Entscheidungsstichwort (Thema)
Unmittelbare Verfassungsbeschwerde gegen die Biersteuererhöhung aufgrund Art. 15 HBegleitG 2004
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Verfassungsbeschwerden, unmittelbar gegen Art. 15 HBegleitG 2004, mit dem die ermäßigten Steuersätze für Bier angehoben wurden, sind mangels unmittelbarer Betroffenheit der Beschwerdeführer unzulässig.
2. Die unmittelbare Betroffenheit ist nur dann gegeben, wenn die angegriffene Bestimmung, ohne eines weiteren Vollzugsakts zu bedürfen, die Rechtsstellung des Beschwerdeführers verändert. Eine unmittelbare Betroffenheit ist darüber hinaus ausnahmsweise auch dann anzunehmen, wenn die Norm ihren Adressaten bereits vor konkreten Vollzugsakten zu später nicht mehr revidierbaren Dispositionen veranlasst. Im Streitfall waren aber zunächst Biersteuerbescheide abzuwarten.
Normenkette
BierStG § 2 Abs. 2; HBeglG 2004; BVerfGG § 90 Abs. 2
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerden richten sich unmittelbar gegen Art. 15 des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 (HBeglG 2004) vom 29. Dezember 2003 (BGBl I S. 3076), welcher § 2 Abs. 2 Satz 1 und 4 des Biersteuergesetzes 1993 (BierStG 1993 vom 21. Dezember 1992, BGBl I S. 2150, 2158 f.) änderte und damit die für Bier zu entrichtenden ermäßigten Steuersätze erhöhte.
A. I.
1. Die Beschwerdeführerinnen sind mittelständische Brauereien in der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Für das von ihnen hergestellte Bier haben sie nach Maßgabe des Biersteuergesetzes 1993 Biersteuer zu entrichten (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 BierStG 1993). Der Steuertarif ergibt sich aus § 2 BierStG 1993. Nach Absatz 1 Satz 2 dieser Vorschrift beträgt die Biersteuer 0,787 Euro je Grad Plato; Grad Plato ist der Stammwürzegehalt des Bieres in Gramm je 100 Gramm Bier (§ 2 Abs. 1 Satz 3 BierStG 1993). Abweichend hiervon sieht § 2 Abs. 2 BierStG 1993 einen ermäßigten Steuersatz für Bier aus unabhängigen Brauereien (zu diesem Begriff s. § 2 Abs. 3 BierStG 1993) mit einer Gesamtjahreserzeugung von weniger als 200.000 Hektolitern Bier vor. Bei den Beschwerdeführerinnen handelt es sich um Brauereien, auf die dieser ermäßigte Steuersatz Anwendung findet.
2. a) Die Biersteuer entsteht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BierStG 1993 dadurch, dass Bier aus dem Steuerlager entfernt wird, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren oder ein Zollverfahren nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 BierStG 1993 anschließt, oder dadurch, dass es im Steuerlager zum Verbrauch entnommen wird. Steuerschuldner ist nach § 7 Abs. 1 Satz 2 BierStG 1993 der Inhaber des Steuerlagers. Steuerlager sind nach § 4 Abs. 2 BierStG 1993 der Herstellungsbetrieb und das Bierlager. Der Steuerschuldner hat die nach § 7 Abs. 1 BierStG 1993 entstandene Steuer bis zum zwanzigsten Tag des Monats zu entrichten, der auf den Monat folgt, in dem die Steuer entstanden ist (§ 9 Abs. 1 BierStG 1993).
b) Der Inhaber eines Steuerlagers hat über das Bier, für das in einem Monat die Steuer nach § 7 Abs. 1 BierStG 1993 entstanden ist, bis zum siebten Tag des folgenden Monats eine Steuererklärung abzugeben (§ 8 Abs. 1 Satz 1 BierStG 1993). Die Steuererklärung ist gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 der Biersteuerverordnung (BierStV vom 24. August 1994, BGBl I S. 2191) nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck bei dem Hauptzollamt Stuttgart abzugeben. Die Steuer für Bier, das einem ermäßigten Steuersatz unterliegt, wird im laufenden Kalenderjahr nach der Jahreserzeugung des Vorjahres vorläufig festgesetzt; nach Ablauf des Kalenderjahres ist die Steuer unter Zugrundelegung der Jahreserzeugung der Brauerei in dem betreffenden Kalenderjahr dann abschließend festzusetzen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 und 3 BierStV).
c) Abweichend gestaltet sich das Verfahren dann, wenn Bier ohne Erlaubnis nach § 5 Abs. 2 BierStG 1993 hergestellt wird. Nach Satz 1 dieser Vorschrift bedarf der Erlaubnis, wer Bier unter Steueraussetzung herstellen und lagern will. Fehlt es an dieser Erlaubnis, entsteht die Steuer nach § 7 Abs. 2 Satz 1 BierStG 1993 mit der Herstellung und ist nach § 9 Abs. 2 BierStG 1993 sofort zu entrichten. Der Steuerschuldner – der Hersteller, § 7 Abs. 2 Satz 2 BierStG 1993 – hat nach § 8 Abs. 2 BierStG 1993 unverzüglich eine Steuererklärung abzugeben und darin die Steuer selbst zu berechnen (Steueranmeldung). Eine derartige Steueranmeldung steht nach § 168 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich.
II.
Die ermäßigten Steuersätze in § 2 Abs. 2 BierStG 1993 wurden durch Art. 15 HBeglG 2004 erstmals erhöht.
1. a) Das Haushaltsbegleitgesetz 2004 beruht auf einem Gesetzentwurf der Bundesregierung. Mit der Initiative sollten vor allem wesentliche Elemente des Haushaltsstabilisierungskonzeptes 2004 der Bundesregierung umgesetzt sowie die dritte Steuerentlastungsstufe von 2005 auf 2004 vorgezogen werden. Das Haushaltsstabilisierungskonzept war darauf ausgerichtet, das Wachstum konsumtiver Ausgaben zu bremsen, Subventionen abzubauen und das Steueraufkommen durch entschiedene Bekämpfung von Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung zu stabilisieren, um die öffentlichen Haushalte in Höhe mehrerer Milliarden Euro jährlich zu entlasten (vgl. BRDrucks 652/03, S. 21 f.). Dementsprechend sah der Gesetzentwurf der Bundesregierung unter anderem den Wegfall der Eigenheimzulage, eine Absenkung der Entfernungspauschale für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, den Wegfall der Halbjahresregelung bei Absetzungen für Abnutzungen und eine Rückführung der Vergütung der Mineralölsteuer für in der Land- und Forstwirtschaft verwendeten Dieselkraftstoff vor.
b) Eine Änderung des Biersteuergesetzes war dagegen nicht vorgesehen; sie war zunächst nicht Gegenstand des dem Erlass des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 vorangehenden Gesetzgebungsverfahrens. Ein entsprechender Vorschlag fand sich lediglich in dem sogenannten “Koch-Steinbrück-Papier” (Subventionsabbau im Konsens – Der Vorschlag der Ministerpräsidenten Roland Koch und Peer Steinbrück). Dort ist unter anderem auch eine Anhebung der Steuersätze hinsichtlich der “Mengenstaffel” – dies ist die gebräuchliche Bezeichnung für die nach dem Bierausstoß gestaffelten Steuersätze in § 2 Abs. 2 BierStG 1993 – vorgesehen. Das Koch-Steinbrück-Papier wurde der Öffentlichkeit am 30. September 2003 vorgestellt. In der Gesetzesinitiative zum Haushaltsbegleitgesetz wurde auf diese Vorschläge der beiden Ministerpräsidenten verwiesen. Hierzu hieß es, die Bundesregierung sei für weitere Maßnahmen zum Subventionsabbau offen und werde hierzu auf der Basis des Koch-Steinbrück-Papiers Vorschläge unterbreiten (s. BRDrucks 652/03, S. 24 f.).
c) Der Entwurf eines Haushaltsbegleitgesetzes 2004, der dem Bundesrat als “besonders eilbedürftig” im Sinne von Art. 76 Abs. 2 Satz 4 GG am 15. August 2003 zugeleitet worden war (BRDrucks 652/03, S. 1), war Gegenstand der Sitzung des Bundesrates vom 26. September 2003. Er beschloss, den Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung abzulehnen (BRDrucks 652/03 ≪Beschluss≫).
d) Noch vor der Stellungnahme des Bundesrates hatte die Bundesregierung dem Bundestag den Gesetzentwurf am 8. September 2003 zugeleitet (BTDrucks 15/1502). Nach der ersten Lesung und dem Verfahren in den Bundestagsausschüssen fanden die zweite und dritte Beratung im Bundestag am 17. Oktober 2003 statt. Die Debatte betraf insbesondere den Abbau von Finanzhilfen und Steuervergünstigungen. In diesem Zusammenhang wurden die im Gesetzentwurf vorgesehenen Subventionsstreichungen diskutiert. Darüber hinaus wurden die Vorschläge zum Subventionsabbau der Ministerpräsidenten von Hessen und Nordrhein-Westfalen erwähnt, ohne dass auf einzelne Punkte eingegangen wurde (s. BTPlenarprot. 15/67 S. 5761 A ff.). Nach der Aussprache wurde der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung in zweiter Beratung und in der namentlichen Schlussabstimmung mit den Stimmen der Abgeordneten der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsabgeordneten angenommen.
e) Im Bundesrat nahmen der federführende Finanzausschuss und der Wirtschaftsausschuss am 24. Oktober 2003 zu dem Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages Stellung. Beide Ausschüsse empfahlen, den Vermittlungsausschuss gemäß Art. 77 Abs. 2 GG einzuberufen, um das Gesetz grundlegend zu überarbeiten. Daraufhin beschloss der Bundesrat am 7. November 2003 die Einberufung des Vermittlungsausschusses mit dem Ziel, das Gesetz grundlegend zu überarbeiten und die Vorschläge der Ministerpräsidenten Roland Koch und Peer Steinbrück zum Abbau von Steuervergünstigungen und Finanzhilfen einzubeziehen (s. BRDrucks 729/03 ≪Beschluss≫), die in den Sitzungen des Haushaltsausschusses und des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages am 15. Oktober 2003 vorgelegt wurden.
f) Zu den Änderungen, die der Vermittlungsausschuss in seinen später vorgelegten Einigungsvorschlag aufnahm, gehörte auch die hier in Rede stehende Änderung des Biersteuergesetzes 1993. Mit dieser wurden die nach Erzeugungsmengen gestuften Steuersätze von vormals 50 %, 60 %, 70 % und 75 % auf Sätze von 56 %, 67,2 %, 78,4 % und 84 % erhöht. Bundestag und Bundesrat stimmten der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zu, sodass das Haushaltsbegleitgesetz 2004 am 31. Dezember 2003 verkündet wurde und am 1. Januar 2004 in Kraft trat.
2. Die Frage, ob das Haushaltsbegleitgesetz 2004 in formell verfassungsgemäßer Weise zustande gekommen ist oder ob der Vermittlungsausschuss durch die Einbeziehung des Koch-Steinbrück-Papiers seine Befugnisse überschritten hat, ist im verfassungsrechtlichen Schrifttum umstritten.
III.
1. Die Beschwerdeführerin im Verfahren 2 BvR 412/04 sieht sich durch Art. 15 HBeglG 2004 in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG verletzt.
a) Ihre Verfassungsbeschwerde sei zulässig, denn sie sei von der angegriffenen Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Dies sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann der Fall, wenn eine Steuer zu einem wesentlichen Teil ohne Steuerbescheid erhoben werde und der als Steuer zu zahlende Geldbetrag für den Steuerpflichtigen einen Kostenfaktor darstelle. In derartigen Konstellationen ergäben sich die Pflichten für einen Beschwerdeführer unmittelbar aus dem Gesetz, ohne dass es noch eines besonderen Vollzugsaktes der Finanzverwaltung bedürfe. So liege der Fall auch hier. Aus den gesetzlichen Regelungen in §§ 7 bis 9 BierStG 1993 folge, dass die Biersteuer vollständig ohne einen Steuerbescheid erhoben werde und keines Vollzugsaktes bedürfe. Ferner fehle den Steuerbehörden auch jeder Umsetzungsspielraum beim Vollzug der Steuervorschrift. Im Übrigen sei es für die Beschwerdeführerin unzumutbar, den Rechtsweg zu erschöpfen. Dies folge aus ihrer wirtschaftlichen Situation, zumal sie nicht in der Lage gewesen sei, die Steuererhöhung in ihre Kalkulationen einzubeziehen. Es sei zu erwarten, dass Anträge auf Aussetzung der Vollziehung bei Behörden und Gerichten erfolglos blieben.
b) Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet. Lege man die Maßstäbe an, die das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Kompetenzen des Vermittlungsausschusses entwickelt habe, seien die hierdurch gezogenen Grenzen im vorliegenden Fall überschritten worden, sodass die angegriffene Vorschrift formell verfassungswidrig sei. Darüber hinaus verstießen das Fehlen einer Übergangsregelung und die dadurch bewirkte unechte Rückwirkung der Änderung des Biersteuergesetzes in materieller Hinsicht gegen das Rechtsstaatsgebot.
2. Die Beschwerdeführerin im Verfahren 2 BvR 2491/04 rügt ebenfalls eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.
a) Auch sie trägt vor, dass sie durch Art. 15 HBeglG selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Rechten betroffen sei. Die Biersteuer sei zu entrichten, ohne dass der Schuldner einen gesonderten Verwaltungsakt der zuständigen Behörden abwarten dürfe oder müsse. Festsetzungsbescheide gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 BierStV hätten auf Entstehung und Fälligkeit der Biersteuerschuld keinen Einfluss. Eine unmittelbare Betroffenheit liege nicht nur dann vor, wenn die angegriffene Norm den Betroffenen zu nicht mehr revidierbaren Dispositionen veranlasse, sondern auch erst recht dann, wenn die unumkehrbaren Dispositionen bereits im Vorfeld der Norm getroffen worden seien. Letzteres sei hier der Fall. Die durch die angegriffene Norm geänderte Regelung belaste die Beschwerdeführerin unabhängig von weiteren Vollzugsakten unabänderlich. Die Finanzbehörden hätten bei der Anwendung der Norm keinerlei Spielraum. Die Beschwerdeführerin könne daher nicht in zumutbarer Weise auf die Beschreitung des Rechtswegs verwiesen werden. Diese sei wegen ihrer wirtschaftlichen Belastung unzumutbar, insbesondere habe die Beschwerdeführerin keine Möglichkeit gehabt, die Steuererhöhung in ihrer Kalkulation für das Jahr 2004 zu berücksichtigen. Zudem sei die Beschreitung des Rechtswegs offenkundig aussichtslos. Schließlich habe die Verfassungsbeschwerde allgemeine Bedeutung.
b) Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet. Im Hinblick auf das Verfahren im Vermittlungsausschuss sei das Gesetz nicht in verfassungsmäßiger Weise zustande gekommen. In der Sache verstoße Art. 15 HBeglG gegen den rechtsstaatlichen Dispositionsschutz und gegen das Gleichheitsgebot und missachte außerdem die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen.
B.
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung ist nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG bezeichneten Rechte der Beschwerdeführerinnen angezeigt, weil die Verfassungsbeschwerden unzulässig sind. Aus diesem Grund kommt ihnen auch keine grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25≫).
I.
Die Verfassungsbeschwerden sind unmittelbar gegen ein Gesetz gerichtet und wären daher nur zulässig, wenn die Beschwerdeführerinnen bereits durch die angegriffene Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar in ihren Rechten betroffen wären (BVerfGE 1, 97 ≪101≫; 97, 157 ≪164≫; 102, 197 ≪206≫; stRspr). Daran fehlt es hier.
1. Die durch Art. 15 HBeglG bewirkte Änderung von § 2 Abs. 2 BierStG 1993 richtet sich an die Beschwerdeführerinnen als Steuerpflichtige und Adressatinnen dieser Regelung und betrifft sie daher selbst. Sie sind auch gegenwärtig betroffen, weil die angegriffene Vorschrift auf ihre Rechtsstellung aktuell und nicht nur virtuell einwirkt (vgl. nur BVerfGE 102, 197 ≪206 f.≫).
2. Es fehlt indes an der unmittelbaren Betroffenheit der Beschwerdeführerinnen durch die angegriffene Bestimmung.
a) Die unmittelbare Betroffenheit ist nur dann gegeben, wenn die angegriffene Bestimmung, ohne eines weiteren Vollzugsaktes zu bedürfen, die Rechtsstellung des Beschwerdeführers verändert. Setzt die Durchführung der angegriffenen Vorschrift rechtsnotwendig oder auch nur nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis einen besonderen Vollzugsakt voraus, so muss der Beschwerdeführer zunächst diesen Akt angreifen und den gegen ihn eröffneten Rechtsweg erschöpfen, bevor er die Verfassungsbeschwerde erhebt; dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts selbst dann, wenn der Vollzugsakt von der Verwaltung nach der eindeutigen und klaren Gesetzesregelung ohne jeden Entscheidungs- und Prüfungsspielraum erlassen werden muss (s. BVerfGE 72, 39 ≪43 f.≫; BVerfGK 3, 241 ≪245≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 18. März 2003 – 2 BvR 246/02 –, NvWZ 2003, S. 1249). Eine unmittelbare Betroffenheit ist darüber hinaus ausnahmsweise auch dann anzunehmen, wenn die Norm ihren Adressaten bereits vor konkreten Vollzugsakten zu später nicht mehr revidierbaren Dispositionen veranlasst (BVerfGE 97, 157 ≪164≫; 102, 197 ≪207≫).
b) Gemessen an diesen Maßstäben fehlt es an einer unmittelbaren Betroffenheit der Beschwerdeführerinnen im Hinblick auf Art. 15 HBeglG.
aa) Die angegriffene Bestimmung – § 2 Abs. 2 BierStG 1993 in der Fassung von Art. 15 HBeglG 2004 – setzt rechtsnotwendig und auch nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis einen besonderen Vollzugsakt voraus. Die Pflicht der Beschwerdeführerinnen zur Zahlung von Biersteuer in einer bestimmten Höhe gemäß dem von § 2 Abs. 2 BierStG 1993 festgelegten Steuersatz folgt nicht unmittelbar aus dem Gesetz, sondern aus Steuerbescheiden des Hauptzollamts oder – in den Fällen des § 7 Abs. 2 und § 8 Abs. 2 BierStG 1993 – aus Steueranmeldungen des Betroffenen, die als Steuerbescheide gelten. Gegen die genannten Steuerbescheide ist der Rechtsweg zu den Finanzgerichten eröffnet.
Zudem wird die Biersteuer für Bier, das einem ermäßigten Steuersatz unterliegt, nach der Jahreserzeugung des Vorjahres vorläufig festgesetzt. Um diese Festsetzung zu ermöglichen, hat der Inhaber eines Steuerlagers innerhalb der sich aus § 8 Abs. 1 Satz 1 BierStG 1993 ergebenden siebentägigen Frist eine Steuererklärung abzugeben; eine solche Pflicht wäre sinnlos, wenn auf der Grundlage dieser Steuererklärung nicht ein Steuerbescheid erlassen würde. Auf der Erklärung beruht dann die vorläufige Festsetzung, wie sie auch im Falle der Beschwerdeführerinnen ergangen ist. Die Festsetzung erfolgt deswegen vorläufig, weil der ermäßigte Steuersatz des § 2 Abs. 2 BierStG 1993 seiner Höhe nach von der naturgemäß zunächst noch nicht feststehenden Jahreserzeugung im (laufenden) Kalenderjahr abhängt und deswegen vorerst nach der Vorjahreserzeugung ermittelt wird (vgl. Peters/Bongartz/Schröer-Schallenberg, Verbrauchsteuerrecht, 2000, Rn. H 252). Die in dieser Weise festgesetzte Biersteuerschuld ist dann bis zu dem in § 9 Abs. 1 BierStG 1993 genannten Fälligkeitszeitpunkt zu entrichten. Nach Ablauf des Kalenderjahres ist die Steuer nach § 17 Abs. 2 Satz 3 BierStV abschließend festzusetzen. Erst dieser zuletzt genannte Bescheid bestimmt die geschuldete Biersteuer endgültig.
bb) Rechtswirkung zu Lasten der Beschwerdeführerinnen entfaltet die angegriffene Norm damit erst, wenn sie durch Bescheide der dargestellten Art konkretisiert ist. Hieran ändert auch die von den Beschwerdeführerinnen hervorgehobene Bestimmung des Fälligkeitszeitpunkts in § 9 Abs. 1 BierStG 1993 nichts, da diese Fälligkeit eine auf einer Steuererklärung (§ 8 Abs. 1 BierStG 1993) beruhende, durch Bescheid (§ 17 Abs. 2 Satz 1 und 3 BierStV) festgesetzte Zahlungspflicht voraussetzt. Die in § 9 Abs. 1 BierStG 1993 festgelegte Fälligkeit allein führt damit noch nicht dazu, dass die angegriffene Vorschrift Rechtspflichten zu Lasten der Betroffenen auslöst. Für sich genommen verändert die angegriffene Bestimmung die Rechtsstellung des Steuerpflichtigen nicht. Dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn sie durch einen Vollzugsakt in Gestalt eines Steuerbescheids konkretisiert wird, weil sich erst aus diesem und nicht aus der gesetzlichen Festlegung des Steuersatzes der Steueranspruch ergibt.
Dies entspricht im Übrigen auch der Systematik der Abgabenordnung: Nach § 155 Abs. 1 Satz 1 AO werden die Steuern, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, von der Finanzbehörde durch Steuerbescheid festgesetzt. Nach § 218 Abs. 1 Satz 1 AO sind die Steuerbescheide Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis. Grundlage der Erhebung einer Steuer ist damit nicht der nach den Steuergesetzen entstandene materielle Steueranspruch (§§ 37, 38 AO), sondern der im Festsetzungsverfahren durch Verwaltungsakt konkretisierte Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis; zu leisten ist der in diesem Verwaltungsakt ausgewiesene Betrag, unabhängig davon, in welcher Höhe ein Anspruch nach den gesetzlichen Bestimmungen entstanden ist (vgl. etwa Alber, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Loseblatt-Kommentar, Stand: November 1997, § 218 AO Rn. 4). Die Regelung des § 218 Abs. 1 AO bedeutet damit, dass ohne Vorliegen eines Festsetzungsbescheides der entsprechende Zahlungsanspruch nicht geltend gemacht werden kann (vgl. Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, 9. Aufl. 2006, § 218 Rn. 5). Fehlt es an einer solchen Festsetzung, tritt nach § 240 Abs. 1 Satz 3 AO keine Säumnis ein, auch wenn die Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird und damit nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO grundsätzlich ein Säumniszuschlag zu entrichten wäre. Im Hinblick auf die hier zu beurteilenden Verfassungsbeschwerden bedeutet dies, dass die angegriffene Norm die Rechtsstellung der Beschwerdeführerinnen nicht unmittelbar, sondern erst vermittelt durch entsprechende Steuerbescheide verändert.
Nichts anderes gilt schließlich in den Fällen des § 7 Abs. 2 BierStG 1993, in denen der Steuerschuldner nach § 8 Abs. 2 BierStG 1993 eine Steueranmeldung abzugeben hat. Denn eine derartige Steueranmeldung steht nach § 218 Abs. 1 Satz 2 AO einem Steuerbescheid sowie nach § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) gleich.
cc) Die genannten Bescheide sind sämtlich mit den Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen der Abgabenordnung – Einspruch (§§ 347 ff. AO) und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 361 Abs. 2 AO) – und der Finanzgerichtsordnung (FGO) – Klage (§ 40 Abs. 1 FGO) und Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) – angreifbar. Auf diesem Rechtsweg kann ohne weiteres die Verfassungswidrigkeit der anzuwendenden Normen des Steuerrechts geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführerinnen sind in ihrem eigenen Interesse ohnehin gehalten, die gegen sie ergangenen Steuerbescheide anzufechten, um deren Bestandskraft zu verhindern, da diese für sie im Hinblick auf § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG selbst dann nachteilige Rechtsfolgen zeitigen könnte, wenn Art. 15 HBeglG 2004 für nichtig erklärt würde.
dd) Die Voraussetzungen dafür, ausnahmsweise trotz der Erforderlichkeit eines Vollzugsaktes die unmittelbare Betroffenheit der Beschwerdeführerinnen durch die angegriffene Norm zu bejahen, liegen hier nicht vor. Dies setzte voraus, dass die Norm ihren Adressaten bereits vor konkreten Vollzugsakten zu später nicht mehr revidierbaren Dispositionen veranlasst (vgl. BVerfGE 97, 157 ≪164≫; 102, 197 ≪207≫). Daran fehlt es hier.
Die Beschwerdeführerinnen haben nicht dargelegt, welche konkreten Dispositionen sie gerade im Hinblick auf Art. 15 HBeglG 2004 getätigt haben. Sie beschränken sich in der Sache auf eine Schilderung ihrer betriebswirtschaftlichen Kalkulationen, bei deren Erstellung sie nach ihren Angaben auf den Fortbestand der bisherigen Steuersätze vertraut hätten. Dies stellt indessen keine gerade auf der angegriffenen Norm beruhende Disposition dar; vielmehr fehlt es an der kausalen Verknüpfung zwischen der Vorschrift und dem Verhalten der Beschwerdeführerinnen.
II.
Angesichts des Umstandes, dass die Beschwerdeführerinnen von der angegriffenen Norm nicht unmittelbar betroffen sind, kommt es auf die von ihnen ausführlich erörterte Frage, ob die Erschöpfung des Rechtswegs in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG ausnahmsweise entbehrlich sein könnte, nicht an. Im Übrigen sind hier auch keine Gründe ersichtlich, die einen Verzicht auf eine fachgerichtliche Vorklärung der hier relevanten Rechtsfragen rechtfertigen könnten. Dies käme allenfalls dann in Betracht, wenn Gegenstand der Verfassungsbeschwerde nur eine abstrakt abzuhandelnde, rein verfassungsrechtliche Frage wäre (vgl. BVerfGE 68, 319 ≪327≫; BVerfGK 3, 241 ≪244≫). Dies ist hier nicht der Fall.
Zum einen macht die Frage, ob Art. 15 HBeglG 2004 in verfassungsmäßiger Weise zustande gekommen ist, eine Untersuchung des Gesetzgebungsverfahrens auch in tatsächlicher Hinsicht erforderlich. So muss namentlich ermittelt werden, ob, in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt die Änderung des Biersteuergesetzes 1993 Gegenstand des dem Haushaltsbegleitgesetz 2004 zugrunde liegenden Gesetzgebungsverfahrens war. Es geht also nicht allein um die Auslegung von Normen des Grundgesetzes oder die Neubestimmung verfassungsrechtlicher Maßstäbe, sondern auch und gerade um die Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts.
Zum anderen ist hier zu berücksichtigen, dass die Beschwerdeführerinnen mit ihren Verfassungsbeschwerden auch Verstöße gegen den rechtsstaatlichen Vertrauensschutz und den allgemeinen Gleichheitssatz geltend machen. Insbesondere auch dieses Vorbringen macht eine umfassende Klärung der tatsächlichen Belastungswirkungen der angegriffenen Norm für die Beschwerdeführerinnen erforderlich, die ohne Kenntnis ihrer Biersteuerschuld im konkreten Einzelfall nicht erfolgen kann.
Schließlich spricht die besondere Verfahrensstruktur der Biersteuererhebung entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen nicht für, sondern gegen die Zulässigkeit ihrer Verfassungsbeschwerden. Die monatlichen Festsetzungen belasten die Biersteuerschuldner gerade nicht “unabänderlich”, da erst der Jahresbiersteuerbescheid abschließend feststellt, ob im jeweiligen Einzelfall überhaupt die Voraussetzungen der ermäßigten Besteuerung nach § 2 Abs. 2 BierStG 1993 gegeben sind, und auf dieser Grundlage die zu entrichtende Steuer der Höhe nach endgültig festsetzt. Daher kann in den vorliegenden Fällen nicht einmal festgestellt werden, ob das zuständige Hauptzollamt die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 BierStG 1993 im Hinblick auf die Beschwerdeführerinnen im Jahr 2004 und den folgenden Jahren als gegeben angesehen hat und wie hoch die jeweilige Steuerbelastung der Beschwerdeführerinnen im Ergebnis tatsächlich war.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 1853595 |
BFH/NV Beilage 2008, 160 |
HFR 2008, 172 |
BeSt 2008, 9 |