KKn zu entrichtenden Gesamtvergütungen auf den einzelnen Leistungserbringer “herunterzubrechen” und so jeden einzelnen Vertrags(zahn)arzt möglichst gleichmäßig mit den Auswirkungen nur begrenzt zur Verfügung stehender Finanzmittel zu belasten (vgl BSG MedR 2004, 172, 173; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 48 S 408, mwN), regelmäßig als einen Fall unechter Rückwirkung (vgl zuletzt BSG, Urteil vom 19. Juli 2006 – B 6 KA 8/05 R – RdNr 30, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen; BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, jeweils RdNr 45 f – das BVerfG hat mit Beschluss vom 14. Februar 2006 – 1 BvR 1917/05 – die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen; BSGE 92, 10 = SozR 4-2500 § 85 Nr 5, jeweils RdNr 16; BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 31 S 239 f). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Honorarabrechnung des streitbefangenen Quartals zum Zeitpunkt der Bekanntmachung des geänderten HVM noch nicht erfolgt war. Denn ein konkreter Honoraranspruch – und damit ein bereits abgeschlossener Sachverhalt – entsteht unter der Geltung begrenzter Gesamtvergütungen regelmäßig erst nach Prüfung sämtlicher von den Vertrags(zahn)ärzten eingereichter Abrechnungen und der darauf basierenden Errechnung der möglichen Verteilungspunktwerte; erst dadurch konkretisiert sich der bis dahin nur allgemeine Anspruch auf Honorarteilhabe zu einem der Höhe nach individualisierten Honoraranspruch (BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, jeweils RdNr 46; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 4 RdNr 12). Nur in den – seltenen – Fällen, in denen eine bestehende HVM-Regelung bereits eine abschließende Festlegung zB in Form der Garantie eines Mindestpunktwertes enthält, führt ein nach Leistungserbringung erfolgender Eingriff in diese Position zur Umgestaltung eines in den wesentlichen Merkmalen bereits abgewickelten Sachverhalts und damit zu einer echten Rückwirkung (BSG aaO).
Die Anwendung dieser Kriterien auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt ergibt, dass ein Fall unechter Rückwirkung vorliegt. Zunächst war die Honorarabrechnung des Quartals I/2001 durch die Beklagte zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der Ergänzung des § 4 HVM um die hier streitbefangene Honorarbegrenzungsregelung – im Rheinischen Zahnärzteblatt vom 19. Februar 2001 – noch nicht erfolgt. Dies gilt auch hinsichtlich der Zahnersatz-Behandlungen, die gemäß § 2 Abs 2 Satz 2 HVM iVm entsprechender Bekanntmachungen des Vorstands der Beklagten monatlich abzurechnen waren. Denn die Beklagte hatte in die Bescheide über die Monatsabrechnungen für Januar und Februar 2001 ausdrücklich einen Vorbehalt aufgenommen, dass der Honoraranteil des bewilligten Betrags im Grundsatz auf das Budget anzurechnen sei, über eine eventuelle Honorarbegrenzung jedoch erst im Zusammenhang mit der Quartalsabrechnung entschieden werde (vgl hierzu Urteil des Senats vom heutigen Tage im Parallel-Verfahren B 6 KA 42/05 R). Mit diesem Vorbehalt hat die Beklagte die Vorläufigkeit jener Honorarfestsetzungen für Zahnersatzleistungen in ausreichender Weise deutlich gemacht, sodass auch insoweit eine verbindliche Honorarabrechnung noch nicht vorlag (zum Erfordernis von Vorläufigkeitshinweisen, falls einzelne Grundlagen der Honorarverteilung noch nicht verbindlich feststehen, vgl BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr 22, jeweils RdNr 20; BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 1 RdNr 16).
