Entscheidungsstichwort (Thema)
Regelaltersrente. Witwenrente. Versicherungszeiten, polnische. Wohnen. Aufenthalt, gewöhnlicher. Aufenthalt, unbefristet, rechtmäßiger. Aufenthaltserlaubnis, befristete
Leitsatz (amtlich)
1. Hält sich ein polnischer Rentner ausschließlich im Bundesgebiet auf und erhält er in dieser Zeit fortlaufend befristete Aufenthaltserlaubnisse, die aber das Ende des berechtigten Aufenthaltes nicht festsetzen, „wohnt” er in der Bundesrepublik Deutschland.
2. Zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts (Fortführung von BSG SozR 3-1200 § 30 Nr. 5).
Normenkette
AVG §§ 25, 40-41; SGB VI §§ 35, 46; RV/UVAbk Polen Art. 1 Nr. 2, Art. 4-5; SozSichAbk Polen Art. 27; RRG 1992 Art. 20 Nrn. 1, 3; SGB I § 30 Abs. 3; SGB IV § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 6. August 1992 und des Sozialgerichts Ulm vom 27. März 1991 abgeändert. Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 31. Mai 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 1989 sowie des Bescheides vom 21. November 1989 dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin Regelaltersrente und Hinterbliebenenrente zu gewähren.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist die Gewährung von Regelaltersrente und Witwenrente.
Die im Februar 1906 geborene Klägerin ist polnische Staatsbürgerin. Von August 1926 bis zum 30. Juni 1969 war sie in Polen versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 1. Juli 1969 erhielt sie dort Altersruhegeld (ARG). Ferner bezog sie aus der polnischen Versicherung ihres am 21. November 1966 verstorbenen Ehemannes eine Witwenrente. Der polnische Versicherungsträger stellte diese Rentenzahlungen mit dem 30. April 1989 ein. Hiervon wurde die beklagte Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) unterrichtet.
Zwischenzeitlich war die Klägerin am 16. Dezember 1988 mit einem Visum zur Familienzusammenführung zu ihrer in der Bundesrepublik Deutschland wohnenden und hier asylberechtigten Tochter eingereist. Seither lebt sie in der Wohnung der Familie ihrer Tochter. Sie erhält jeweils auf etwa ein Jahr befristete Aufenthaltserlaubnisse, die im Blick auf die Krankheiten der Klägerin antragsgemäß nahtlos erteilt werden. Die Klägerin ist wegen verschiedener Leiden, ua wegen der Folgen eines Schlaganfalles, auf die Betreuung und Versorgung durch Dritte angewiesen. Sie hat in Polen keinen Wohnraum und keine Familienangehörigen mehr.
Die Anträge der Klägerin vom 21. Dezember 1988, ihr ARG und Witwenrente zu gewähren, lehnte die BfA mit dem streitigen Bescheid vom 31. Mai 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 1989, beide das ARG betreffend, sowie durch den streitigen Bescheid vom 21. November 1989 ab, weil das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung (DPSVA) vom 9. Oktober 1975 (BGBl II 1976 S 396) nebst der Regierungsvereinbarung hierzu vom selben Tage (BGBl II 1976 S 401), in Bundesrecht transformiert durch das Zustimmungsgesetz vom 12. März 1976 (BGBl II 1976 S 393), in Kraft getreten am 1. Mai 1976 (BGBl II 1976 S 463), nicht zugunsten der Klägerin eingreife. Da sie weder eine Aufenthaltsberechtigung noch eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis habe und auch nicht als Asylberechtigte anerkannt sei, habe sie im streitigen Zeitraum keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland gehabt. Mangels deutscher Versicherungszeiten könne eine Rente nach dem Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) nicht gewährt werden.
Das Sozialgericht (SG) Ulm hat die Klägerin veranlaßt, statt der von ihr erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage mit dem Ziel zu erheben, daß verbindlich festgestellt werde, sie wohne seit dem 16. Dezember 1988 iS des DPSVA in der Bundesrepublik Deutschland. Diesem Antrag hat das SG durch Urteil vom 27. März 1991 stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg das Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Das Berufungsgericht ist folgender Ansicht: Nachdem die Beklagte während des Berufungsverfahrens bekundet habe, daß alte übrigen Voraussetzungen aller geltend gemachten Ansprüche vorlägen, wenn die Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes iS des DPSVA 1975 zugunsten der Klägerin entschieden werde, sei die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig. Sie sei aber nicht begründet. Die Rechtsstellung der Klägerin ergebe sich weiterhin aus dem DPSVA 1975, nicht aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale Sicherheit vom 8. Dezember 1990, in Kraft getreten am 1. Oktober 1991 (BGBl II 1991 S 1072), dem DPSVA 1990, das gemäß Zustimmungsgesetz vom 18. Juni 1991 (BGBl II 1991 S 741) als Bundesrecht gilt. Nach Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 1 DPSVA 1975 komme es für den Anspruch gegen den deutschen Versicherungsträger darauf an, ob die Klägerin im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wohne. Gemäß Art. 1 Ziff 2 DPSVA 1975 in der bis zum 30. Juni 1990 geltenden Fassung hätten die Begriffe „Wohnort” oder „wohnen” für die Bundesrepublik Deutschland den „Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes oder sich gewöhnlich aufhalten” bedeutet. Jedoch sei durch Art. 20 des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) zum 1. Juli 1990 in das Zustimmungsgesetz zum DPSVA 1975 ein Art. 1 a eingefügt worden. Danach habe gewöhnlichen Aufenthalt nur, wer sich im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland „unbefristet rechtmäßig aufhalte”. Hierdurch sei wegen der bislang aufgetretenen Streitigkeiten über den Begriff des „gewöhnlichen Aufenthaltes” für das DPSVA 1975 dieser Begriff einheitlich und klarstellend definiert worden (Hinweis auf den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung – 11. Ausschuß – in BT-Drucks 11/5530 und auf Hauck/Haines, Sozialgesetzbuch, SGB VI, Band 2, M 50, S 50, 119, 121). Hierfür spreche auch die „Besitzstandsregelung” in Art. 20 Nr. 3 RRG 1992. Da die Klägerin keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis habe, liege kein gewöhnlicher Aufenthalt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vor.
Zur Begründung der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von Art. 1 Nr. 2 DPSVA 1975, des § 30 Abs. 3 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) sowie Verstöße gegen das rechtsstaatliche Vertrauensschutzge- sowie Rückwirkungsverbot. Der neu eingefügte Art. 1 a des Zustimmungsgesetzes zum DPSVA 1975 sei richtigerweise so zu verstehen, daß es nicht auf die Befristung der Aufenthaltserlaubnis, sondern auf die des Aufenthaltes ankomme. Der Aufenthalt der Klägerin sei aber nicht befristet. Andernfalls läge eine Vertrags- und verfassungswidrige rückwirkende Einschränkung der vertraglichen Zusagen vor.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 6. August 1992 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 27. März 1991 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 31. Mai 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juli 1989 sowie des Bescheides vom 21. November 1989 zu verurteilen, der Klägerin Regelaltersrente und Witwenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 6. August 1992 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Nach Art. 20 Nr. 3 RRG 1992 solle aus Gründen des Vertrauensschutzes eine Rentenzahlung auch dann weiter erfolgen, wenn nach einer früher teilweise abweichenden Praxis der Rentenversicherungsträger ein gewöhnlicher Aufenthalt angenommen worden sei, ohne daß eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis vorgelegen habe. Einen Anspruch auf Fehlerwiederholung (Gleichbehandlung im Unrecht) habe die Klägerin nicht. Sie verkenne auch die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG). Insbesondere der 4. Senat des BSG habe in ständiger Rechtsprechung betont, daß der befristete Aufenthalt im Bundesgebiet stets unter der Prognose des vorübergehenden Verweilens stehe, also kein materielles