Entscheidungsstichwort (Thema)

Gerichtlich bestellter Insolvenzverwalter. Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Bestellung eines in der ersten Gläubigerversammlung Gewählten zum Insolvenzverwalter. Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG. Keine Verletzung eigener Rechte in Bezug auf Berufsausübungsfeiheit und Eigentumsrecht. Beteiligung der Gläubiger an Abwicklung des Insolvenzverfahrens geboten. Bestellung zum Insolvenzverwalter durch das Gericht vorläufige Maßnahme. Normative Fixierung des Berufsbilds. Abwahlmöglichkeit für Gläubiger auch bei angezeigter Masseunzulänglichkeit verhältnismäßig. Ausschluss der Haftung

 

Leitsatz (redaktionell)

  • Ein gerichtlich bestellter Insolvenzverwalter, der Masseunzulänglichkeit angezeigt hat, kann in der ersten Gläubigerversammlung abgewählt werden.
  • Der Insolvenzverwalter ist dadurch nicht in einem subjektiven Recht verletzt weder in Bezug auf seine Berufsausübungsfreiheit noch hinsichtlich seines Eigentumsrechts, da die Bestellung eines anderen, von der Gläubigerversammlung gewählten Insolvenzverwalters sich innerhalb des in zulässiger Weise normativ fixierten Berufsbilds des Insolvenzverwalters bewegt.
  • Die Funktion des Insolvenzverwalters, die bestmögliche gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger eines Schuldners herbeizuführen, hat entscheidende Auswirkungen auf das Berufsbild des Insolvenzverwalters. Wegen der großen rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung des Insolvenzverfahrens ist eine Beteiligung der Gläubiger an dessen Abwicklung geboten. Diese Gläubigerautonomie führt u.a. dazu, dass die Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Bestellung des Insolvenzverwalters lediglich als vorläufige Maßnahme anzusehen ist. Es ist mithin Bestandteil des Berufsbilds, dass der Insolvenzverwalter eine gesicherte Stellung erst nach der ersten Gläubigerversammlung erlangen kann.
  • Insbesondere bleibt die Abwahlmöglichkeit für die Gläubiger auch bei angezeigter Masseunzulänglichkeit verhältnismäßig, da die rechtliche Position der Insolvenzgläubiger dadurch unberührt bleibt. Sie werden auch ein berechtigtes Interesse an einem anderen Insolvenzverwalter haben, der aufgrund einer von ihm erstellten Vermögensübersicht u.U. zu einer positiveren Einschätzung der Insolvenzmasse gelangt.
  • Eine Haftung des gerichtlich bestellten Insolvenzverwalters nach seiner Abwahl ist gem. § 61 S. 2 InsO ausgeschlossen, wenn er selbst seine Pflichten nicht verletzt hat und eine Masseverbindlichkeit lediglich aufgrund einer Pflichtverletzung seines Nachfolgers nicht erfüllt werden kann.
 

Normenkette

InsO §§ 56, 57 S. 3, §§ 77-78, 208, 61 S. 2; GG Art. 19 Abs. 4, Art. 12 Abs. 1, Art. 14

 

Verfahrensgang

BGH (Beschluss vom 07.10.2004; Aktenzeichen IX ZB 128/03)

LG Bielefeld (Beschluss vom 07.05.2003; Aktenzeichen 23 T 217/03)

AG Bielefeld (Beschluss vom 10.04.2003; Aktenzeichen 43 IN 1/03)

 

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

 

Tatbestand

I.

Der in einem Insolvenzverfahren gerichtlich zum Insolvenzverwalter bestellte Beschwerdeführer wendet sich gegen die Bestellung einer anderen Person zum Insolvenzverwalter nach einer entsprechenden Wahlentscheidung der Gläubigerversammlung.

1. Der Beschwerdeführer wurde im Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum Insolenzverwalter bestellt. Er zeigte in der Folgezeit dem Insolvenzgericht nach § 208 InsO Masseunzulänglichkeit an. In der ersten Gläubigerversammlung nach der Bestellung des Beschwerdeführers zum Insolvenzverwalter wählten die Gläubiger eine andere Person zum Insolvenzverwalter. Der vom Beschwerdeführer daraufhin gestellte Antrag auf Aufhebung der Wahlentscheidung nach § 78 InsO wurde vom Insolvenzgericht zurückgewiesen und der Gewählte zum Insolvenzverwalter bestellt. Das Landgericht verwarf die sofortige Beschwerde mangels Beschwerderechts als unzulässig.

Die hiergegen vom Beschwerdeführer eingelegte Rechtsbeschwerde verwarf der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 7. Oktober 2004 ebenfalls als unzulässig. Gegen eine Wahlentscheidung in der ersten Gläubigerversammlung habe der abgewählte Insolvenzverwalter keine Beschwerdemöglichkeit; die Regelung des § 57 InsO sei Ausfluss der Gläubigerautonomie. Sollten aufgrund der Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Beteiligtenrechte der Insolvenzgläubiger zu beschränken sein, sei die Stimmrechtsentscheidung des Rechtspflegers möglicherweise fehlerhaft. Da der Insolvenzverwalter für diesen Fall aber einen Antrag auf Neufestsetzung des Stimmrechts gemäß § 77 InsO stellen könne, sei der Garantie effektiven Rechtsschutzes Genüge getan.

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung der Art. 19 Abs. 4, Art. 12 und Art. 14 GG.

Nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit müsse er sich gegen seine Abwahl durch die Insolvenzgläubiger gerichtlich zur Wehr setzen können, weil diese aus dem Insolvenzverfahren ausschieden. Da er zur Abwendung seiner Haftung aus § 61 InsO darauf angewiesen sei, im Amt zu bleiben, werde ungerechtfertigt in seine Berufsfreiheit und seine Eigentumsgarantie eingegriffen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Letzteres gilt nicht nur hinsichtlich der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, sondern auch bezüglich Berufsausübungsfreiheit und Eigentumsgarantie.

Offen bleiben kann, ob die Entscheidung des Insolvenzgerichts, den von der Gläubigerversammlung Gewählten zum Insolvenzverwalter zu bestellen, als Maßnahme der öffentlichen Gewalt im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG anzusehen ist. Denn es ist weitere Voraussetzung der Rechtsschutzgarantie, dass der Betroffene in einem subjektiven Recht verletzt sein kann. Daran fehlt es. Die Bestellung eines anderen, von der Gläubigerversammlung gewählten Insolvenzverwalters anstelle des Beschwerdeführers bewegt sich hier innerhalb des in zulässiger Weise normativ fixierten Berufsbildes des Insolvenzverwalters. Die Möglichkeit der Verletzung in eigenen Rechten kann der Beschwerdeführer deshalb weder in Bezug auf seine Berufsausübungsfreiheit noch hinsichtlich seines Eigentumsrechts mit Erfolg geltend machen; damit scheidet nicht nur eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG, sondern auch der Art. 12 und Art. 14 GG aus.

1. a) Das Bundesverfassungsgericht hat bereits mehrfach entschieden, dass der Gesetzgeber befugt ist, Berufsbilder rechtlich zu fixieren, soweit er dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung trägt (vgl. z.B. BVerfGE 7, 377 ≪397≫; 13, 97 ≪106≫). Wer einen solchen Beruf wählt, wählt ihn in der rechtlichen Ausgestaltung, die ihm der Gesetzgeber gegeben hat (vgl. BVerfGE 21, 173 ≪180≫). Der Tätigkeit des Insolvenzverwalters liegt ein vom Gesetzgeber im Rahmen der Insolvenzordnung fixiertes Berufsbild zugrunde. Hierbei hat die Funktion des Insolvenzverfahrens, die bestmögliche gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger eines Schuldners herbeizuführen (vgl. § 1 InsO), entscheidende Auswirkungen auf das Berufsbild des Insolvenzverwalters. Wegen der großen rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung des Insolvenzverfahrens ist eine Beteiligung der Gläubiger an dessen Abwicklung nicht nur erwünscht, sondern auch geboten (vgl. Jauernig, Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht, 21. Aufl. 1999, § 42 I). Das Gesetz unterwirft das Insolvenzverfahren daher in gewissem Umfang der Gläubigerautonomie (vgl. Jauernig, a.a.O.). Dies führt unter anderem dazu, dass die (erste) Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Bestellung des Insolvenzverwalters (§ 56 InsO) lediglich als vorläufige Maßnahme anzusehen ist. Das Gericht handelt dabei – zumindest auch – im Interesse der Gläubiger und nimmt deren Entscheidung mangels Möglichkeit der Gläubiger zu gemeinsamer Willensbildung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zunächst vorweg. Auch wenn der vom Gericht ausgewählte und bestellte Insolvenzverwalter die ihm obliegenden Aufgaben in voller Verantwortlichkeit auszuüben hat (vgl. OLG Karlsruhe, ZIP 1997, S. 1970 ≪1971≫), ist sein Amt von Anfang mit der Einschränkung verbunden, in der ersten Gläubigerversammlung abberufen zu werden. Es ist mithin Bestandteil des Berufsbildes, dass der Insolvenzverwalter eine gesicherte Stellung erst nach der ersten Gläubigerversammlung erlangen kann (so auch OLG Hamm, ZIP 1990, S. 1145 ≪1146≫; OLG Naumburg, ZIP 1994, S. 162 ≪163≫).

b) Die mit dieser normativen Fixierung des Berufsbildes verbundene Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit des Insolvenzverwalters (Art. 12 Abs. 1 GG) hält der gebotenen Überprüfung am Maßstab der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 21, 173 ≪180 f.≫; 75, 246 ≪266 f.≫) stand. Die Regelung ist geeignet und erforderlich, um die im Gemeinwohlinteresse liegende sachgerechte Abwicklung des Insolvenzverfahrens unter Mitwirkung der Gläubiger zu ermöglichen. Sie bedeutet für den Insolvenzverwalter, der von Anfang an um das Wahlrecht der Gläubigerversammlung weiß und für seine bisher geleisteten Dienste eine Vergütung erhält, auch keine übermäßige, unzumutbare Belastung.

c) Der Beschwerdeführer kann hiernach – mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 GG – in nicht zu beanstandender Weise seinen Beruf von vornherein nur in der beschriebenen rechtlichen Ausgestaltung ausüben. Auch im konkreten Fall werden die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen von der verfassungsrechtlich unbedenklichen Fixierung des Berufsbildes des Insolvenzverwalters gedeckt.

aa) Insbesondere bleibt die Abwahlmöglichkeit für die Gläubiger auch bei angezeigter Masseunzulänglichkeit verhältnismäßig. Zwar ist dem Beschwerdeführer zuzugeben, dass nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit gemäß den §§ 208 ff. InsO nur noch die Massegläubiger, nicht aber die Insolvenzgläubiger eine zumindest teilweise Berichtigung ihrer Forderungen erwarten können. Ihre Beteiligung an der Auswahl des Insolvenzverwalters dient gleichwohl unverändert dem mit der Gewährung der Gläubigerautonomie verfolgten Ziel. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit lässt die rechtliche Position der Insolvenzgläubiger unberührt. Sie können auch noch immer ein berechtigtes Interesse daran haben, dass eine andere Person zum Insolvenzverwalter bestellt wird. Das gilt insbesondere dann, wenn die Insolvenzgläubiger die Möglichkeit sehen, dass ein neuer Insolvenzverwalter aufgrund einer von ihm erstellten Vermögensübersicht zu einer anderen Einschätzung der Insolvenzmasse gelangt, die mehr als die Erfüllung nur der Masseverbindlichkeiten erlaubt. Die Rückkehr ins Insolvenzverfahren ist in einem solchen Fall nicht ausgeschlossen. Eine gesetzliche Regelung hierzu findet sich zwar nicht, es besteht aber keine Veranlassung, dem Insolvenzverwalter die Rückkehr zu versperren, wenn er in der Lage ist, alle Masseverbindlichkeiten zu erfüllen (so Braun, Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2004, § 208 InsO, Rn. 32 ff.). Würde man nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit es den Insolvenzgläubigern verwehren, einen anderen Insolvenzverwalter zu wählen, hätte es der Insolvenzverwalter überdies durch bloße Anzeige der Masseunzulänglichkeit – sei sie nun nachvollziehbar oder nicht – in der Hand, seine Stellung als Insolvenzverwalter zu perpetuieren. Mit Blick auf Verfassungsrechte des Insolvenzverwalters ist es daher weder geboten, die Abwahlmöglichkeit für die Gläubiger bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu beseitigen, noch der Anzeige – wie vom Bundesgerichtshof in Erwägung gezogen – Auswirkungen auf das Stimmrecht der Insolvenzgläubiger aus § 57 InsO beizulegen. Die angegriffene Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die solche Folgen – wie die Anwendung des § 77 InsO zeigt – gleichwohl nicht ausschließen will, kann den Beschwerdeführer mithin in seinen Rechten nicht verletzen.

bb) Die Abwahlmöglichkeit für die Gläubiger ist auch mit Blick auf § 61 InsO verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es bedeutet für den Insolvenzverwalter entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers keine übermäßige, unzumutbare Belastung, dass er trotz Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht im Amt verbleiben kann, um durch eigene Arbeit eine persönliche Haftung nach § 61 InsO abzuwenden. Eine unberechtigte Inanspruchnahme aufgrund dieser Vorschrift muss der abgewählte Insolvenzverwalter nicht befürchten. Vielmehr schließt § 61 Satz 2 InsO die Haftung des Insolvenzverwalters aus, wenn er selbst seine Pflichten nicht verletzt hat und eine Masseverbindlichkeit lediglich aufgrund einer Pflichtverletzung seines Nachfolgers nicht erfüllt werden kann.

2. Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich zugleich, dass auch die Möglichkeit der Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Eigentumsrecht ausscheidet.

3. Nach alledem ist es nicht zu beanstanden, dass die Insolvenzordnung einen Rechtsbehelf für den Beschwerdeführer nicht zur Verfügung stellt und die Gerichte dem Beschwerdeführer eine Sachentscheidung verwehrt haben. Im Übrigen könnte der Beschwerdeführer, würde es zu einer Entscheidung in der Sache kommen, auch nichts zu seinen Gunsten geltend machen: Ausfluss der Gläubigerautonomie ist nämlich, dass den Gläubigern nach § 57 Satz 3 InsO die Bestellung eines anderen Insolvenzverwalters nicht versagt werden kann, solange dieser nur geeignet ist; ein Eignungsvergleich mit dem abberufenen Insolvenzverwalter wird nicht angestellt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

 

Unterschriften

Papier, Steiner, Gaier

 

Fundstellen

Haufe-Index 1334033

DStZ 2005, 356

EWiR 2005, 507

WM 2005, 471

ZIP 2005, 537

DZWir 2005, 242

ZInsO 2005, 368

ZVI 2005, 132

ZVI 2006, 39

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge