Entscheidungsstichwort (Thema)
Benachrichtigungszettel am Gartentor über Niederlegung (eines Strafbefehls) bei der Post
Leitsatz (redaktionell)
Wird die Mitteilung über die Niederlegung der Post beim Postamt am Gartentor befestigt und damit dem nahezu beliebigen Zugriff Dritter und Witterungseinflüssen preisgegeben, so liegt keine wirksame Zustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt vor.
Normenkette
ZPO § 182; GG Art. 103 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4; StPO §§ 44, 33a, 37
Tenor
Der Beschluß des Landgerichts Düsseldorf vom 20. August 1986 – XII Qs 98/86 – und der im Verfahren nach § 33a StPO ergangene Beschluß des Landgerichts Düsseldorf vom 7. November 1986 – XII Qs 130/86 verletzen Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.
Die Sache wird zur Entscheidung über die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Verwerfung des Einspruchs an das Landgericht Düsseldorf zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Gründe
I.
1. Gegen den Beschwerdeführer wurde vom Amtsgericht Düsseldorf unter dem 9. Mai 1986 ein Strafbefehl erlassen und dessen Zustellung durch die Post angeordnet.
Die Sendung war an den Beschwerdeführer unter der Anschrift „R B bei H, D” adressiert. Unter dieser Anschrift bewohnt Frau H, mit der der Beschwerdeführer in Wohngemeinschaft lebt, in einer Gartensiedlung ein von einem eingezäunten Garten umgebenes Behelfsheim. Garten und Haus sind von der Straße aus durch ein Gartentörchen zu erreichen, an dem sich eine Klingel befindet. Ein Briefkasten war an dem Tor nicht angebracht. Frau H hat ein Postfach eingerichtet, für das der Beschwerdeführer seinerzeit keine Abholerklärung abgegeben hatte.
Bei ihrem Versuch, den Strafbefehl zuzustellen, traf die Postzustellerin niemand an. Der Strafbefehl wurde am 15. Mai 1986 beim Postamt niedergelegt.
Zu dem Nachweis, daß der Zustellungsempfänger von einer Niederlegung benachrichtigt wurde, sieht die vorgedruckte Postzustellungsurkunde folgende Angaben vor, die den von § 182 ZPO zugelassenen Benachrichtigungsmöglichkeiten entsprechen:
„8.1 – Wie bei gewöhnlichen Briefen üblich – in den Hausbriefkasten eingelegt.
8.2 In der für ihn bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben, nämlich (Art der Abgabe). … …
8.3 Herrn/Frau/Fräulein…
der/die in der Nachbarschaft wohnt, zur Weitergabe an den Empfänger ausgehändigt, da die Abgabe in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise nicht tunlich war.
8.4 An der Wohnungstür des Empfängers befestigt, da die Abgabe in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise nicht tunlich war.”
Die Postzustellerin trug handschriftlich in die unter 8.2 zur Ausfüllung vorgesehene leere Zeile ein:
„Briefkasten nicht vorhanden, Wohnungstür nicht zu erreichen, Benachrichtigung an Hausklingel befestigt.”
Eine weitere, bereits mit einem Rechtskraftvermerk versehene Ausfertigung des Strafbefehls wurde dem Beschwerdeführer durch einfachen Brief Ende Mai 1986 übersandt.
Am 10. Juni 1986 ging beim Amtsgericht Düsseldorf ein auf den 7. Juni 1986 datiertes persönliches Einspruchsschreiben des Beschwerdeführers ein, in dem er u.a. erwähnt, den Strafbefehl am 5. Juni 1986 erhalten zu haben.
Mit – durch die Verfassungsbeschwerde angegriffenen – Beschluß des Amtsgerichts Düsseldorf vom 1. Juli 1986 wurde der Einspruch als unzulässig verworfen, weil er verspätet sei. Der Strafbefehl sei ausweislich der Postzustellungsurkunde am 15. Mai 1986 zugestellt worden.