Aufenthaltsrecht gewähre. Demgemäß habe der 11. Ausschuß des Bundestages (BT-Drucks 11/5530 S 70) die nachträgliche Einfügung des Art. 1 a in das Zustimmungsgesetz zum DPSVA 1975 wie folgt gerechtfertigt: „Entsprechend der einheitlichen Interpretation dieses Begriffes durch die Versicherungsträger soll er dahingehend definiert werden, daß gewöhnlicher Aufenthalt in diesem Sinne nur bei einem unbefristet rechtmäßigen Aufenthalt gegeben ist. Nur in diesem Fall kann davon ausgegangen werden, daß ein nicht nur vorübergehender Aufenthalt vorliegt. Die Definition hat lediglich eine klarstellende Bedeutung. Sie dient der Rechtssicherheit bei der innerstaatlichen Umsetzung des Abkommens. Ausländer haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet. Anders verhält es sich, wenn und soweit sich ein Ausländer im Einzelfall zB auf Grundrechte (Art. 3 – Gleichheit vor dem Gesetz –, Art. 6 – Schutz von Ehe und Familie –, Art. 16 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes ≪GG≫ – Asylrecht –) berufen kann. Die Anerkennung des Rechts auf einen unbefristeten Aufenthalt im Bundesgebiet wird durch die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis verwirklicht. Nur ein Recht zu einem unbefristeten Aufenthalt begründet einen gewöhnlichen Aufenthalt iS des Abkommens.” Ob ein Aufenthalt letztendlich dauerhaft ist oder nur vorübergehend, könne nur vorausschauend und nicht retrospektiv betrachtet werden, wie der 4. Senat des BSG entschieden habe.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Vorinstanzen hätten die Beklagte durch Grundurteil iS von § 130 Satz 1 Regelung 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) unter Aufhebung der streitigen Verwaltungsentscheidungen verurteilen müssen, der Klägerin ab 1. Mai 1989 eine Regelaltersrente aus ihren eigenen polnischen Versicherungszeiten sowie eine Hinterbliebenenrente/Rente wegen Todes (Witwenrente) aus der polnischen Versicherung ihres 1966 verstorbenen Ehemannes zu gewähren.
Keiner näheren Darlegung bedarf, daß entgegen der Annahme der Vorinstanzen eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nicht statthaft ist. Die Klägerin hat ihr auf die Gewährung einer Sozialleistung iS von § 11 SGB I, nämlich von Rentenleistungen gerichtetes Klagebegehren ursprünglich zutreffend in der Form kombinierter Anfechtungs- und Leistungsklage iS von § 54 Abs. 4 SGG erhoben. Für beide Klagebegehren ist Voraussetzung ua, daß sie seit dem 1. Mai 1989 iS von Art. 1 Nr. 2 DPSVA 1975 im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wohnt. Hierbei handelt es sich um ein bloßes Anspruchselement, kein Rechtsverhältnis iS von § 55 SGG, insbesondere auch nicht um einen der dort geregelten Fälle der Zulässigkeit einer Elementenfeststellungsklage. Schon deswegen ist nicht weiter darzulegen, daß auch die prozeßökonomische Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber den Gestaltungs- und Leistungsklagen (einschließlich der Verpflichtungsklage) jedenfalls bei Streitigkeiten um die Gewährung von Sozialleistungen iS von § 11 SGB I der Zulässigkeit eines kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsantrags entgegenstand. Die Tatsacheninstanzen sind insbesondere nicht befugt, sich aufgrund rechtlich unverbindlicher Erklärungen von Leistungsträgern, die übrigen Anspruchsvoraussetzungen lägen („dem Grunde nach”) vor, auf die Prüfung bloß der angeblich noch „streitigen” Anspruchselemente zurückzuziehen. Hierin liegt eine dem Gedanken der Prozeßökonomie iS des SGG widerstreitende Verletzung der Pflicht, den gesamten, nach dem maßgeblichen Begehren des Klägers (§ 123 SGG) streitgegenständlichen (und beweisbedürftigen) Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären und die entscheidungserheblichen Tatsachen selbst festzustellen.
Da aber die Klägerin ihr wirkliches Klagebegehren (§ 123 SGG), nämlich die Verurteilung der Beklagten zu Rentenzahlungen, in allen Stadien des Verfahrens betont hat und die ihr von den Vorinstanzen rechtsirrig vorgeschlagene Fassung der Anträge nicht bindend ist, hat das Revisionsgericht den Rechtsstreit auf der Grundlage kombinierter Anfechtungs- und Leistungsklage zu beurteilen. Obwohl die Vorinstanzen den Streitgegenstand verkannt haben, reichen die vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die der Senat gebunden ist (§§ 163, 164 Abs. 2 Satz 3 SGG), aus, den Rechtsstreit iS des Erlasses des begehrten Grundurteils abschließend zu entscheiden.
