Entscheidungsstichwort (Thema)
Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers für Zwecktauglichkeit von Gesetzen; Sonderumsatzsteuer für Ausfuhren
Leitsatz (amtlich)
Das Rechtsstaatsprinzip verbietet belastende Gesetze, die zur Erreichung der Gesetzeszwecke schlechthin untauglich sind. Dem Gesetzgeber steht aber ein weiter Spielraum für die Beurteilung der Zwecktauglichkeit eines Gesetzes zu. Eine gesetzliche Maßnahme kann nicht schon deshalb als verfassungswidrig angesehen werden, weil sie auf einer Fehlprognose des Gesetzgebers beruht.
Normenkette
AbsichG; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
Tatbestand
A.
Die Beschwerdeführerinnen sind Herstellerfinnen, die ihre Erzeugnisse zum Teil in erheblichem Umfang exportieren. Die Beschwerdeführerin zu 1 stellt Verbandstoffe für medizinische Zwecke und textile Vliesstoffe, die übrigen Beschwerdeführerinnen stellen Maschinen der verschiedensten Art her. Ihre Verfassungsbeschwerden richten sich unmittelbar gegen das Gesetz über Maßnahmen zur außenwirtschaftlichen Absicherung gemäß § 4 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 29. November 1968 (BGBl I S. 1255) – Absicherungsgesetz (AbsichG) –, durch das bestimmte nach dem 29. November 1968 bewirkte Ausfuhren mit einer Sonderumsatzsteuer belegt wurden.
I.
1. Das Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 (BGBl I S. 582) – Stabilitätsgesetz –, auf das das AbsichG Bezug nimmt, hatte Grundsätze für eine koordinierte Wirtschafts- und Finanzpolitik aufgestellt, den staatlichen Organen in Bund und Ländern Rechtspflichten auferlegt und gesetzliche Ermächtigungen geschaffen. § 4 Stabilitätsgesetz sieht vor, daß die Bundesregierung bei außenwirtschaftlichen Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts alle Möglichkeiten der internationalen Koordination zu nutzen und notfalls die ihr zur Wahrung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts zur Verfügung stehenden wirtschaftspolitischen Mittel einzusetzen habe.
Im Herbst 1968 hielt die Bundesregierung eine internationale Koordination und die Ergreifung von Maßnahmen zur Wahrung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts für erforderlich. Die Auslandsnachfrage nach deutschen Waren war infolge der verhältnismäßigen Kosten- und Preisstabilität in der BRD und des anhaltenden Preisauftriebes in den wichtigsten Abnehmerländern weiter angestiegen. Die starken Außenhandelsüberschüsse der BRD beeinträchtigten das außenwirtschaftliche Gleichgewicht zwischen ihr und ihren westlichen Handelspartnern. In der Diskussion über eine Änderung der bestehenden Wechselparitäten wurde auch die Forderung nach der Aufwertung der Deutschen Mark erhoben. Vom 20. bis zum 22. November 1968 tagten in Bonn die Minister und die Notenbank-Gouverneure der zehn an den Allgemeinen Kreditvereinbarungen beteiligten Länder (sog. Zehner-Club). Bei dieser Tagung erklärte sich die Bundesregierung, die eine Aufwertung der Deutschen Mark im damaligen Zeitpunkt zu vermeiden suchte, bereit, durch steuerliche Begünstigung der Einfuhren und steuerliche Belastungen der Ausfuhren die außenwirtschaftliche Konjunktur zu dämpfen. Die Minister und Gouverneure der Gruppe der Zehn erreichten Übereinstimmung dahin, daß diese deutschen Maßnahmen einen bedeutenden Beitrag zur Stabilität des Währungssystems und zum Anpassungsprozeß darstellen könnten.
Am 21. November 1968 brachten, einer Bitte der Bundesregierung entsprechend, die Fraktionen der damaligen Koalitionsparteien im Bundestag den Entwurf eines Gesetzes „über umsatzsteuerliche Maßnahmen zur außenwirtschaftlichen Absicherung” ein. Am 28. November 1968 wurde das AbsichG – nunmehr unter der Bezeichnung „Gesetz über Maßnahmen zur außenwirtschaftlichen Absicherung gemäß § 4 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft” – in zweiter und dritter Lesung angenommen, am 29. November 1968 – unmittelbar nach abschließender Behandlung im Bundesrat – ausgefertigt und am 30. November 1968 verkündet. Es trat am 1. Dezember 1968 in Kraft und sollte am 31. März 1970 außer Kraft treten.
2. § 1 AbsichG sieht eine Vergütung für die Einfuhr vor.
§ 2 Abs. 1 Satz 1 und § 4 AbsichG lauten:
Die Ausfuhr von Gegenständen, die ein Unternehmer im Sinne des § 2 des Umsatzsteuergesetzes in der Zeit vom 29. November 1968 bis 31. März 1970 bewirkt, unterliegt einer Sonderumsatzsteuer.
Die Steuer beträgt vier vom Hundert der Bemessungsgrundlage. Sie ermäßigt sich auf zwei vom Hundert für die Ausfuhr der in der Anlage 1 zum Umsatzsteuergesetz bezeichneten Gegenstände.
Nach § 5 AbsichG entsteht die Steuerschuld mit Ablauf des Voranmeldezeitraumes im Sinne des § 18 Abs. 2 UStG, in dem die Ausfuhr bewirkt worden ist. Für die Berechnung, Veranlagung, Voranmeldung und Entrichtung der Steuer sind § 16 Abs. 1–4 und § 18 Abs. 1–4 UStG entsprechend anzuwenden, § 8 AbsichG enthält eine Übergangsregelung für die sogenannten Altkontrakte.
Diese Bestimmung lautet:
In den Fällen des § 2 entsteht keine Steuerpflicht bei der Ausfuhr von Gegenständen, die in Erfüllung von vor dem 23. November 1968 abgeschlossenen Verträgen bewirkt worden ist. Steuerpflichtig sind jedoch
Ausfuhren auf Grund von Verträgen, die am 23. November 1968 keine endgültigen Preisabsprachen enthielten (insbesondere Vorverträge, Rahmenverträge, Verträge mit Preisvorbehalts- oder Preisgleitklauseln oder mit Steuerklauseln)
und
- Ausfuhren, die nach dem 23. Dezember 1968 bewirkt worden sind.
§ 9 Abs. 2 AbsichG ermächtigt die Bundesregierung unter anderem einerseits durch Rechtsverordnung zu bestimmen, daß die Vorschriften der §§ 1 und 2 nicht mehr anzuwenden sind, oder andererseits die in diesem Gesetz festgelegten Vomhundertsätze (§§ 1 und 4) gleichmäßig zu senken. Nach § 9 Abs. 3 AbsichG kann der BdF oder die von ihm beauftragte Stelle die Sonderumsatzsteuer im Einzelfall ermäßigen oder erlassen, soweit der Unternehmer nachweist, daß er durch Entrichtung der vollen Steuer auf Grund von bereits am 23. November 1968 bestehenden Verträgen bei den in Betracht kommenden Einkunftsarten im gesamten Veranlagungszeitraum einen Verlust erlitten hat.
Die Befristung der Geltungsdauer des AbsichG auf den 31. März 1970 wurde durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Absicherungsgesetzes vom 8. August 1969 (BGBl I S. 1081) aufgehoben. Nachdem durch die Verordnung zur vorübergehenden Senkung der Vomhundertsätze der §§ 1 und 4 AbsichG vom 10. Oktober 1969 (BGBl I S. 1864) die Steuersätze des § 4 AbsichG auf Null gesenkt waren, bestimmte die Verordnung der Bundesregierung vom 28. Oktober 1969 (BGBl I S. 2045) auf Grund des § 9 Abs. 2 AbsichG, daß die Vergütung für die Einfuhr in Zukunft wegfällt und die Vorschrift des § 2 AbsichG (Sonderumsatzsteuer) nicht mehr auf die Ausfuhr von Gegenständen anzuwenden ist, die nach dem Tag der Verkündung der Verordnung bewirkt wird.
II.
Die Verfassungsbeschwerden richten sich sämtlich unmittelbar gegen § 8 Satt 2 Nr. 2 AbsichG; die Beschwerdeführerinnen zu 3, 4 und 6 halten auch § 8 Satz 1 und § 8 Satz 2 Nr. 1 AbsichG für verfassungswidrig. Die Beschwerdeführerin zu 2 beantragt, die Nichtigkeitserklärung auf § 2 AbsichG auszudehnen, soweit die Besteuerung der Altkontrakte auf dieser Bestimmung in Verbindung mit § 8 Satz 2 Nr. 2 AbsichG beruhe.
1. Die Beschwerdeführerinnen geben an, daß ihre Exportverträge langfristige Lieferungen vorsähen. Der verbindliche Auftragsbestand am 23. November 1968 war nach ihren Ausführungen erheblich; er lag zwischen 1,5 Millionen DM bei der Firma mit dem geringsten und rund 93 Millionen DM bei der Firma mit dem höchsten Exportanteil. Wie die Beschwerdeführerinnen versichern, hat keine von ihnen bis zum 23. Dezember 1968 alle ihre vertraglichen Lieferungsverpflichtungen erfüllen können.
2. Die Beschwerdeführerinnen begründen ihre Verfassungsbeschwerden unter Berufung auf die von ihnen vorgelegten Rechtsgutachten der Professoren Dr. Friedrich Klein (Münster), Dr. Peter Lerche (München) und Dr. Konrad Zweigert (Hamburg) im wesentlichen übereinstimmend wie folgt:
Die Einbeziehung der Altkontrakte im Sinne des § 8 Satz 2 Nr. 2 AbsichG in die Sonderumsatzbesteuerung verstoße gegen das rechtsstaatliche Gebot der „Geeignetheit” des vom Gesetzgeber gewählten Mittels zur Erreichung des angestrebten legitimen Gesetzeszweckes und gegen das ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende übermaßverbot. Das mit dem AbsichG erkennbar allein verfolgte Ziel, die Ausfuhr der deutschen Wirtschaft einzuschränken, könne in den Fällen nicht erreicht werden, in denen der deutsche Unternehmer auf Grund von vor dem 23. November 1968 mit verbindlicher Preisabsprache geschlossenen Verträgen die Ausfuhren bewirken müßte, die Sonderumsatzsteuer infolgedessen eine Drosselung des Exports nicht mehr herbeiführen könne. Dem könne nicht entgegengehalten werden, daß die Besteuerung der Altverträge zur Erreichung des Gesetzeszweckes deshalb geeignet und sogar erforderlich gewesen sei, weil der deutschen Exportwirtschaft insgesamt Liquidität hätte entzogen werden müssen, um ihre internationale Konkurrenzkraft zu mindern. Dieser Gesichtspunkt sei sachfremd und schaffe eine Zweck-Mittel-Verbindung, die so weit und locker geknüpft sei, daß sie die „Geeignetheit” der gesetzgeberischen Maßnahme nicht begründen könne. Die Einbeziehung der Altkontrakte sei auch nicht etwa geboten gewesen, um die von der Bundesregierung im sog. Zehner-Club gemachten Zusagen zu erfüllen. Derartige Forderungen seien von den Mitgliedern des Zehner-Clubs nicht erhoben worden; entsprechende, die Altverträge betreffende Verpflichtungen habe die Bundesregierung auch nicht übernommen und im Hinblick auf die Entscheidungsfreiheit des Parlaments auch nicht übernehmen können. Ebensowenig könne die Einbeziehung der Altkontrakte in die Besteuerung mit fiskalischer Notwendigkeit begründet werden. Der Verstoß gegen das verfassungskräftige Prinzip der „Geeignetheit” und gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit könne schließlich weder mit der Härteklausel des § 9 Abs. 3 AbsichG, der nur eine Existenzsicherung gewährleiste, noch mit dem Hinweis des Gesetzes auf die allgemeine Härteklausel des § 131 AO gerechtfertigt werden.