Der Beschwerdeführer ließ hiergegen durch seinen Verteidiger Beschwerde einlegen und hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. Der Strafbefehl sei dem Beschwerdeführer nur formlos bekanntgeworden, als er ihn Anfang Juni 1986 als normalen Brief im Postfach der Frau H vorgefunden habe. Hinsichtlich einer in der Entscheidung vom 1. Juli 1986 erwähnten Zustellung durch Niederlegung könnten nur Mutmaßungen angestellt werden.
Nachdem der Verteidiger Akteneinsicht erhalten hatte, ließ der Beschwerdeführer ergänzen, die in der Postzustellungsurkunde angegebene „Hausklingel” des Anwesens R B sei am Gartentörchen angebracht. Der Benachrichtigungszettel über die Niederlegung des Strafbefehls sei also nicht in der von § 182 ZPO i.V.m. § 37 StPO vorgeschriebenen Weise hinterlassen worden. Er, der Beschwerdeführer, habe niemals einen Benachrichtigungszettel erhalten oder in sonstiger Weise Kenntnis von der Niederlegung erlangt.
Mit Beschluß vom 20. August 1986, der ebenfalls mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen wird, verwarf die XII. Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf die Beschwerde. Gemäß § 182 ZPO habe die Benachrichtigung über die Niederlegung auf die geschehene Weise erfolgen dürfen. Hierbei komme es auf die vom Postzusteller beim einzelnen Zustellungsadressaten praktizierte und von diesem jedenfalls hingenommene Übung an. Da der Beschwerdeführer für ausreichende Postempfangsmöglichkeit keine Sorge getragen habe, reiche die Benachrichtigung an der Hausklingel aus.
Der Beschwerdeführer verfolgte daraufhin den bereits hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag weiter und trug vor, manchmal lege die Post für ihn bestimmte Sendungen in das genannte Postfach der Frau H ein, manchmal sende sie sie auch an den Absender zurück. In anderen Fällen wiederum werde Post für ihn in der F in D abgegeben, wo eine Tochter von Frau H wohne. Für ihn sei nicht ersichtlich, wieso von der Beschwerdekammer angenommen werde, bei der Hinterlassung des Benachrichtigungszettels an der Klingel des Gartentores sei nach einer von ihm gebilligten Übung verfahren worden; hierzu sei er auch nicht gehört worden. Noch nie sei für ihn bestimmte gewöhnliche Post am Gartentor befestigt worden. Er bitte, ggf. den beurkundenden Postboten zu der Niederlegung zu vernehmen. Dem Schriftsatz war eine eidesstattliche Versicherung der Frau E H beigefügt, in der diese die Angaben des Beschwerdeführers bestätigte.
Mit Beschluß vom 30. September 1986 verwarf das Amtsgericht Düsseldorf den Wiedereinsetzungsantrag; auch hiergegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde. Der Beschwerdeführer habe es sich selbst zuzuschreiben, daß er in Kenntnis des gegen ihn anhängigen Ermittlungsverfahrens keine besseren Zustellungsmöglichkeiten geschaffen habe.
Mit Schriftsatz vom 13. Oktober 1986 ließ der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde einlegen.
Mit Schriftsatz gleichen Datums beantragte er, hinsichtlich des Beschlusses vom 20. August 1986 „das rechtliche Gehör nachzuholen”. Da er niemals Postsendungen an der Gartentüre vorgefunden habe, sei der Benachrichtigungszettel nicht in der i.S. des § 182 ZPO üblichen Weise hinterlassen worden.
Mit Beschluß vom 7. November 1986 verwarf die XII. Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf die sofortige Beschwerde. Es stehe rechtskräftig fest, daß der Strafbefehl wirksam zugestellt worden sei. Der Beschwerdeführer habe aufgrund seiner Beschuldigtenvernehmung mit Zustellungen in der vorliegenden Sache rechnen können und daher für ausreichende Postempfangsmöglichkeiten sorgen müssen.
Mit Beschluß vom gleichen Tag wurde ausgesprochen, daß die Ausführungen des Beschwerdeführers im Schriftsatz vom 13. Oktober 1986 der Kammer keinen Anlaß gäben, den rechtskräftigen Beschluß vom 20. August 1986 aufzuheben.