Gemäß Art. 5 Abs. 1 und 2 DPSVA 1975 hat die BfA für die Zeit nach Einstellung der Rentenzahlung durch den polnischen Versicherungsträger, dh ab 1. Mai 1989, die begehrten Renten zu zahlen. Denn die Klägerin hatte als Rentnerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verlegt und die Rentengewährung rechtzeitig beantragt. Nach Art. 4 Abs. 2 DPSVA 1975 hat die BfA bei der Feststellung der Renten nach den für sie geltenden Vorschriften Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten und diesen gleichgestellte Zeiten in Polen so zu berücksichtigen, als ob sie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden wären. Nach den Auskünften des polnischen Versicherungsträgers, die auf den nach der Durchführungsvereinbarung zum DPSVA 1975 vorgeschriebenen Vordrucken abgegeben worden sind, unterliegt keinem Zweifel, daß die 1906 geborene Klägerin vor dem 1. Mai 1989 aus eigener polnischer Versicherung die Wartezeit für die Regelaltersrente (§ 25 Abs. 5 AVG; § 35 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB VI ≫) und ferner aus den polnischen Versicherungszeiten ihres 1966 verstorbenen Ehemannes diejenige für die Witwenrente (Hinterbliebenenrente/Rente wegen Todes – §§ 41, 40 AVG/§ 46 SGB VI) erfüllt hat. Die Grundvoraussetzungen für die begehrten Renten liegen also unter Anwendung des DPSVA 1975 vor. Die Ermittlung der Höhe der Rentenleistungen ist dem im Verwaltungsverfahren durchzuführenden „Nachverfahren” vorbehalten.
Dem LSG und der Beklagten kann nicht darin gefolgt werden, die Anwendung des DPSVA 1975 scheitere daran, daß die Klägerin seit Mai 1989 entgegen Art. 1 Nr. 2 DPSVA 1975 in der Bundesrepublik Deutschland nicht „wohne”.
Gemäß Art. 1 Nr. 2 DPSVA 1975 bedeuten für die Anwendung dieses Abkommens die Begriffe „Wohnort” oder „wohnen” für die Bundesrepublik Deutschland den Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes oder „sich gewöhnlich aufhalten”. Im gesamten Vertragswerk wurde 1975/1976 keine Bestimmung darüber getroffen, daß der Ausdruck „gewöhnlicher Aufenthalt” (oder: „sich gewöhnlich aufhalten”) anders als in § 30 Abs. 3 SGB I zu verstehen sei. Nach ständiger und einheitlicher Rechtsprechung des BSG (stellvertretend BSG: SozR 3-6710 Art. 4 Nr. 5 S 20; SozR 3-1200 § 30 Nr. 5 S 9, mwN) wollten die Vertragschließenden zur Vermeidung einer Rechtsanwendungskollision erkennbar an den innerstaatlichen Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes anknüpfen, der in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I umschrieben ist.
Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes (ebenso wie der des Wohnsitzes) knüpft jedenfalls im gesamten Sozialversicherungsrecht (§ 1 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB IV ≫; anders zum Kindergeldrecht BSG Urteile vom 15. Dezember 1992, 10 RKg 12/92; 10 RKg 11/92 mwN) in erster Linie an die – objektiv gegebenen – tatsächlichen Verhältnisse an. Er setzt (bei Kollisionsnormen des „internationalen” Sozialrechts) vor allem voraus, daß der Betreffende im streitigen Beitrags- oder Leistungszeitraum den örtlichen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland hat. Das bedeutet grundsätzlich auch daß er sich in dieser Zeit überwiegend im Inland aufhalten muß. „Dauerhaft” ist dieser Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Dabei ist ein Domizilwille, der mit den sonstigen tatsächlichen Umständen nicht übereinstimmt, rechtlich unerheblich (vgl. auch BSG SozR 3-5850 § 3 c Nr. 2 zum deutschen Auswanderer). Ob der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse (eines Deutschen oder eines Ausländers) faktisch dauerhaft im Inland liegt, ist unter Würdigung aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalles zu beantworten. Dabei kommt es auf die Tatsachen an, die bei Beginn des streitigen Zeitraumes und während seiner Dauer (ggf bis zu einer in diesem Zeitraum zu erlassenden behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung) jeweils objektiv vorlagen. Es kommt also gerade nicht auf eine spekulative Abwägung (rechtlich untechnisch: „Prognose”) zukünftiger Geschehnisse an. Denn der tatsächliche Aufenthalt muß (bereits oder noch) „gewöhnlich” sein, es nicht erst werden (dazu im einzelnen: BSG SozR 3-1200 § 30 Nr. 5 S 8; BSGE 67, 243 = SozR 3-7833 § 1 Nr. 2; SozR 3-7833 § 1 Nr. 3; BSGE 65, 261 = SozR 7833 § 1 Nr. 7; SozR 3-6180 Art. 13 Nr. 2 S 8 f, jeweils mwN). Die Ausführungen der Beklagten dazu, weshalb die Klägerin aus ausländerrechtlichen Gründen keinen gewöhnlichen Aufenthalt habe, verkennen den hier maßgeblichen Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes und die dazu ergangene Rechtsprechung des BSG:
Nur bei Ausländern (dh allen Personen, die nicht Deutsche iS des Art. 116 Abs. 1 GG sind) wird der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes durch rechtliche Voraussetzungen – die bei Deutschen von Verfassungs wegen erfüllt und daher nicht problematisch sind, die aber bei ihnen fehlen können – in den von Art. 3 GG gezogenen Grenzen modifiziert. Diese Personen stehen – wie auch die Klägerin – in aller Regel als Staatsbürger ihres Heimatstaates zu diesem in einem besonderen Rechtsverhältnis, das sie grundsätzlich unter dessen Schutz und Fürsorge (Personalhoheit) stellt und ihnen rechtlich die jederzeitige Heimkehr dorthin erlaubt. Kehrseite hierzu ist, daß ein Ausländer, der sich in Deutschland aufhält, unmittelbar kraft Gesetzes (§ 42 Abs. 1 des Ausländergesetzes ≪AuslG≫ vom 9. Juli 1990 – BGBl I S 1126) zur Ausreise verpflichtet ist, wenn er eine (nach den §§ 2, 3 AuslG) erforderliche Aufenthaltsgenehmigung nicht oder nicht mehr besitzt. Die Rechtsordnung widerspräche sich selbst, wenn sie den rechtswidrigen Aufenthalt eines ausreisepflichtigen Ausländers als „gewöhnlichen” Inlandsaufenthalt anerkennen und den Erwerb von Rechten und Ansprüchen daran knüpfen würde. Deshalb hat ein Ausländer, der tatsächlich dauerhaft im Inland verweilt, nur dann „gewöhnlichen Aufenthalt”, wenn er sich berechtigterweise hier aufhält (BSGE 65, 261, 263 f = SozR 7833 § 1 Nr. 7 – Vorbehalt des materiell berechtigten Aufenthaltes).
Nur bei Ausländern kann es (nach Maßgabe der Vorschriften in den verschiedenen Versicherungszweigen – sog Einfärbung) aus Rechtsgründen an der für den gewöhnlichen Aufenthalt erforderlichen „Dauerhaftigkeit” iS der Zukunftsoffenheit fehlen. Dies ist der Fall, wenn (sobald) im jeweils streitigen Zeitraum bereits eine bindende Entscheidung der dafür allein zuständigen Ausländerbehörde vorliegt, die den Aufenthalt des Ausländers (nicht: die Wirksamkeit der Aufenthaltsgenehmigung) auflösend befristet oder an einen vorübergehenden Zweck bindet („auflösend bedingt”). Es muß also schon eine verbindliche Einzelfallentscheidung über das („endgültige”) Ende des (berechtigten) Aufenthaltes getroffen worden sein. Entscheidend ist der Inhalt der Aufenthaltsgenehmigung, nicht die verfahrensrechtliche Befristung ihrer Wirksamkeit. Nach dem bis zum 31. Dezember 1990 geltenden AuslG, das für die Erteilung der materiellen Berechtigung zum dauerhaften Verweilen im Inland nur die Aufenthaltsberechtigung und die Aufenthaltserlaubnis vorsah, konnte allerdings die Befristung einer Aufenthaltserlaubnis (befristeter Verwaltungsakt) Indiz für eine endgültige und auflösende Befristung des Aufenthaltes (befristender Verwaltungsakt) sein, wenn diese Erlaubnis nur zu einem vorübergehenden Zweck erteilt worden war. Für derartige Fallgestaltungen sieht das seit dem 1. Januar 1991 gültige AuslG die Aufenthaltsbewilligung vor (§ 28 AuslG). Im übrigen konnte und kann gemäß § 15 AuslG nF allein der Befristung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entnommen werden, daß eine den gebilligten Aufenthalt befristende (oder ihn „auflösend bedingende”) Entscheidung ergangen ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Auslegung einer bindenden Aufenthaltserlaubnis ergibt, daß sie eine auf den Einzelfall bezogene Entscheidung über das „endgültige” Ende des Aufenthaltes verlautbart.
