Entscheidungsstichwort (Thema)
Freiwillige Unternehmerversicherung
Leitsatz (amtlich)
Ein der Unfallversicherung freiwillig beigetretener Architekt (RVO § 545 Abs 1), der sich bei dem Umbau des eigenen Wohnhauses als Architekt betätigt (Maßkontrolle von Deckenputzarbeiten), ist dabei gegen Arbeitsunfall versichert.
Normenkette
RVO § 545 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30, § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. Oktober 1972 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger ist als selbständig tätiger Architekt bei der Beklagten freiwillig gegen Arbeitsunfall versichert. Im Jahre 1967 ließ er das ihm und seiner mit ihm in Gütertrennung lebenden Ehefrau je zur ideellen Hälfte gehörende Haus in F, P Weg ..., umbauen. Dabei betätigte sich der Kläger als Architekt. Am 13. April 1967 stürzte er auf der Baustelle bei der Kontrolle von Deckenputzarbeiten (Maßkontrolle) und zog sich eine Zerrung im rechten Kniegelenk mit Ergußbildung zu. In dem für die Beklagte erstatteten Gutachten der Fachärzte für Chirurgie Prof. Dr. K und Dr. K in F vom 30. November 1967 wurde die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Klägers nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit vom 4. September bis 4. Dezember 1967 auf 30 v.H. und ab 5. Dezember 1967 für voraussichtlich 5 Monate auf 20 v.H. geschätzt.
Durch Bescheid vom 26. Januar 1968 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung ab, weil die freiwillige Versicherung nicht rein persönliche, mit dem Privateigentum des Klägers zusammenhängende Tätigkeiten umfasse, der Unfall vom 13. April 1967 daher kein durch die Reichsversicherungsordnung (RVO) und die Satzung der Berufsgenossenschaft geschützter Unfall gewesen sei.
Das Sozialgericht (SG) Frankfurt (Main) hat die Klage auf Entschädigungsleistungen abgewiesen (Urteil vom 11. Dezember 1970): Die Satzung der Beklagten habe die Versicherung der Unternehmer auf Tätigkeiten für fremde Rechnung beschränkt; sie verweise in § 39 auf den gesetzlichen Umfang der Unfallversicherung. Der Kläger sei im Zeitpunkt des Unfalls nicht für fremde Rechnung tätig gewesen. Er habe vielmehr für eigene Rechnung gearbeitet; für seine Ehefrau sei er allenfalls mithelfender Familienangehöriger gewesen. Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, das Ereignis vom 13. April 1967 als Arbeitsunfall zu entschädigen (Urteil vom 4. Oktober 1972). Zur Begründung hat es u.a. folgendes ausgeführt: Wäre der Kläger im Unfallzeitpunkt nur für sein eigenes Hausgrundstück tätig gewesen, hätte es sich um eine rein eigenwirtschaftliche Verrichtung gehandelt. Denn wenn ein freiwillig versicherter Selbständiger nur für sich oder sein Alleineigentum tätig sei, übe er dabei keine unternehmerische Tätigkeit aus. Der Kläger sei aber im Unfallzeitpunkt auch als Architekt für das Miteigentum seiner Ehefrau tätig gewesen. Der Fall läge nicht anders, wenn der Kläger zusammen mit einer fremden Person Miteigentümer des Hausgrundstückes und in Bezug hierauf als Architekt tätig gewesen wäre. Somit habe der Kläger im Unfallzeitpunkt sowohl eine eigenwirtschaftliche, aber auch eine wesentlich dem Miteigentum seiner Ehefrau dienende unternehmerische und daher versicherte Tätigkeit ausgeübt. Es sei ohne Bedeutung, daß der Kläger das umgebaute Haus gemeinsam mit seiner Ehefrau habe bewohnen wollen. Die beabsichtigte Wohngemeinschaft habe die Fremdbestimmung eines wesentlichen Teils der unternehmerischen Tätigkeit des Klägers nicht aufheben können, weil dadurch in den hier entscheidenden Kriterien des Eigentums und des Güterstandes keine Änderung eingetreten sei. Unerheblich sei auch, ob dem Kläger aus dem Vermögen seiner Ehefrau ein Architektenhonorar zugeflossen sei und er dieses versteuert habe. Denn auch eine unentgeltliche Tätigkeit des Klägers hätte wesentlich unternehmerischen Zwecken gedient, da die Entgeltlichkeit hierfür kein wesentliches Merkmal sei. Nach der vom Kläger vorgelegten Abrechnung und einer eidesstattlichen Erklärung seiner Steuerbevollmächtigten sei am 31. Januar 1968 auf das Architektenhonorar von 4.000,- DM ein Abschlag von 2.000,- DM gezahlt worden, den der Kläger versteuert habe.
Der Kläger sei entgegen der Auffassung der Beklagten im Unfallzeitpunkt nicht als Haushaltungsvorstand tätig gewesen, auf den sich die freiwillige Unternehmerversicherung nicht erstrecke. Eine Architektentätigkeit gehöre nicht zum Aufgabenkreis eines Haushaltungsvorstandes, der nur die üblichen typischen Tätigkeiten umfasse.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat das Rechtsmittel eingelegt und wie folgt begründet: Die freiwillige Versicherung des Klägers beziehe sich nicht auf seine Person und sein Können als freiberuflicher Architekt, sondern auf sein von ihm betriebenes Architektenunternehmen, in welchem er seiner Unternehmereigenschaft wegen nur im Wegen nur im Wege der freiwilligen Versicherung des Unfallversicherungsschutzes habe teilhaftig werden können. Dieser Unfallversicherungsschutz beschränke sich aber auf seine Tätigkeit im Unternehmen. Private, eigenwirtschaftliche Verrichtungen, selbst wenn sie der Kläger in seiner Eigenschaft als freiberuflicher Architekt vornehme, fielen nicht darunter. Der Kläger sei bei der zum Unfall führenden Tätigkeit nicht in seinem Architektenunternehmen, sondern, wenn auch in seiner Architekteneigenschaft, so doch rein in seinem privaten Interesse und in demjenigen seiner Ehefrau, also im Interesse des gemeinschaftlichen Ehelebens und der ehelichen Lebensgemeinschaft tätig geworden. Unerheblich sei, daß er, vermutlich aus steuerlichen Gründen, sich und seiner Ehefrau ein Architektenhonorar in Rechnung gestellt habe und daß zwischen ihm und seiner Ehefrau Gütertrennung bestehe. Bei lebensnaher natürlicher Betrachtungsweise lasse sich schlechterdings keine versicherte Unternehmertätigkeit, sondern lediglich ein privates Handeln annehmen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. Oktober 1972 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 11. Dezember 1970 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er trägt vor, daß sowohl im Falle der Gütertrennung wie im Falle des gesetzlichen Güterstandes die Vermögen beider Ehegatten voneinander getrennt seien. Jedem der Eheleute stehe eine ideelle Hälfte des Grundstückes zu. Seine berufliche Tätigkeit habe, wie vom LSG zutreffend ausgeführt worden sei, dem Miteigentum seiner Ehefrau gedient. Diese Tätigkeit sei fremdbestimmt gewesen. Das schließe ihre Betrachtung als eigenwirtschaftlich aus. Sie habe auch nicht zur Haushaltsführung oder zum tatsächlichen Eheleben gehört. Das LSG habe ihm daher zu Recht eine Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zuerkannt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Kläger am 13. April 1967 einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten hat.
Der Kläger ist als selbständig tätiger Architekt bei der Beklagten gemäß § 545 Abs. 1 Satz 1 RVO i.V.m. § 39 ihrer Satzung gegen die Folgen von Arbeitsunfällen versichert. Er hat damit ein öffentlich-rechtliches Versicherungsverhältnis begründet, das hinsichtlich seines Umfangs dem der versicherungspflichtigen Personen entspricht (BSG 23, 248, 252; SozR Nr. 22 zu § 548 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 8. Aufl., S. 478 u). Der Versicherungsschutz erstreckt sich auf die mit dem Unternehmen des Klägers als Architekt im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten; er umfaßt dagegen nicht die dem unversicherten Lebensbereich zuzurechnenden Verrichtungen (BSG aaO; SozR Nr. 65 zu § 542 RVO aF; Teutsch, Die Versicherung der Unternehmer und unternehmerähnlichen Personen gegen Arbeitsunfälle in der Sozialversicherung, Schriftenreihe des Instituts für Versicherungswissenschaft an der Universität Köln, Neue Folge 1953 Heft 12, S. 135, 154).
Nach den von der Revision nicht angegriffenen und daher für das Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) ließ der Kläger das ihm und seiner Ehefrau je zur ideellen Hälfte gehörende Haus in F, P Weg ..., umbauen, wobei er als Architekt tätig war. Der Unfall ereignete sich am 13. April 1967 bei der Maßkontrolle von Deckenputzarbeiten in diesem Haus. Die Maßkontrolle gehört zu den Aufgaben eines Architekten, die er auch in fremden Bauten vornehmen muß.
Im Unterschied zu der Meinung des LSG hängt der Versicherungsschutz des Klägers nicht davon ab, daß er im Unfallzeitpunkt nicht ausschließlich für sein eigenes Hausgrundstück "rein eigenwirtschaftlich" tätig war, sondern zugleich für das Miteigentum seiner Ehefrau und damit eine fremdbestimmte unternehmerische Tätigkeit ausübte. Die Eigentumsverhältnisse sind für die Beurteilung der Frage, ob eine Tätigkeit dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen ist, unerheblich.
Führt ein der Unfallversicherung freiwillig beigetretener Unternehmer eine Tätigkeit aus, die zu dem Aufgabenbereich seines Unternehmens und zum persönlichen Lebensbereich gehört, so ist seit der Ablösung des Systems der Betriebsversicherung durch das System der Personenversicherung mit dem Inkrafttreten des Sechsten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (RGBl I 107) die Benutzung von Betriebseinrichtungen und fachmännischen Kenntnissen für sich allein nicht mehr ausschlaggebend dafür, ob die Tätigkeit dem versicherten oder unversicherten Bereich zuzurechnen ist (vgl. RVA EuM 23, 8). Es kommt jetzt auch in einem solchen Fall darauf an, ob die Verrichtung im Einzelfall mit der versicherten Tätigkeit im Unternehmen in einem rechtlich wesentlichen ursächlichen Zusammenhang steht (BSG 1, 258, 263; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl. Anm. 5 zu § 545). Obwohl der Kläger am 13. April 1967 auch mit für seinen privaten Lebensbereich tätig geworden ist, hat er nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG doch eine Tätigkeit ausgeübt, die ihrem Wesen nach dem Kreis der Verrichtungen zuzurechnen ist, derentwegen er als selbständiger Architekt bei der Beklagten versichert ist. Er stürzte bei der Durchführung von Maßkontrollen, also einer Tätigkeit, die wesentlich zu den Aufgaben eines Architekten gehört. In einem solchen Fall besteht nach der Auffassung des Senats noch ein ausreichender rechtlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Wie der Versicherungsschutz im einzelnen sonst abzugrenzen ist, braucht aus Anlaß dieses Falles nicht entschieden zu werden. Daß der Kläger mit seiner Ehefrau Gütertrennung vereinbart hat, seine Ehefrau auch Miteigentümerin des Hauses ist und er für seine Tätigkeit ein Honorar in Rechnung gestellt hat, auf das eine Abschlagszahlung geleistet und versteuert wurde, ist hier jedenfalls unerheblich.
Das LSG hat somit den Unfall des Klägers zutreffend gemäß § 548 RVO als Arbeitsunfall angesehen, für dessen Folgen die Beklagte Entschädigungsleistungen zu erbringen hat. Dem LSG ist auch darin zuzustimmen, daß im Hinblick auf die längere unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers eine Verurteilung der Beklagten dem Grunde nach (§ 130 SGG) gerechtfertigt ist.
Die Revision der Beklagten war daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1650743 |
BSGE, 113 |