Auch diese beiden dem Beschwerdeführer am 13. November 1986 zugegangenen Beschlüsse sind mit der am Sonntag, dem 14. Dezember 1986 eingegangenen Verfassungsbeschwerde angegriffen.
2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG. Einer durch Strafbefehl verurteilten Person dürfe das rechtliche Gehör nicht versagt werden.
Bei der gebotenen restriktiven Auslegung der gesetzlichen Regelungen über die Zustellung sei von der Unwirksamkeit der am 15. Mai 1986 versuchten Zustellung auszugehen, weil das Gartentörchen des Anwesens R B nicht der Wohnungstür i.S. der § 182 ZPO, § 37 StPO gleichgesetzt werden könne. Die Verwerfung des Einspruchs habe daher spätestens im Verfahren nach § 33a StPO korrigiert werden müssen.
Unter den gegebenen Umständen sei es auch unvertretbar, daß das Wiedereinsetzungsgesuch in zwei Instanzen verworfen worden sei. Selbst wenn es nicht den postalischen Vorschriften entsprochen haben sollte, daß am Gartentor kein Briefkasten angebracht war, habe der Beschwerdeführer darauf vertrauen dürfen, daß die Zustellungsvorschriften eingehalten würden. Es sei von ihm „zuviel verlangt”, daß er nach seiner Beschuldigtenvernehmung die „Postzulieferungsschwierigkeiten” habe beheben müssen.
3. Der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde abgesehen.
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
a) Auch hinsichtlich der im Verfahren über den Einspruch ergangenen Beschlüsse vom 1. Juli und 20. August 1986 ist die Verfassungsbeschwerde fristgerecht erhoben worden (§ 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
Zwar hat der Beschwerdeführer innerhalb eines Monats nach Zustellung der Beschwerdeentscheidung vom 20. August 1986 gegen diese weder Verfassungsbeschwerde erhoben noch den Antrag nach § 33a StPO gestellt (vgl. dazu BVerfGE 19, 198 ≪200≫). Ob hier die für die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde geltende Frist durch die erst am 13. Oktober 1986 gemäß § 33a StPO erfolgte Anrufung des Landgerichts erneut in Gang gesetzt werden konnte, kann hier – ebenso wie in BVerfGE a.a.O. – offenbleiben. Der Beschwerdeführer hat nämlich mit seinem rechtzeitig gestellten Wiedereinsetzungsantrag, der im wesentlichen auf die Unwirksamkeit der Zustellung des Strafbefehls gestützt war, versucht, die für ihn durch die Beschwerdeentscheidung vom 20. August 1986 begründete Beschwer zu beseitigen. Dies war ein prozessual mögliches und nicht von vornherein aussichtsloses Vorgehen und daher im Hinblick auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gerechtfertigt (BVerfGE 10, 274 ≪281≫):
Nach obergerichtlicher Rechtsprechung kann es in Betracht kommen, in Wiedereinsetzungsverfahren Wiedereinsetzung darum zu gewähren, weil in einem vorangegangenen Verfahren zwar rechtskräftig, aber rechtsirrig die Versäumung der Frist angenommen wurde, in die Wiedereinsetzung begehrt wird (vgl. OLG Oldenburg, MDR 1968, 941, 942; OLG Stuttgart, NJW 1970, 2224, 2225; OLG Frankfurt, MDR 1980, 513).
Für alle mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenen Beschlüsse begann somit die Frist des § 93 BVerfGG erst mit Zugang der Beschlüsse vom 7. November 1986 zu laufen.
b) Die Verfassungsbeschwerde genügt den Anforderungen des § 92 BVerfGG; der gerügte Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 i.V.m. 19 Abs. 4 GG erscheint nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht auszuschließen.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch nur begründet, soweit sie sich gegen die auf den Einspruch des Beschwerdeführers hin ergangenen landgerichtlichen Beschlüsse vom 20. August und 7. November 1986 richtet. Diese Entscheidungen verletzen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht.
