Prof. Dr. rer. pol. Hanno Kirsch
Rz. 4
Die Umstellung der Rechnungslegung vollzieht sich (häufig auch zeitlich getrennt) in mehreren Phasen, zwischen denen teilweise Rückkoppelungen auftreten können.
Abb. 1: Phasen der Umstellung der Rechnungslegung
2.1 Identifikation von potenziellen Bilanzierungs- und Bewertungsunterschieden
Rz. 5
In der 1. Phase empfiehlt es sich, die potenziellen Unterschiede in Bilanzierung und Bewertung, z. B. im Rahmen eines Workshops, zu ermitteln. Teilnehmer dieses Workshops sollten Führungskräfte und Mitarbeiter des Finanz- und Rechnungswesens des auf IFRS umstellenden Unternehmens sowie externe Berater mit Erfahrung in entsprechenden Umstellungsprojekten sein.
Zweckmäßigerweise sollten zunächst im Rahmen einer Analyse des Jahresabschlusses die Bilanzpositionen einzeln auf Anpassungen untersucht werden. Die Auswirkungen der Bilanzierungs- und Bewertungsänderungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung brauchen in dieser Phase noch nicht weiter untersucht zu werden, da der erste Schritt zur Umsetzung der IFRS-Vorschriften die Erstellung der Eröffnungsbilanz bildet. Die einen IFRS-Abschluss aufstellenden Unternehmen haben zudem die Wahl zwischen der Anwendung des Gesamtkosten- und des Umsatzkostenverfahrens in der Gewinn- und Verlustrechnung; weiterhin schreibt IFRS nur einen Mindestausweis von GuV-Posten vor, der mit dem Gliederungsschema des HGB grundsätzlich kompatibel ist.
Rz. 5a
Bilanzierungsunterschiede zwischen der HGB- und der IFRS-Rechnungslegung treten insbesondere hinsichtlich folgender Sachverhalte auf:
- selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens, wenn handelsrechtlich nicht von dem Aktivierungswahlrecht nach § 248 Abs. 2 Satz 1 HGB Gebrauch gemacht wird; hierbei sei unterstellt, dass die Voraussetzungen für die Ausübung des Aktivierungswahlrechts (im Wesentlichen) mit den Aktivierungskriterien des IAS 38.57 übereinstimmen (hierfür sprechen eine Reihe einzelner Indizien).
- aktive latente Steuern: Während handelsrechtlich für einen Überhang der aktiven temporären Differenzen, einschließlich der sich innerhalb der nächsten 5 Jahre voraussichtlich ausgleichenden steuerlichen Verlustvorträge, über die passiven temporären Differenzen nur ein Ansatzwahlrecht besteht, gilt nach IFRS sowohl für aktive als auch passive latenten Steuern eine Ansatzpflicht. Der Ansatz von aktiven latenten Steuern auf steuerliche Verlustvorträge ist davon abhängig, dass es wahrscheinlich ist, dass ein künftig zu versteuerndes Ergebnis zur Verfügung stehen wird, gegen das die noch nicht genutzten steuerlichen Verluste verwendet werden können; eine zeitliche Beschränkung für die in den aktiven latenten Steuern abzugrenzenden Verlustvorträge besteht hingegen nicht. Bei Ausübung des handelsrechtlichen Aktivierungswahlrechts können die Unterschiede zu den IFRS verringert, aber insbesondere bei nur über einen längerfristigen Zeitraum nutzbaren steuerlichen Verlustvorträge nicht gänzlich vermieden werden.
- Bilanzierung von derivativen Geschäfts- oder Firmenwerten: Für die nach Erstanwendung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes entstandenen erworbenen Geschäfts- oder Firmenwerte besteht nach § 246 Abs. 1 Satz 4 HGB ein Aktivierungsgebot. Sofern Geschäfts- oder Firmenwerte vor Erstanwendung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes entweder erfolgsneutral gegen das Eigenkapital verrechnet wurden oder über einen kürzeren Zeitraum als die voraussichtliche Nutzungsdauer abgeschrieben wurden, kommt jedoch aufgrund der expliziten Regelung des Art. 66 Abs. 3 Satz 2 EGHGB eine Nachaktivierung nicht in Betracht. Allerdings ist zu beachten, dass IFRS 1.18 i. V. m. Appendix C für diesen Fall ein Wahlrecht bei der Aufstellung der IFRS-Eröffnungsbilanz enthält.
- Bilanzierung von derivativen Finanzinstrumenten: Unter der Voraussetzung, dass diese nicht in einer Sicherungsbeziehung bzw. Bewertungseinheit stehen, sind diese im Falle eines positiven Marktwerts nach IFRS anzusetzen und als erfolgswirksam zum beizulegenden Zeitwert bewertete finanzielle Vermögenswerte zu klassifizieren und zum Fair Value anzusetzen, während sie nach HGB als schwebende Geschäfte grundsätzlich nicht zu bilanzieren sind.
- Disagio: handelsrechtliches Aktivierungswahlrecht nach § 250 Abs. 3 HGB. Sofern es sich (im Normalfall) um zu fortgeführten Anschaffungskosten bewertete finanzielle Verbindlichkeiten handelt, sind diese mit einem Disagio verbundenen finanziellen Verbindlichkeiten zu den nach Maßgabe der Effektivzinsmethode fortgeführten Anschaffungskosten zu bewerten.
- Rückstellung für unterlassene Instandhaltungen, die im folgenden Geschäftsjahr innerhalb von 3 Monaten nachgeholt werden oder Rückstellung für unterlassene Abraumbeseitigungen, die im folgenden Geschäftsjahr nachgeholt werden (§ 249 Abs. 1 Satz 2 HGB). Da es sich bei diesen Rückstellungen um Aufwandsrückstellungen handelt und das Unternehmen somit weder eine rechtliche noch eine faktische gegenwärtige Verpflichtung hat (vgl. IAS 37.14...