Der HVM der Beklagten enthielt darüber hinaus in der Form, in der er ursprünglich ab dem 1. Januar 2001 bis zur Bekanntmachung des Änderungsbeschlusses vom 17. Februar 2001 gegolten hatte, auch keine abschließende Festlegung der bei der Honorarverteilung anzuwendenden Punktwerte. Allerdings sollte die ursprüngliche Honorarbegrenzungsregelung des § 4 Abs 1a HVM in der mit Beschluss der Vertreterversammlung vom 6. Mai 2000 eingefügten Fassung ausdrücklich nur bis zum 31. Dezember 2000 gelten (Abschnitt C Nr 5.2 in § 4 Abs 1a jenes HVM). Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass dem einzelnen Vertragszahnarzt für alle ab 1. Januar 2001 erbrachten Leistungen die gesamtvertraglich vereinbarten Einzelleistungspunktwerte als Mindesthonorarbetrag garantiert worden wären. Eine solche Garantiefunktion im Sinne eines Mindestpunktwertes kann der Honorarverteilungs-Grundregel des § 4 Abs 1 Satz 1 HVM weder nach ihrem Wortlaut noch aus ihrem Sinnzusammenhang entnommen werden. Vielmehr bestand zu Beginn des Jahres 2001 die Situation einer gemäß § 71 Abs 2 und 3 SGB V von den KKn nur in begrenzter Höhe zu entrichtenden Gesamtvergütung unverändert fort. Deshalb war für jeden an der vertragszahnärztlichen Versorgung Beteiligten offenkundig, dass die erbrachten Leistungen je nach abgerechneten Leistungsmengen auch im Jahr 2001 nur quotiert vergütet werden konnten. Zudem war weiterhin das Gebot gleichmäßiger Verteilung der Gesamtvergütungen auf das gesamte Jahr (§ 85 Abs 4 Satz 5 SGB V) zu beachten, das ebenfalls den Erlass steuernder Regelungen erforderte. Diese jedem in das System einbezogenen Leistungserbringer bekannten Rahmenbedingungen der vertrags(zahn)ärztlichen Versorgung schließen es aus, die Anknüpfung des HVM an die gesamtvertraglich vereinbarten Einzelleistungspunktwerte im Sinne eines garantierten Mindesthonorars zu verstehen.
Mithin ist im Ergebnis von einer unechten Rückwirkung der im Februar 2001 bekannt gemachten Ergänzung des HVM um eine Honorarbegrenzungsregelung, die alle ab 1. Januar 2001 erbrachten bzw abgerechneten Leistungen einbezieht, auszugehen. Diese ist rechtmäßig, wenn ausreichende Gemeinwohlgründe sie erfordern und das schutzwürdige Vertrauen der Betroffenen auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage nicht überwiegt (BVerfGE 103, 392, 403 = SozR 3-2500 § 240 Nr 39 S 197; BVerfGE 109, 96, 122 = SozR 4-5868 § 1 Nr 2 RdNr 65; BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 31. März 2006 – 1 BvR 1750/01 – juris RdNr 39 – sowie Beschluss vom 10. August 2006 – 2 BvR 563/05 – juris RdNr 14 = DVBl 2006, 1370, 1371). Die hiernach gebotene Interessenabwägung ergibt, dass die streitbefangene Regelung im HVM der Beklagten nicht zu beanstanden ist.
Der Normgeber des HVM der Beklagten war durch die Vorschrift in § 85 Abs 4 Satz 5 SGB V (hier idF des GKVRefG 2000) gehalten, eine gleichmäßige Verteilung der zur Verfügung stehenden Gesamtvergütungen auf das gesamte Jahr sicherzustellen. Dieser gesetzliche Auftrag erforderte es, in notwendige Honorarbegrenzungsregelungen nach Möglichkeit – also soweit rechtlich zulässig – alle im Verlauf eines Kalenderjahres abgerechneten Leistungen einzubeziehen, die zu Lasten der für diesen Zeitraum von den KKn gezahlten Gesamtvergütungen honoriert werden. Daher stellt gerade die Nichteinbeziehung in bestimmten Zeitabschnitten eines Jahres erbrachter Leistungen in Regelungen zur Honorarbegrenzung eine im Lichte des Gleichbehandlungsgebots rechtfertigungsbedürftige Ausnahme dar.
Eine Rechtfertigung für eine derartige Nichteinbeziehung – oder, wie der Kläger meint, die Verpflichtung zur Nichteinbeziehung – der in den Monaten Januar und Februar 2001 bereits vor Bekanntmachung der HVM-Ergänzung gegenüber der Beklagten abgerechneten ÜLA-Leistungen besteht hier nicht. Sie folgt insbesondere nicht daraus, dass zugunsten der betroffenen Zahnärzte ein Vertrauensschutztatbestand geschaffen worden wäre, aufgrund dessen ihr Bestandsinteresse gegenüber dem Veränderungsinteresse des Normgebers überwiegen würde. Ein entsprechend gewichtiger Vertrauensschutztatbestand (vgl BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 10. August 2006, aaO, juris RdNr 15 bzw DVBl 2006, 1370, 1371) konnte sich in den ersten Wochen zu Beginn des Jahres 2001 nicht herausbilden. Denn die Vertragszahnärzte mussten – wie bereits ausgeführt – aufgrund der fortbestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen damit rechnen, dass die Ende 2000 neu gewählte Vertreterversammlung alsbald nach ihrer Konstituierung (am 27. Januar 2001, vgl Rheinisches Zahnärzteblatt 2001, 138) eine Nachfolgeregelung zur Honorarbegrenzung beschließen würde. Vertrauen in das “Behalten dürfen” einer bereits durch Bescheid bewilligten Honorarzahlung kann allerdings zu berücksichtigen sein, falls die KZÄV Vorbehalte oder warnende Hinweise im Bewilligungsbescheid unterlässt, obwohl ihr Ungewissheiten über die Grundlagen der Honorarverteilung bekannt sind (vgl BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr 22 RdNr 20; BSG SozR 4-2500 § 106a Nr 1 RdNr 16, 21). Ein solches Versäumnis der Beklagten liegt hier jedoch nicht vor. Denn die Beklagte hatte die Bescheide über die Monatsabrechnungen der ÜLA-Leistungen für Januar und Februar 2001 ausdrücklich mit dem Hinweis und Vorbehalt versehen, dass möglicherweise im Quartalshonorarbescheid noch eine budgetbedingte Honorarbegrenzung erfolgen werde. Infolgedessen konnte das vom Kläger reklamierte Vertrauen in ein endgültiges “Behalten dürfen” der betreffenden Honorarzahlungen von vornherein nicht entstehen.
Der Kläger kann zu berücksichtigenden Vertrauensschutz auch nicht daraus herleiten, dass die Beklagte im Jahr 2000 eine vergleichbare Honorarbegrenzungsregelung rückwirkend zum Quartalsbeginn eingeführt, hiervon aber diejenigen Leistungen ausdrücklich ausgenommen hatte, die bis dahin bereits in einer Monatsabrechnung geltend gemacht worden waren (vgl Abschnitt C Nr 5.3 in § 4 Abs 1a des HVM in der am 6. Mai 2000 beschlossenen und zum 1. April 2000 in Kraft getretenen Fassung). Allein die Annahme und Erwartung des Klägers, die – zwischenzeitlich neu gewählte – Vertreterversammlung der Beklagten werde im Jahr 2001 erneut so verfahren, begründet noch kein rechtserheblich verfestigtes und deshalb schutzwürdiges Vertrauen. Ob dieser Einwand im Falle einer langjährig so praktizierten Vorgehensweise bei im Jahresverlauf beschlossenen HVM-Anpassungen beachtlich wäre, insbesondere wenn eine Änderung der Regelungspraxis nicht rechtzeitig zuvor angekündigt wird, ist hier nicht zu entscheiden (zu der aus Vertrauensschutzgründen ggf notwendigen Ankündigung von Änderungen s zB BSGE 95, 141 RdNr 40 f = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 48 f). Denn eine derartige Konstellation liegt hier jedenfalls nicht vor, da eine entsprechende Handhabung durch die Vertreterversammlung der Beklagten lediglich einmalig vorangegangen war (zum Erfordernis einer regelmäßig dreimalig vorbehaltlosen Leistungsgewährung zur Begründung sowie zur Beseitigung einer sog “betrieblichen Übung”, die als Willenserklärung ein vertragliches Schuldverhältnis gestaltet, vgl BAGE 113, 29, 38 = AP Nr 70 zu § 242 BGB “Betriebliche Übung”; BAG AP Nr 74 aaO, RdNr 36 – zur Veröffentlichung in BAGE vorgesehen).
Schließlich kann der Kläger vorrangigen Vertrauensschutz nicht daraus ableiten, dass die KKn der Versicherten, deren Leistungen er im Januar und Februar 2001 gegenüber der Beklagten abgerechnet hatte, vor Durchführung der jeweiligen Behandlungen die zugrundeliegenden Heil- und Kostenpläne genehmigt hatten. Mit der Genehmigung eines Heil- und Kostenplans stellt die KK lediglich klar, dass die Art und Weise der dort beschriebenen Zahnbehandlung aus ihrer Sicht – soweit aus den vorgelegten Unterlagen ersichtlich – sachgerecht und wirtschaftlich ist. Eine verbindliche Aussage zur Höhe des aus einer plangerecht durchgeführten Behandlung resultierenden Honoraranspruchs des Vertragszahnarztes enthält die Genehmigung hingegen von vornherein nicht, da insoweit den KKn im vertragszahnarztrechtlichen Vergütungssystem keine Regelungsbefugnis zukommt (BSG SozR 3-5555 § 12 Nr 5 S 27, mwN; zur Reichweite der Genehmigung des Heil- und Kostenplans s auch Senatsbeschluss vom 19. Juli 2006 – B 6 KA 5/06 B – juris, dort RdNr 8, mwN).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung von § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung.
Fundstellen