a) Die angefochtenen Beschlüsse sind allerdings nicht schon deshalb verfassungswidrig, weil sie von der Zulässigkeit der Ersatzzustellung eines Strafbefehls durch Niederlegung bei der Post ausgehen (vgl. BVerfGE 26, 315 ≪318≫). Das rechtliche Gehör ist für den Betroffenen dadurch verbürgt, daß er die Möglichkeit hat, durch zulässigen Einspruch an der Hauptverhandlung teilzunehmen (BVerfGE 25, 158 ≪165, 166≫). Auch zuvor muß er im Verfahren über die Zulässigkeit des Einspruchs Gelegenheit erhalten, sich zu dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden entscheidungserheblichen Sachverhalt zu äußern (vgl. etwa BVerfGE 22, 267 ≪273≫; 61, 14 ≪17≫; 64, 135 ≪143≫; 67, 154 ≪155≫). Dabei dürfen von Amts wegen in das Verfahren eingeführte Tatsachen nur berücksichtigt werden, wenn der Betroffene zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme hatte (BVerfGE 10, 177 ≪182≫; 15, 214 ≪218≫; 32, 195 ≪197≫).
Dem haben alle auf den Einspruch des Beschwerdeführers hin ergangenen Beschlüsse nicht Rechnung getragen:
aa) Der Beschluß des Amtsgerichts Düsseldorf vom 1. Juli 1986 ist ergangen, ohne daß dem Beschwerdeführer die Angaben auf der Postzustellungsurkunde, aus denen das Amtsgericht folgerte, daß die Zustellung gemäß § 37 StPO i.V.m. § 182 ZPO wirksam sei, mitgeteilt worden waren oder sonst bekannt sein konnten. Dieser Verfahrensmangel erster Instanz ist jedoch im Beschwerdeverfahren geheilt worden (vgl. BVerfGE 5, 9 ≪10≫; 5, 22 ≪24≫; 22, 282 ≪286, 287≫). Der Beschwerdeführer hatte durch seinen Rechtsanwalt Akteneinsicht und zu dem Inhalt der Postzustellungsurkunde vorgetragen. Seine Ausführungen hat das Landgericht zur Kenntnis genommen und in die Erwägungen einbezogen Dem Beschwerdeführer wurde somit in der zweiten Instanz, die die erstinstanzliche Entscheidung in vollem Umfang nachprüfen konnte, in ausreichendem Maße rechtliches Gehör zu den Angaben auf der Postzustellungsurkunde gewährt.
bb) Dem Beschwerdegericht ist jedoch bei seiner Entscheidung vom 20. August 1986 ein anderer Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG unterlaufen:
Nach § 182 ZPO, auf den § 37 Abs. 1 StPO verweist, kann die Zustellung durch Niederlegung bei der Postanstalt nur dann wirksam sein, wenn dem Empfänger die Tatsache der Niederlegung schriftlich mitgeteilt wird. Diese Mitteilung soll in erster Linie dadurch erfolgen, daß sie unter der Anschrift des Empfängers so abgegeben wird, wie ihn auch gewöhnliche Briefe üblicherweise erreichen. Nur wenn „dies nicht tunlich ist”, kann die Mitteilung an der „Tür der Wohnung befestigt” werden.
Das Beschwerdegericht geht davon aus, daß die Zustellung an den Beschwerdeführer wirksam ist, weil ihm die Mitteilung so zugeleitet wurde, wie es bei ihm für gewöhnliche Briefe üblich ist. Es nimmt nämlich ohne Begründung an, daß hinsichtlich des Zugangs der für den Beschwerdeführer bestimmten Post eine praktizierte und von ihm hingenommene Übung bestehe, Briefe an der am Gartentor angebrachten Klingel zu befestigen.