Nach diesen rechtlich maßgeblichen Kriterien hat die Klägerin im streitigen Zeitraum durchgehend im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland „gewohnt”: „Die hochbetagte und wegen Krankheit auf die Betreuung durch ihre Angehörigen angewiesene Klägerin, die sich deswegen nach Deutschland begeben hat, hat sich seit Dezember 1988 ausschließlich im Bundesgebiet aufgehalten. Sie hatte keine ortsbezogene Auslandsberührung mit Polen mehr. Am 1. Mai 1989 und seither hat sie faktisch dauerhaft den Schwerpunkt ihrer Lebensverhältnisse im Inland. Da die zuständige Ausländerbehörde der Klägerin durchgehend Aufenthaltserlaubnisse erteilt hat, war dieser Aufenthalt materiell rechtmäßig. Die Ausländerbehörde hat bislang keinen bindenden, den rechtmäßigen Aufenthalt auflösend befristenden oder „auflösend bedingenden” Verwaltungsakt erlassen. Insbesondere kann den gesetzlich vorgeschriebenen Befristungen der Wirksamkeit der einzelnen Aufenthaltserlaubnisse keine Entscheidung entnommen werden, der Klägerin dürfe nach Ablauf der jeweiligen Frist eine Aufenthaltserlaubnis nicht wieder erteilt werden; ebensowenig ist entschieden und verlautbart worden, die Klägerin müsse zu einem bestimmten Zeitpunkt oder bei Eintritt bestimmter Bedingungen das Inland verlassen; erst recht ist keine Ausweisungsverfügung (§ 45 AuslG nF) ergangen.
An dieser Rechtslage, die seit 1976 besteht, hat Art. 20 Nr. 1 RRG 1992 nichts geändert. Mit dieser am 1. Januar 1990 in Kraft getretenen Vorschrift (Art. 85 Abs. 5 RRG 1992) hat der Bundesgesetzgeber von diesem Zeitpunkt ab in sein am 12. März 1976 beschlossenes Vertragsgesetz einen Art. 1 a mit folgendem Wortlaut eingefügt: „Einen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des Art. 1 Nr. 2 des Abkommens hat im Geltungsbereich des Gesetzes nur, wer sich dort unbefristet rechtmäßig aufhält.” Wie die Beklagte zutreffend vorträgt, dient diese Bestimmung dazu, die bisherige Rechtslage klarzustellen. Nach den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 11/5530 S 70) ist nicht ersichtlich, daß eine einseitige und einschneidende Abänderung des mit der Volksrepublik Polen vereinbarten Vertragsinhalts angestrebt worden wäre. Die von der Beklagten gewählte Auslegung des Art. 1 a des Zustimmungsgesetzes zum DPSVA 1975 nF hätte aber genau dies zur Folge: Während bis zum 1. Januar 1990 der gewöhnliche Aufenthalt eines Polen in Deutschland nicht davon abhing, daß er eine (frühestens nach fünf Jahren rechtmäßigen Inlandsaufenthalts erteilbare) Aufenthaltsberechtigung, unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder anerkannte Asylberechtigung hatte, wäre nunmehr die Anwendbarkeit des DPSVA 1975 zugunsten polnischer Staatsbürger von der jeweiligen Ausgestaltung des deutschen Ausländerrechts abhängig und dabei auf relativ seltene Ausnahmefälle begrenzt. Da der polnische Vertragspartner einer derart einschneidenden einseitigen Zurücknahme des vertraglich zugesagten Leistungsversprechens – soweit ersichtlich – nicht zugestimmt hat, wäre die Annahme schwerlich zu vermeiden, daß die Gesetzgebungsorgane des Bundes gegen die gemäß Art. 25 Satz 1 und 2 GG auch für sie verbindliche Regel des Völkerrechts verstoßen hätten, daß Verträge einzuhalten sind. Hierauf und auf die von der Klägerin angesprochenen schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die von der Beklagten gewählte Auslegung des neuen Art. 1 a des Zustimmungsgesetzes zum DPSVA 1975 ist jedoch nicht weiter einzugehen. Denn die gesetzliche Klarstellung des Begriffs des „gewöhnlichen Aufenthaltes” greift die oben dargestellte höchstrichterliche Rechtsprechung auf:
Art. 20 Nr. 1 RRG 1992 betont, daß die in § 30 Abs. 3 SGB I hervorgehobene Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verhältnisse (faktisch dauerhafter Lebensschwerpunkt im Inland) unter dem Vorbehalt des berechtigten Aufenthalts steht und insoweit der Modifizierung bedarf. Mit dem Zusatz, daß der polnische Versicherte, der sich im Bundesgebiet rechtmäßig aufhält, sich dort „unbefristet” aufhalten muß, ist – wie die Klägerin richtig vorträgt – gesagt, daß dem Aufenthalt nach seinem rechtlich erlaubten Inhalt noch kein „endgültiges” Ende bindend bestimmt sein darf.
Das bedeutet: „Unbefristet” rechtmäßig hält sich im Inland auf, wem eine Aufenthaltserlaubnis erteilt worden ist, in der nicht entschieden ist, daß das Recht zum Verweilen im Inland bei Erreichung eines bestimmten Zweckes oder zu einem bestimmten Zeitpunkt erlöschen soll. Diese Voraussetzung liegt bei der kraft Gesetzes in den ersten Jahren des Inlandsaufenthaltes zu befristenden Aufenthaltserlaubnis nicht vor, wenn die Befristung nur die Wirksamkeit der Aufenthaltserlaubnis vom Ablauf eines bestimmten Zeitraums abhängig macht, jedoch die zeitlich nahtlose Wiedererteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht ausschließt. Bei diesem Verständnis des Art. 1 a des Zustimmungsgesetzes zum DPSVA 1975 nF kann der Intention der Vertragspartner Rechnung getragen werden, die gemäß Art. 5 Abs. 1 und Abs. 4 DPSVA 1975 es einem Rentner durchaus ermöglichen wollten, seinen gewöhnlichen Aufenthalt in den Vertragsstaaten nicht nur frei zu wählen, sondern auch hin und zurück zu wechseln. Ebenso ist für Art. 20 Nr. 3 RRG 1992 ein Anwendungsspielraum eröffnet, soweit Versicherungsträger vor dem 1. Juli 1990 einen polnischen Versicherten unter Anwendung des DPSVA 1975 eine Rente zuerkannt haben, obwohl die og Voraussetzungen eines gewöhnlichen Aufenthaltes im Inland nicht vorlagen.
Im Ergebnis richtig hat das LSG erkannt, daß die Vorschriften des DPSVA 1990, das seit dem 1. Oktober 1991 in Kraft getreten ist und grundsätzlich alle ab 1. Januar 1991 entstandenen Ansprüche, eingetretenen Leistungsfälle und erworbenen Anwartschaften erfaßt (Art. 27 DPSVA 1990), auf die seit Dezember 1988 im Bundesgebiet wohnende Klägerin und ihre am 1. Mai 1989 entstandenen Rentenansprüche gegen die Beklagte nicht anwendbar ist. Hierfür gilt das nach dem Integrationsprinzip ausgestaltete DPSVA 1975, nicht das auf dem Leistungsexportprinzip beruhende DPSVA 1990. Dieses greift gemäß Art. 27 Abs. 2 Satz 1 DPSVA 1990 nicht ein, solange die Klägerin auch nach dem 31. Dezember 1990 ihren Wohnort im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beibehält.
Nach alledem mußte die Revision der Klägerin Erfolg haben. Die Beklagte hat ihr dem Grunde nach seit dem 1. Mai 1989 Regelaltersrente und Witwenrente zu gewähren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG.
Unterschriften
Rauscher, Tüttenberg, Dr. Meyer
Fundstellen