Die Beschwerdeführerinnen tragen weiter vor, das angefochtene Gesetz verstoße aus mehreren Gründen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Das AbsichG verletze das System des am 1. Januar 1968 neu eingeführten Mehrwertsteuerrechts, das einen exakten Grenzausgleich mit sich gebracht habe und enttäusche das Vertrauen der deutschen Exportwirtschaft auf das Fortbestehen dieser Neuregelung. Hinsichtlich der Altverträge unterlasse das Gesetz einerseits die sachlich gebotene Differenzierung zwischen solchen Altverträgen die vor und solchen die nach der Verabschiedung des Gesetzes abgeschlossen worden seien. Hätte sich der Gesetzgeber deutlich gemacht, daß die Sonderumsatzsteuer auf Altverträge qualitativ etwas anderes sei als die Besteuerung von Neukontrakten, weil im ersteren Falle keine Umsatzsteuer im eigentlichen Sinn, sondern eine den Betrieb belastende Kostensteuer vorliege, so hätte er zwangsläufig in anderer Weise zwischen Alt- und Neukontrakten differenzieren müssen. Andererseits differenziere das Gesetz willkürlich zwischen Altverträgen, die bis zum 23. Dezember 1968 hätten erfüllt werden können und anderen Altverträgen. Ob ein Unternehmen lang- oder kurzfristig kontrahiere, sei von Branche zu Branche und von Vertrag zu Vertrag verschieden; es hänge ab von der Auslastung der Unternehmen, dem Produkt, das sie herstellten und von zahlreichen Zufälligkeiten des Wirtschaftslebens. Im Hinblick darauf, daß das AbsichG nicht geeignet sei, seinen legislativen Zweck zu erreichen, sei dem Gesetzgeber der Einwand verschlossen, für seine Differenzierung gebe es eine sachliche Rechtfertigung.
Die Beschwerdeführerinnen machen weiter geltend, § 8 Satz 2 Nr. 2 AbsichG verstoße gegen das Rückwirkungsverbot. Die Beschwerdeführerin zu 2 nimmt an, es liege ein Fall der sogenannten echten Rückwirkung vor, was ohne weiteres zur Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung führe. Die übrigen Beschwerdeführerinnen gehen in Übereinstimmung mit den vorgelegten Gutachten davon aus, daß es sich zumindest um eine unechte Rückwirkung handle. Auf keinen Fall – so tragen die Beschwerdeführerinnen vor – könne die Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung zu einer unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Beurteilung führen. Selbst wenn man der Rechtsprechung des BVerfG zur Zulässigkeit der unechten Rückwirkung in bestimmten Ausnahmefällen folgen wollte, wären die angefochtenen Bestimmungen verfassungswidrig. § 8 Satz 2 Nr. 2 AbsichG entwerte nachträglich eine Rechtsposition, auf deren Fortbestand die deutschen Exporteure hätten vertrauen dürfen. Dieses Vertrauen sei sachlich gerechtfertigt gewesen. Die Betroffenen hätten mit der beanstandeten Regelung nicht rechnen müssen; das geltende Umsatzsteuerrecht sei auch nicht unklar und verworren gewesen, und zwingende Gründe des gemeinen Wohles, die die Rückwirkung rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich. Solche Gründe könnten schon deshalb nicht zur Durchbrechung des Vertrauensgrundsatzes führen, weil die Besteuerung der Altverträge ungeeignet gewesen sei, das Ziel des Absicherungsgesetzes zu erreichen.
Unter Bezugnahme auf das Rechtsgutachten von Professor Lerche führen die Beschwerdeführerinnen schließlich aus, § 8 AbsichG verletze auch Art. 14 GG. Sie regen an, die bisherige Rechtsprechung des BVerfG, wonach die Auferlegung von Geldleistungspflichten, vom Ausnahmefall der Erdrosselung abgesehen, die Eigentumsgarantie nicht berühre, zu überprüfen und machen geltend, dem rechtsstaatlichen Gebot der „Geeignetheit” der gesetzlichen Maßnahme komme jedenfalls im Bereich der Eingriffs- und Maßnahmegesetzgebung eine hervorragende Bedeutung zu. Ein Eingriffsgesetz, das zur Erreichung seines legislativen Zweckes nicht geeignet sei, enthalte immer einen Verstoß gegen Art. 14 GG.
III.
Für die Bundesregierung hat sich der BdF unter Vorlage eines Rechtsgutachtens von Professor Dr. Hans Spanner (München) geäußert. Er hält die Verfassungsbeschwerden für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet und führt aus:
1. Die Beschwerdeführerinnen seien durch das angefochtene Gesetz nicht selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Der unmittelbare Eingriff erfolge erst durch einen staatlichen Vollziehungsakt in Gestalt der Steuerveranlagung. Nicht nur bei der Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer finde eine Veranlagung statt, sondern auch bei der Umsatzsteuer. Nur die Veranlagung und die sie bestätigenden Entscheidungen der FG könnten daher im Wege der Verfassungsbeschwerde angefochten werden. Am Wesen der Umsatzsteuer als einer Veranlagungssteuer änderten auch die Bestimmungen über die Voranmeldung und Vorauszahlung nichts. Voranmeldung und Vorauszahlung seien nur Bestandteil eines vorläufigen Verfahrens; die endgültige Steuerfestsetzung erfolge erst durch die Veranlagung. Die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen das AbsichG könne auch nicht, wie bei der Verfassungsbeschwerde gegen Bestimmungen des UStG 1951, mit der Erwägung angenommen werden, die Umsatzsteuer sei eine Kostensteuer. Das System der Umsatzsteuer habe sich durch die Einführung der Mehrwertsteuer gegenüber der Rechtslage nach dem UStG 1951 entscheidend geändert. Die Mehrwertsteuer stelle keine in die Kalkulation eingehenden Kosten dar, sondern laufe getrennt vom Nettowaren- oder Leistungswert in der Art eines Durchlaufpostens neben diesen her. Der Unternehmer könne die ihm berechnete Vorsteuer von seiner eigenen Umsatzsteuerschuld abziehen.