Diese nur für die erste Alternative des § 182 ZPO erhebliche Tatsache hatte der Beschwerdeführer nicht vorgetragen. Anhaltspunkte für ihr Vorliegen ergeben sich auch nicht aus dem übrigen Akteninhalt. Der Beschwerdeführer hatte zu den Angaben der Postzustellerin auf der Postzustellungsurkunde stets nur unter dem rechtlichen Gesichtspunkt vorgetragen und argumentiert, daß die dort bescheinigte Befestigung an der Hausklingel allenfalls nach der zweiten Alternative des § 182 ZPO eine ordnungsgemäße Mitteilung sein könnte, daß sie also gerade nicht eine Form der bei ihm üblichen Postzustellung sei. Nur so konnten auch objektiv und erst recht bei Kenntnis der örtlichen und postalischen Verhältnisse des Beschwerdeführers, die dem Landgericht vermittelt worden war, die Erläuterungen der Zustellerin verstanden werden, die offenkundig von ihr nur darum in die Rubrik 8.2 des Zustellungsformulars eingetragen wurden, weil die Rubrik 8.4, in die sie gehörten, nur eine Angabe durch Ankreuzen vorsieht. Die Postzustellerin erwähnt ausdrücklich das Merkmal des „Befestigens”, dies weist eindeutig auf die – ungewöhnliche – Postzugangsart der zweiten Alternative des § 182 ZPO hin. Es kann auch objektiv nicht ernsthaft in Betracht kommen, daß Postsendungen von Zustellern regelmäßig und üblich an der Gartentüre befestigt und damit dem nahezu beliebigen Zugriff Dritter und Witterungseinflüssen preisgegeben werden.
Das Landgericht hat damit bei seiner Annahme, der Beschwerdeführer erhalte seine Briefe üblicherweise durch deren Befestigung an der Hausklingel, bei der ihm obliegenden Bewertung des Vorbringens des Beschwerdeführers nicht etwa nur eine unrichtige Tatsachenfeststellung getroffen, was keinen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs darstellte (BVerfGE 22, 267 ≪273, 274≫), sondern es hat einen bisher nicht vorgetragenen Sachverhalt, der den vom Beschwerdeführer dargestellten Tatsachen widerspricht, als gegeben angenommen und dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben. Damit ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.
Auf dieser Gehörsverletzung beruht der Beschluß vom 20. August 1986, weil das Landgericht aufgrund des von ihm angenommenen Sachverhalts eine nach der ersten Alternative des § 182 ZPO wirksame Zustellung annimmt. Der von dem Beschwerdeführer vorgetragene und von der Postzustellerin beurkundete Tatbestand könnte allenfalls die zweite Alternative ausfüllen – wobei es allerdings erheblichen Bedenken unterliegen dürfte, ein Gartentor der in § 182 ZPO erwähnten „Tür der Wohnung” gleichzusetzen. Diese Auffassung ist – soweit ersichtlich – bisher im Hinblick auf die hier von Art. 103 Abs. 1, 19 Abs. 4 GG gebotene formstrenge Auslegung und Anwendung der Regeln über die Ersatzzustellung eines Strafbefehls auch noch nicht vertreten worden.
cc) Diese Gehörsverletzung setzt sich in dem zu dem Antrag nach § 33a StPO ergangenen Beschluß des Landgerichts vom 7. November 1986 fort, weil das Gericht es darin abgelehnt hat, bei seiner Tatsachenfeststellung die von dem Beschwerdeführer dargestellten, für § 182 ZPO erheblichen Tatsachen in Erwägung zu ziehen.
3. Soweit die Verfassungsbeschwerde sich gegen die auf den Wiedereinsetzungsantrag ergangenen Beschlüsse richtet, ist zwar ein Rechtsschutzinteresse für sie mit der Aufhebung der über die Beschwerde gegen die Einspruchsverwerfung ergangenen Entscheidungen des Landgerichts nicht entfallen (vgl. BVerfGE 21, 139 ≪143≫); insoweit hat die Verfassungsbeschwerde jedoch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil der Beschwerdeführer nicht in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt wird.
a) Das Interesse des Beschwerdeführers an einer Aufhebung der die Wiedereinsetzung versagenden rechtskräftigen Beschlüsse besteht fort, weil noch nicht abschließend feststeht, ob der Strafbefehl nicht zugestellt und daher die Einspruchsfrist nicht versäumt wurde.
b) Amts- und Landgericht versagen dem Beschwerdeführer eine Wiedereinsetzung, weil sie ihm vorwerfen, keine besseren Postzustellungsmöglichkeiten geschaffen zu haben. Damit überspannen sie nicht die Anforderungen daran, was der Betroffene veranlaßt haben und vorbringen muß, um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und – wie hier – im Wege eines Einspruchs „ersten Zugang” zum Gericht zu erhalten (vgl. BVerfGE 38, 35 ≪38≫; 40, 88 ≪91≫). Zwar brauchte der Beschwerdeführer im Hinblick auf das gegen ihn anhängige Ermittlungsverfahren keine besonderen Vorkehrungen wegen der möglichen Zustellung eines Strafbefehls zu treffen (BVerfGE 37, 100 ≪102≫; 40, 88 ≪91≫; 40, 182 ≪186≫). Davon unberührt sind aber solche Vorkehrungen, die bei Anwesenheit und Abwesenheit in gleicher Weise zu verlangen sind; zu diesen gehört insbesondere ein ordnungsgemäßer, in Ordnung gehaltener Briefkasten oder sonstige Vorkehrungen für reibungslosen Postzugang, die einem Postzusteller auch bei Abwesenheit des Bewohners erreichbar sind und die einem Verlust des Benachrichtigungszettels über die Zustellung vorbeugen (BVerfGE 41, 332 ≪336≫).
Obwohl dem Beschwerdeführer bekannt war, daß die Post ihn bisher auf dreierlei verschiedene Wege teilweise erreicht, teilweise aber nicht erreicht hatte, hatte er im Zeitpunkt des Erlasses des Strafbefehls weder für einen korrekt angebrachten Briefkasten Sorge getragen noch durch Abgabe einer Abholungserklärung dafür, daß alle für ihn bestimmten Sendungen in das Postfach der Frau H gelangten. Diese Umstände konnten in gut vertretbarer Weise als verschuldensbegründend im Sinne des § 44 StPO gewertet werden.
Bei der Anwendung und Auslegung des § 44 StPO haben die Gerichte den Anspruch des Beschwerdeführers auf „ersten Zugang” zum Gericht und auf rechtliches Gehör auch nicht darum verkürzt, weil sie nicht erwogen haben, im Rahmen der Wiedereinsetzungsentscheidungen die Richtigkeit der Entscheidungen über die Rechtzeitigkeit des Einspruchs zu überprüfen und zu korrigieren (vgl. dazu oben II 1a).
In der Rechtsprechungspraxis wird eine solche Anwendung des § 44 StPO für möglich gehalten, weil es weder als verständlich noch als erträglich angesehen wird, denjenigen, der eine Frist tatsächlich versäumt hat, durch Gewährung von Wiedereinsetzung prozessual besser zu behandeln als denjenigen, der eine Frist nicht versäumte, aber rechtsirrtümlich so behandelt wurde, als habe er sie nicht eingehalten. Nach überwiegender, gut vertretbarer Auffassung greifen diese Erwägungen jedoch nur dann ein, wenn der Betroffene an dem Sachverhalt, der zur rechtsirrigen Annahme der Fristversäumnis führte, schuldlos ist (vgl. OLG Bremen, MDR 1960, 244; OLG Oldenburg, MDR 1968, 941, 942; OLG Stuttgart, NJW 1970, 2224, 2225; a.A. wohl die hierzu ungenau formulierte Entscheidung OLG Frankfurt, MDR 1980, 513). So lag der Fall hier aber nicht. Die vom Beschwerdeführer verschuldeten Postzustellungsverhältnisse waren nämlich gleichzeitig der Anlaß dafür, daß die Benachrichtigung über die Niederlegung am Gartentor befestigt wurde und damit der Streit über die ordnungsgemäße Zustellung des Strafbefehls und die fristgerechte Einlegung des Einspruchs entstand. Aufgrund dieser Erwägungen konnten die Gerichte daher ohne Verfassungsverstoß eine Wiedereinsetzung ablehnen.
III.
Soweit die Verfassungsbeschwerde erfolgreich ist, beruht die Entscheidung über die notwendigen Auslagen auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Auch im übrigen erscheint es angezeigt, Auslagenerstattung anzuordnen, weil die – erfolgreichen – Angriffe des Beschwerdeführers gegen die Wirksamkeit der Zustellung des Strafbefehls ersichtlich von weit überwiegender Bedeutung sind (§ 34a Abs. 3 BVerfGG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen