Beteiligte

…, Klägerin und Beschwerdegegnerin

Gemeindeunfallversicherungsverband Westfalen-Lippe,Münster, Salzmannstraße 156, Beklagter und Beschwerdeführer

 

Tatbestand

G r ü n d e :

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Anordnung des Beklagten, die Geländer im Verwaltungstrakt der Stadthalle Bielefeld von bisher 0,9 bis 0,93 m auf mindestens 1,00 m zu erhöhen (Bescheid des Beklagten vom 29. Juni 1990 und Widerspruchsbescheid vom 24. September 1990; die angefochtenen Bescheide aufhebende Urteile des Sozialgerichts vom 30. August 1991 und des Landessozialgerichts [LSG] vom 15. Dezember 1992). Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, die vom Beklagten angenommenen Voraussetzungen nach § 712 Abs 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) seien für die streitige Anordnung nicht erfüllt.

Mit seiner hiergegen gerichteten Nichtzulassungsbeschwerde macht der Beklagte die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§ 160 Abs 2 Nr 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]). Außerdem beruhe das angefochtene Urteil auf einem Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), weil das Berufungsgericht einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei.

Die Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 SGG festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung erfordern diese Vorschriften, daß die Zulassungsgründe schlüssig dargetan werden (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 34, 47 und 58; vgl auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, IX, RdNrn 177 und 179 mwN). Daran fehlt es der Beschwerde.

Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden. Grundsätzliche Bedeutung hat das angestrebte Revisionsverfahren nur, wenn der Rechtsstreit sich in seiner Bedeutung nicht in diesem Einzelfall erschöpft, sondern dazu dienen kann, die Rechtseinheit zu wahren oder die Entwicklung des Rechts zu fördern. Das ist dann der Fall, wenn die für grundsätzlich gehaltene Rechtsfrage klärungsbedürftig ist (Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 63 mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die Beantwortung der vom Beschwerdeführer bezeichneten Rechtsfrage unmittelbar dem Gesetz zu entnehmen ist, also schon aus sich heraus klar ist und die Antwort außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 66 mwN). Das ist hier der Fall.

Der Beklagte hält folgende Rechtsfrage für grundsätzlich bedeutsam:

"Bedarf es zum Verständnis des § 33 I UVV "Allgemeine Vorschriften" (GUV 0.1) einer Richtlinie, die den "allgemein anerkannten sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Regeln" entspricht (§ 2 i UVV "Allgemeine Vorschriften") und wie sind ggf diese Regeln in bezug auf die Geländerhöhe zu ermitteln?"

Den weiteren Ausführungen des Beklagten, insbesondere auf S 4 unter Nr 3 seiner Beschwerdebegründung vom 21. April 1993 ist zu entnehmen, daß er im Revisionsverfahren im Kern die Rechtsfrage geklärt wissen will, ob er befugt oder sogar verpflichtet war, die angefochtenen Bescheide ausschließlich auf § 712 Abs 1 Satz 2 RVO iVm § 33 Abs 1 der Unfallverhütungsvorschrift (UVV) - Allgemeine Vorschriften - (GUV 0.1) vom April 1979 in der Fassung vom Dezember 1984 und die dazu erlassene Durchführungsanweisung zu stützen, ohne daß diese Anforderungen gleichzeitig den allgemein anerkannten sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Regeln entsprechend § 2 Abs 1 UVV entsprechen.

Nach § 712 Abs 1 Satz 2 RVO, der auf die Gemeindeunfallversicherungsverbände entsprechend anwendbar ist (s § 769 Abs 1 RVO), kann der zuständige Träger der Unfallversicherung im Einzelfall Anordnungen zur Durchführung von Unfallverhütungsvorschriften treffen. Nach den Feststellungen des LSG handelt es sich bei dem hier angefochtenen Bescheid vom 29. Juni 1990 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24. September 1990 um eine solche Anordnung zur Durchführung des § 33 Abs 1 UVV. Danach müssen Arbeitsplätze und Verkehrswege, die mehr als 1,00 m über dem Boden oder über einer anderen ausreichend breiten tragfähigen Fläche liegen oder an Gefahrbereichen grenzen, ständige Sicherungen haben, die verhindern, daß Versicherte abstürzen oder in die Gefahrbereiche gelangen. Nach der - hier ebenfalls maßgebenden - Vorschrift über allgemeine Anforderungen des § 2 Abs 1 UVV hat der Unternehmer zur Verhütung von Arbeitsunfällen Einrichtungen, Anordnungen und Maßnahmen zu treffen, die nicht nur den Bestimmungen dieser UVV, sondern auch den allgemein anerkannten sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Regeln entsprechen. Dementsprechend kann der Unfallversicherungsträger auf der Grundlage des § 33 Abs 1 UVV vom Unternehmer auch nur solche Sicherungen verlangen, die den allgemein anerkannten sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Regeln entsprechen.

Die vom Beklagten geforderte Mindesthöhe des Geländers ist weder in § 33 Abs 1 UVV noch in den Allgemeinen Vorschriften der §§ 1 ff UVV enthalten, sondern in der zu § 33 Abs 1 UVV ergangenen "Durchführungsanweisung", wonach die Forderung ("ständige Sicherungen") erfüllt ist, wenn Umwehrungen (zB Geländer) vorhanden sind, die mindestens 1,00 m hoch sind. Diese Durchführungsanweisungen sind nicht verbindlicher Bestandteil der UVV; sie haben vielmehr den Charakter interner Dienstanweisungen und dienen als Hinweis, wie das in der UVV aufgestellte verbindliche Schutzziel zu erreichen ist. Andere mindestens ebenso sichere Vorkehrungen werden durch die Durchführungsanweisungen nicht ausgeschlossen. Die Anordnung, Geländer in der Mindesthöhe von 1,00 m anzubringen, kann daher nur dann verbindlich sein, wenn diese Anforderung als allgemein anerkannte sicherheitstechnische und arbeitsmedizinische Regel zu beachten ist (so auch das Beratungsergebnis der Sitzung des Ausschusses "Rechtsfragen" der BAGGUV am 1./2. Februar 1993 in Würzburg, S 28 - s Bl 46 der Verwaltungsakte des Beklagten). Dort heißt es: "Die Anordnung, Geländer in der Mindesthöhe von 1,00 m anzubringen, kann daher nur dann verbindlich sein, wenn diese Anforderung als allgemein anerkannte sicherheitstechnische Regel zu betrachten ist und damit über § 2 Abs 1 der UVV "Allgemeine Anforderungen" verbindlich wirkt."

Unter Zugrundelegung dieser den §§ 2, 33 UVV unmittelbar zu entnehmenden Rechtssätze hat das LSG aufgrund der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme festgestellt, daß die Durchführungsanweisung zu § 33 Abs 1 UVV keine allgemein anerkannte sicherheitstechnische Regel wiedergibt.

Die weitere Rüge des Beklagten, das LSG sei unter Verstoß gegen §§ 103, 106 SGG verfahrensfehlerhaft seinem mit Schriftsatz vom 11. Dezember 1992 gestellten und im Termin am 15. Dezember 1992 wiederholten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt, ist gleichfalls nicht schlüssig dargetan iS des § 160 Abs 2 SGG und § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Zu dem Beweisthema, ob eine "Umwehrungsmindesthöhe von 1,00 m im Arbeitsschutzrecht nicht als allgemein anerkannte sicherheitstechnische Regel iS des § 2 Abs 1 UVV bzw als erforderliche Absicherung iS des § 33 Abs 1 UVV" anzusehen sei, hat das LSG festgestellt, daß hinsichtlich der "Mindesthöhe von Umwehrungen bei Absturzhöhen zwischen 1,00 m und 12,00 m" - um diese gehe es hier - unterschiedliche Vorstellungen der Fachkreise bestünden. Das LSG bezieht sich sodann auf die verschiedenen von ihm eingeholten Auskünfte, insbesondere des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Bonn, des Ministeriums für Bauen und Wohnen NW, Düsseldorf, und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz, Dortmund, und verwertet die in diesen Auskünften enthaltenen Ergebnisse. Wenn bei dieser Beweislage nunmehr der Beklagte mit seiner Beschwerde rügt, das LSG hätte insoweit entsprechende Fachleute durch Einholung eines Sachverständigengutachtens hören müssen, so hätte er darlegen müssen, welche weiteren Erkenntnisse ein solches Sachverständigengutachten gebracht hätte.

Das gleiche gilt für den Beweisantrag des Beklagten, ob die verlangte Geländerschutzhöhe von 1,00 m im Arbeitsschutzrecht eine "erforderliche" Absicherung darstelle. Auch hierauf ist das LSG mit einer - zumindest hinreichenden - Begründung eingegangen; es hat sich auf die Auskunft des Ministeriums für Bauen und Wohnen NW gestützt, wonach in den genannten Fällen eine Mindesthöhe von Umwehrungen von 90 cm für ausreichend und erforderlich angesehen würde.

Die Beschwerde des Beklagten war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517821

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