2. Die grundsätzliche Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, insbesondere im Bereich der Steuergesetzgebung, finde ihre Grenze erst dort, wo Willkür angenommen werden müsse. Dies bedeute, daß nur der evidente, eindeutige und zweifelsfreie Mangel der Eignung eines Gesetzes zur Erreichung des erstrebten Gesetzeszweckes verfassungsrechtlich erheblich sein könne. Von derartiger Ungeeignetheit könne im Falle des § 8 AbsichG keine Rede sein.
Die Einbeziehung der Altverträge in die Sonderumsatzsteuer enthalte auch keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes, aus dem das Verbot der Rückwirkung abgeleitet werde, sei nicht verletzt.
IV.
Alle sieben Verfassungsbeschwerden betreffen den gleichen Sachverhalt und werfen die gleichen Rechtsfragen auf. Mit Rücksicht hierauf hat der Senat sie zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
Entscheidungsgründe
B.
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig.
I.
Die Beschwerdeführerinnen können durch die angefochtenen Bestimmungen nur insoweit beschwert sein, als sie vor der Aufhebung des § 2 AbsichG, also zwischen dem 29. November 1968 und dem 30. Oktober 1969, Ausfuhren bewirkt haben. Angesichts des hohen Auftragsvolumens am 23. November 1968 und der durch die Besonderheit der Produktion bedingten langen Lieferfristen ist auch ohne Nachweis im einzelnen in allen Fällen davon auszugehen, daß in der fraglichen Periode Lieferungen vorgenommen wurden.
II.
Die Beschwerdeführerinnen werden durch das AbsichG selbst, gegenwärtig und unmittelbar, nicht etwa erst mittels eines Vollziehungsaktes betroffen.
Die Sonderumsatzsteuer des § 2 AbsichG wird nach den Regeln des Umsatzsteuergesetzes (Mehrwertsteuer) vom 29. Mai 1967 (BGBl I S. 545) – UStG 1967 – erhoben. § 5 Abs. 2 Satz 1 AbsichG bestimmt, daß für die Berechnung, Veranlagung, Voranmeldung und Entrichtung der Steuer § 16 Abs. 1–4 und § 18 Abs. 1–4 UStG 1967 entsprechend anzuwenden sind. Nach diesen Vorschriften hat der Unternehmer binnen 10 Tagen nach Ablauf des Kalendermonats eine Voranmeldung abzugeben und gleichzeitig eine Vorauszahlung zu entrichten. Es ergeben sich also ohne weiteren Vollzugsakt gewisse Pflichten unmittelbar aus dem Gesetz.
Hinzu kommt noch, daß die Sonderumsatzsteuer für den Unternehmer einen Kostenfaktor darstellt. Da nach § 2 Abs. 4 AbsichG die Vorschriften über den gesonderten Ausweis der Steuer und über den Vorsteuerabzug (§ 14 Abs. 1 und § 15 UStG 1967) nicht anzuwenden sind, belastet die Sonderumsatzsteuer den Unternehmer unmittelbar; er kann sie nicht in der Art der Mehrwertsteuer im Wege des Vorsteuerabzuges überwälzen. Von ihrer Höhe hängt die Entscheidung ab, ob der Unternehmer das Exportgeschäft weiter betreiben, einschränken oder aufgeben will. Unter diesen Umständen treffen auf die Sonderumsatzsteuer die Erwägungen zu, aus denen das BVerfG die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen Vorschriften des UStG 1951 (Allphasenbruttoumsatzsteuer) und des Beförderungsteuergesetzes zugelassen hat (BVerfGE 18, 1 [13 f.]; 16, 147 [158 ff.]). Es besteht kein Anlaß, diese der Situation der Beschwerdeführerinnen gerecht werdende Rechtsprechung zu ändern.
C.
Das AbsichG ist – worauf im Gutachten Lerche besonders hingewiesen wird – im Gesetzgebungsverfahren mit ungewöhnlicher Beschleunigung behandelt worden. Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich hieraus indessen nicht. Der Bundesrat hat, ohne die ihm vorbehaltene Frist auszuschöpfen, ordnungsmäßig auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses verzichtet. Von einer verfassungswidrigen „Überspielung der Einlassungsfrist des Bundesrates” kann keine Rede sein.
Das AbsichG sieht für die zwischen dem 29. November 1968 und dem 30. Oktober 1969 bewirkten Ausfuhren drei Steuertatbestände vor:
(1) Ausfuhren auf Grund von Verträgen, die seit dem 23. November 1968 geschlossen worden sind (§ 2 i.V.m. § 8 Satz 1 AbsichG);
(2) Ausfuhren auf Grund eines vor dem 23. November 1968 geschlossenen Vertrages, der keine endgültigen Preisabsprachen enthielt (§ 2 i.V.m. § 8 Satz 2 Nr. 1 AbsichG)
und
(3) Ausfuhren auf Grund von vor dem 23. November 1968 geschlossenen Verträgen, wenn die Ausfuhr nach dem 23. Dezember 1968 bewirkt wird (Altverträge) (§ 2 i.V.m. § 8 Satz 2 Nr. 2 AbsichG).
Diese Regelung begegnet unter keinem der in den Verfassungsbeschwerden dargelegten Gesichtspunkten verfassungsrechtlichen Bedenken.
I.
Die Beschwerdeführerinnen wenden sich insbesondere gegen die Besteuerung der Ausfuhren auf Grund von Altverträgen mit der Begründung, diese Maßnahme sei für die Erreichung des Gesetzeszweckes – der Einschränkung des Exports – ungeeignet, da derartige Ausfuhren nicht mehr im Belieben des Unternehmers stünden, sondern bewirkt werden müßten. Dieser Einwand ist nicht gerechtfertigt.
1. Das BVerfG hat wiederholt die Frage aufgeworfen, ob ein freiheitsbeschränkender oder ein den Bürger belastender Eingriff als Mittel zur Erreichung des mit dem Gesetz verfolgten Zweckes geeignet ist. Die Rechtsprechung hat sich vor allem bei der Prüfung der Zulässigkeit von Berufszugangsbeschränkungen (BVerfGE 9, 39 [57]; 13, 97 [113]; 19, 330 [337]; 25, 1 [12 f., 17 f.]; 25, 44 [58]) und von Maßnahmegesetzen mit wirtschafts- oder verkehrspolitischer Zwecksetzung (BVerfGE 16, 147 [181]; 17, 306 [313 f.]; 19, 119 [126]; 25, 1 [12 f., 17 f.]) entwickelt. Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit fordert, daß der Einzelne vor unnötigen Eingriffen der öffentlichen Gewalt bewahrt bleibt. Dies bedeutet auch, daß die Mittel des Eingriffs zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels geeignet sein müssen (BVerfGE 17, 306 [313 f.]). Die Zielsetzung und die Bestimmung des geeigneten Mittels setzen eine politische – sei es eine wirtschafts-, gesellschafts- oder rechtspolitische – Entscheidung voraus. Naturgemäß muß der Gesetzgeber bei dieser Entscheidung von der Beurteilung der zur Zeit des Erlasses des Gesetzes bestehenden Verhältnisse ausgehen. Da die Entwicklung sich nicht genau vorausberechnen läßt und aus den verschiedensten Gründen der erwartete Geschehensablauf eine unvorhergesehene Wendung nehmen kann, müssen Irrtümer über den Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung in Kauf genommen werden. Eine gesetzliche Maßnahme kann nicht schon deshalb als verfassungswidrig angesehen werden, weil sie auf einer Fehlprognose beruht (BVerfGE 25, 1 [12 f.]). Die Frage nach der Zwecktauglichkeit eines Gesetzes kann also nicht nach der tatsächlichen späteren Entwicklung, sondern nur danach beurteilt werden, ob der Gesetzgeber aus seiner Sicht davon ausgehen durfte, daß die Maßnahmen zur Erreichung des gesetzten Ziels geeignet waren, ob also seine Prognose bei der Beurteilung wirtschaftspolitischer Zusammenhänge sachgerecht und vertretbar war.
Folgerichtig hat das BVerfG die Frage, ob eine Maßnahme zwecktauglich ist, stets sehr einschränkend behandelt und jeweils nur geprüft, ob das eingesetzte Mittel „objektiv untauglich” (BVerfGE 16, 147 [181]), „objektiv ungeeignet” (BVerfGE 17, 306 [317]) oder „schlechthin ungeeignet” (BVerfGE 19, 119 [126 f.]) war. Bei Anwendung dieser in der Rechtsprechung des BVerfG entwickelten Grundsätze wird die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Maßnahme aus dem Gesichtspunkt der objektiven Zweckuntauglichkeit nur sehr selten und nur in ganz besonders gelagerten Fällen festgestellt werden können. Das AbsichG ist kein Fall dieser Art
2. Das AbsichG verfolgt in erster Linie nicht den Zweck. Haushaltsmittel zu beschaffen, sondern lenkend auf die damalige außenwirtschaftliche Situation einzuwirken. Es sollte die außenwirtschaftliche Konjunktur dämpfen und eine Aufwertung der Deutschen Mark überflüssig machen. Dies kam dadurch besonders zum Ausdruck, daß noch während des Gesetzgebungsverfahrens die Überschrift „Gesetz über umsatzsteuerliche Maßnahmen zur außenwirtschaftlichen Absicherung” in „Gesetz über Maßnahmen zur außenwirtschaftlichen Absicherung gemäß § 4 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (AbsichG)” geändert wurde. Daß wirtschaftslenkende Maßnahmen auch im Wege eines Steuergesetzes zulässig sind, ist vom BVerfG wiederholt betont worden (z.B. BVerfGE 16, 147 [161]; 19, 119 [125]).
Die Maßnahmen des AbsichG erwiesen sich indessen zur Eindämmung der außenwirtschaftlichen Konjunktur offenbar als nicht wirksam genug; denn im Herbst 1969 kam es trotzdem zur Aufwertung der Deutschen Mark. Hieraus sind indessen verfassungsrechtliche Bedenken aus dem Gesichtspunkt der Zwecktauglichkeit gegen das Gesetz als Ganzes nicht herzuleiten. Zur Wiederherstellung des gestörten außenwirtschaftlichen Gleichgewichts zwischen der BRD und ihren Handelspartnern war eine Verminderung des deutschen Exports und eine Steigerung des Imports jedenfalls geeignet. Die Annahme, daß der Export durch eine Belastung eingeschränkt und der Import durch die Begünstigung gefördert würden, lag nahe. Der Gesetzgeber durfte infolgedessen davon ausgehen, daß die im AbsichG getroffenen Maßnahmen den Zweck erfüllen und die außenwirtschaftliche Absicherung ohne Aufwertung der Deutschen Mark sichern könnten, zumal die Minister und Gouverneure der Zehner-Gruppe, innerhalb derer die Änderung des Wechselkurses nachdrücklich gefordert worden war, bei ihrer Tagung in Bonn erklärt hatten, daß die beabsichtigten (im AbsichG verwirklichten) Maßnahmen „einen bedeutenden Beitrag zur Stabilität des Währungssystems und zum Anpassungsprozeß darstellten” (Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 26. November 1968, Nr. 149, S. 1305). Der Gesetzgeber hat unter diesen Umständen die Grenzen des ihm einzuräumenden Ermessens nicht überschritten.
3. Auch der Teil des Gesetzes, der die Besteuerung der Ausfuhren auf Grund von Altverträgen vorsieht (§ 8 Satz 2 Nr. 2), verletzt nicht das Rechtsstaatsprinzip. Er ist zur Erreichung des Gesetzeszweckes nicht schlechthin ungeeignet.
Allerdings war unverkennbar, daß eine Belastung der Ausfuhren auf Grund von Altverträgen eine Einschränkung des Exportes nicht zur Folge haben konnte; die Ausfuhren mußten zur Erfüllung der Verträge bewirkt werden. Dies war im Gesetzgebungsverfahren auch keineswegs umstritten. Sprecher im Bundestag und im Finanzausschuß wiesen immer wieder darauf hin, daß der Zweck des Gesetzes, die Dämpfung des Exportes, mit dieser steuerlichen Maßnahme nicht erreicht werden könne (Abg. Dr. Pohle [CDU/CSU], Verhandlungen des Deutschen Bundestags, 5. Wahlperiode, 197. Sitzung, StenBer. S. 10631 B, C; und S. 10632 A; Dr. Schwörer [CDU/CSU] S. 10641 C; Mertes [FDP] S. 10639 B, C). Wenn der Gesetzgeber die Altverträge einbezog, so ging er offensichtlich davon aus, daß diese Maßnahme trotzdem im Gesamtrahmen des Gesetzes zur Erreichung des Zweckes erforderlich war. Die Frage nach der Zwecktauglichkeit des Mittels kann sich also nicht darauf richten, ob die einzelne Ausfuhr noch verhindert werden, sondern darauf, ob auch die Einbeziehung der Altverträge zur Verminderung des Exportvolumens beitragen könnte. Diese Frage ist zu bejahen.
Die Erhebung der Sonderumsatzsteuer bei den Altverträgen belastete unmittelbar den Unternehmer. Dies konnte bei dem Volumen der Altverträge, das auf 20 bis 25 Milliarden DM geschätzt wurde (Abg. Möller a.a.O., S. 10637 A-C), eine allgemeine Liquiditätsminderung im Bereich der deutschen Exportindustrie herbeiführen, die geeignet war, dämpfend auf den Export zu wirken. Hinzu kommt, daß die gleichzeitige Begünstigung des Importes, die mit der Exportbelastung zusammen gesehen werden muß und mit dieser zusammenhing, es geboten erscheinen ließ, die Altverträge einzubeziehen. Derartige Verträge sind längerfristige Abschlüsse, die in der Regel eine Fertigung des Exportartikels im Inland voraussetzen. Bei einer Freistellung der Ausfuhren auf Grund solcher Verträge von der Sonderumsatzsteuer, hätte die nicht sehr fernliegende Möglichkeit bestanden, zur Herstellung der zu exportierenden Gegenstände importbegünstigte Rohstoffe und Einzelteile zu verwenden und das fertiggestellte Exportgut sodann unbelastet auszuführen. Dies hätte zu einer dem Gesetzeszweck geradezu zuwiderlaufenden teilweisen Exportbegünstigung geführt.
Im Gesetzgebungsverfahren wurde im übrigen auch betont, daß für das AbsichG zwar kein unmittelbarer fiskalischer Anlaß bestehe, es sich vielmehr um ein Gesetz währungspolitischer Natur handle, die Erzielung von Einnahmen aber dennoch ein sehr wesentlicher Zweck des Gesetzes sei (Dr. Eckardt [CDU/CSU] a.a.O., S. 10720 A, S. 10722 A; Finanzminister Dr. Strauß S. 10731 A, B f.).
Bei Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kann keine Rede davon sein, daß der Gesetzgeber bei der Besteuerung der Ausfuhr auf Grund von Altverträgen die Grenzen seines Beurteilungsspielraums nicht eingehalten hätte.
4. Ein Verstoß gegen das Übermaßverbot ist nicht festzustellen. In der Höhe des Steuersatzes von 4 % (§ 4 AbsichG) kann eine übermäßige Belastung nicht gesehen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich der Steuersatz nicht in voller Höhe auswirkte, weil die Belastung bei der Veranlagung zu den Ertragsteuern voll abgesetzt werden konnte (§ 4 Abs. 1 und Abs. 4 EStG; § 6 Abs. 1 KStG). Zudem konnte bei Härten im Einzelfall über die erwähnten Härteklauseln Hilfe gewährt werden. Damit war rechtsstaatlichen Anforderungen Genüge getan.
II.
Die Regelung des § 8 in Verbindung mit § 2 AbsichG, soweit die Ausfuhren auf, Grund von vor dem 29. November 1968 geschlossenen Verträgen, insbesondere der Altverträge, mit der Sonderumsatzsteuer belastet werden, verstößt nicht deshalb gegen das Grundgesetz, weil sie eine rechtsstaatswidrige Rückwirkung bewirkt.
1. Der Staatsbürger soll sich grundsätzlich darauf verlassen können, daß der Gesetzgeber an abgeschlossene Tatbestände keine ungünstigeren Folgen knüpft, als im Zeitpunkt der Vollendung dieser Tatbestände voraussehbar war (echte Rückwirkung). Dies ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip. Das Vertrauen des Staatsbürgers kann allerdings unter Umständen auch Schutz dagegen beanspruchen, daß seine Rechtsposition nachträglich durch Vorschriften entwertet wird, die lediglich auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte einwirken (unechte Rückwirkung) (BVerfGE 25, 269 [290]).
Die Besteuerung der Ausfuhren auf Grund von Verträgen, die am 29. November 1968 bestanden, insbesondere der Altverträge, hat eine unechte Rückwirkung zur Folge. Das Gesetz knüpft die Steuerpflicht nicht an den Vertragsabschluß, sondern an die nach dem 29. November 1968 bewirkte Ausfuhr von Gegenständen (§ 2 Abs. 1 AbsichG). Die Steuerpflicht entsteht gemäß § 5 AbsichG mit Ablauf des Voranmeldungszeitraumes im Sinne des § 18 Abs. 2 UStG 1967, auf Grund dessen der Unternehmer binnen 10 Tagen nach Ablauf jedes Kalendermonats eine Voranmeldung nach einem vom BdF zu bestimmenden Muster abzugeben und gleichzeitig die Vorauszahlung zu entrichten hat. Damit knüpft das Gesetz die den Betroffenen nachteilige Rechtsfolge nicht an einen der Vergangenheit angehörenden, abgewickelten Tatbestand an. Es wirkt lediglich auf gegenwärtig noch nicht abgeschlossene Sachverhalte, nämlich die langfristigen, noch nicht abgewickelten Lieferverträge für die Zukunft ein.
2. Das BVerfG hat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, daß die Grenzen der Zulässigkeit einer echten Rückwirkung anders verlaufen als die einer unechten. Die Beschwerdeführerinnen meinen – unter Berufung auf die von ihnen vorgelegten Gutachten –, die Rechtsprechung des BVerfG habe sich dahin entwickelt, die Zulässigkeit der unechten Rückwirkung immer weiter einzuschränken und sie der echten Rückwirkung anzunähern, so daß beide Kategorien gleich zu behandeln seien. Dies trifft nicht zu.
Der Eingriff in einen abgeschlossenen, der Vergangenheit angehörenden Sachverhalt ist besonders einschneidend. Das Vertrauen in den Fortbestand der Rechtslage muß daher stärker geschützt sein als bei einem Eingriff in einen nicht abgeschlossenen, in der Entwicklung befindlichen und noch einem Risiko ausgesetzten Sachverhalt. Dementsprechend ist eine echte Rückwirkung, von einigen anderen engbegrenzten Ausnahmefällen abgesehen, nur dann als zulässig angesehen worden, wenn zwingende, dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnete Gründe des gemeinen Wohles die Rückwirkung rechtfertigen (BVerfGE 13, 261 [272]) . Demgegenüber ist bei einem Gesetz mit unechter Rückwirkung das Vertrauen des Einzelnen auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung mit der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit abzuwägen; nur wenn die Abwägung ergibt, daß das Vertrauen auf die Sicherheit der bestehenden Lage den Vorrang verdient, ist die Rückwirkung unzulässig (BVerfGE 25, 142 [154]). An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.
3. Im Herbst 1968 war es unabweisbar geworden, Maßnahmen zur Herstellung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts zu ergreifen.
Nach der Rezession hatte im Jahre 1968 ein konjunktureller Aufschwung eingesetzt. Auch die Auslandsnachfrage stieg infolge des anhaltenden Preisauftriebs in den wichtigsten Abnehmerländern der deutschen Exportindustrie weiter an. Die Diskrepanz der Preisentwicklung in den Handelspartnerländern brachte die Gefahr einer Preisniveauanpassung innerhalb der BRD mit sich. Um dieser Entwicklung zu steuern, mußte unter anderem auch eine Drosselung des Außenhandels notwendig erscheinen. Wie oben zu I 2 dargelegt, durfte der Gesetzgeber mit guten Gründen von der Zwecktauglichkeit der im AbsichG getroffenen Maßnahmen ausgehen, nachdem die Bundesregierung eine Aufwertung der Deutschen Mark abgelehnt hatte. Die Belastung der Ausfuhren war, wenn sie sich auch auf die Dauer nicht als wirksam genug erwies, jedenfalls zunächst geeignet, die Exportkonjunktur zu dämpfen, wobei die Wirkung erheblich verstärkt werden mußte, wenn alle noch zu bewirkenden Ausfuhren, also auch diejenigen auf Grund der Altverträge, erfaßt wurden.
Hinter diesen durch die damalige Situation verursachten Notwendigkeiten muß die Erwartung des einzelnen Unternehmers, er könne die schwebenden Geschälte in der bei Vertragsabschluß in Rechnung gestellten Weise abwickeln, zurücktreten. Der Bürger kann im allgemeinen nicht darauf vertrauen, daß die Gesetzeslage bis zur Verwirklichung eines Steuertatbestandes unverändert bestehen bleibt. Dies gilt nicht nur für Steuervergünstigungen, sondern auch für die Schaffung einer zusätzlichen Steuer. Die Frage, ob die Beschwerdeführerinnen auf Grund des Stabilitätsgesetzes in besonderem Maß darauf vertrauen durften, bei Maßnahmen zur Wahrung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts von einer Exportumsatzsteuerzahlung verschont zu bleiben, ist zu verneinen. Zwar ist im Verlauf der Beratung des Stabilitätsgesetzes ein Vorschlag, der Bundesregierung eine Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen auf dem Gebiet des Umsatzsteuerrechts zu erteilen, abgelehnt worden, weil eine solche auf die Dauer berechnete Regelung angesichts des bevorstehenden Wechsels im System der Umsatzbesteuerung für untunlich gehalten wurde (vgl. Kurzprotokoll über die 46. Sitzung des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages vom 2. Februar 1967 S. 17; Kurzprotokoll über die 56, Sitzung des Wirtschaftsausschusses des Deutschen Bundestages vom 20. April 1967 S. 17). Der Bundestag nahm indessen nach der dritten Lesung des Gesetzes eine Entschließung an, durch die die Bundesregierung ersucht wurde, zu prüfen und zu berichten, welche Möglichkeiten bestünden, die binnenwirtschaftliche Stabilitätspolitik auch durch steuerliche Maßnahmen gegen außenwirtschaftliche Störungen abzusichern. Dies bedeutete, daß gesetzliche Maßnahmen auf steuerlichem Gebiet nicht ausgeschlossen sein sollten.
Demzufolge ergibt die Abwägung zwischen dem Vertrauen des Einzelnen auf den Fortbestand einer bestimmten gesetzlichen Regelung und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit, daß gegenüber dem Einzelinteresse dem Gesamtinteresse an der Ordnung der Wirtschaft und an ungestörten Beziehungen zu anderen Staaten die größere Bedeutung zukommt. Dabei kann auch in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Gesetzgeber gegen Härten und unverhältnismäßige Nachteile Vorsorge getroffen hatte und die Maßnahmen nur auf Zeit, und zwar für eine verhältnismäßig kurze Frist, eingeführt worden waren und jeweils den veränderten Verhältnissen angepaßt werden konnten.
Hinsichtlich der unter § 8 Satz 2 Nr. 1 AbsichG fallenden Ausfuhren, also der Ausfuhren auf Grund der vor dem 23. November 1968 ohne feste Preisabsprache, und hinsichtlich der später vor dem 29. November 1968 geschlossenen Verträge, gelten die gleichen Erwägungen. Eines Eingehens auf die Besonderheit der Verträge ohne feste Preisabsprache bedarf es nicht.
III.
Auch aus den weiteren von den Beschwerdeführerinnen angeführten Gesichtspunkten ergeben sich keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Regelung. Weder Art. 3 Abs. 1 noch Art. 14 GG sind verletzt.
1. Die Sonderbesteuerung des Exportes wich zwar von dem neu eingeführten Mehrwertsteuersystem ab. Die Systemwidrigkeit einer Regelung allein bewirkt indessen noch nicht ihre Verfassungswidrigkeit. Es steht dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, von den Grundregeln, die er selbst gesetzt hat, abzuweichen. Nur wenn das System eines Gesetzes ohne zureichende sachliche Gründe verlassen wird, könnte Willkür angenommen werden (BVerfGE 18, 315 [334] mit weiteren Nachweisen). Wie oben zu II 3 dargelegt, bewogen den Gesetzgeber sachgerechte Gründe dazu, das System der Mehrwertbesteuerung im grenzüberschreitenden Verkehr für bestimmte Zeit zu durchbrechen, um den auf die Deutsche Mark von außen ausgeübten Druck zu mildern. Von willkürlichem Vorgehen kann keine Rede sein.
2. Nach Meinung der Beschwerdeführerinnen verstößt die Regelung des § 8 in Verbindung mit § 2 AbsichG auch deshalb gegen den Gleichheitssatz, weil der Gesetzgeber zwischen den Fällen der nach dem 29. November 1968 und denjenigen der vor diesem Zeitpunkt abgeschlossenen Verträgen nicht differenziert habe, obwohl die Möglichkeit der Abwälzung der Sonderumsatzsteuer in beiden Fällen verschieden gewesen sei. Dies trifft jedoch nicht zu. Wie oben zu II 3 dargelegt, war es sachgerecht, die Ausfuhren auf Grund der früheren Verträge, insbesondere der Altverträge, einzubeziehen, um die Wirksamkeit der Maßnahme nicht zu gefährden.
3. Die Festsetzung einer Schonfrist von 1 Monat für Altverträge mit fester Preisabsprache (§ 8 Satz 2 Nr. 2 AbsichG) war ebenfalls durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Bei Einräumung einer längeren Schonfrist wäre fraglich gewesen, ob sich die mit dem AbsichG beabsichtigten Wirkungen sofort hätten bemerkbar machen können. Außerdem sprachen Gesichtspunkte der Verwaltungspraktikabilität gegen eine länger dauernde Freistellung der Altverträge. Bei Abwägung der Interessen der Unternehmer gegen diese Notwendigkeiten handelte der Gesetzgeber nicht willkürlich, wenn er in diesem Fall nur die nach dem 23. Dezember 1968 bewirkten Ausfuhren besteuerte.
4. Die Rüge der Verletzung des Art. 14 GG ist nicht begründet.
Das BVerfG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß die Auferlegung von Geldleistungsverpflichtungen die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG grundsätzlich unberührt lasse (z.B. BVerfGE 4, 7 [17]; 8, 274 [330]; 23, 288 [314 f.]) . Das gilt auch für Gesetze wirtschafts- und währungspolitischer Natur (BVerfGE 19, 119 [128 f.]). Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Geldleistungspflichten den Betroffenen übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen (Erdrosselungswirkung) (BVerfGE 14, 221 [241]; 19, 119 [128 f.]; 23, 288 [315]).
Es besteht keine Veranlassung, von dieser gefestigten Rechtsprechung abzuweichen.
Der Einwand, ein zu einer Geldleistung verpflichtendes Gesetz, das zur Erreichung des Gesetzeszweckes objektiv untauglich sei, bewirke immer eine Enteignung, bedarf keiner weiteren Erörterung, da – wie oben zu II dargelegt – die Voraussetzung nicht zutrifft.
Von einer erdrosselnden Wirkung der Sonderumsatzsteuer kann im übrigen keine Rede sein. Soweit im Einzelfall Härten auftraten, war ein Ausgleich über die Härteklausel des § 9 Abs. 3 AbsichG möglich.
IV.
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
Fundstellen
BStBl II 1971, 433 |
BVerfGE 30, 250 |
BB 1971, 719 |
DB 1971, 1151 |