Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 23.11.2005; Aktenzeichen 1 Ss 367/05) |
AG Lennestadt (Urteil vom 25.04.2005; Aktenzeichen 5 Cs 252 Js 669/04-Sch 3/05) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln.
I.
1. Im Oktober 2004 wurde bei dem Beschwerdeführer anlässlich einer Verkehrskontrolle festgestellt, dass er seinen PKW unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln führte. Als die Polizeibeamten ankündigten, sein Fahrzeug zu durchsuchen, gab der Beschwerdeführer einen Beutel mit 50 g Amphetamin heraus. Das Amtsgericht Olpe verurteilte ihn im Februar 2005 zu einer Geldbuße von 300 Euro wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs unter der Wirkung eines berauschenden Mittels (§ 24a Abs. 2 Satz 1 StVG). Diese Entscheidung ist rechtskräftig und nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde.
2. Im April 2005 verurteilte das Amtsgericht Lennestadt den Beschwerdeführer wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln bei derselben Verkehrskontrolle, die auch der Verurteilung wegen der Verkehrsordnungswidrigkeit zugrunde lag. Das Doppelbestrafungsverbot, auf das sich der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung berufen hatte, stehe einer Verurteilung nicht entgegen, weil die Begehung der Ordnungswidrigkeit “in keinem Zusammenhang mit dem unerlaubten Besitz des Betäubungsmittels” stehe.
3. Das Oberlandesgericht verwarf die gegen die Entscheidung des Amtsgerichts gerichtete Sprungrevision hinsichtlich des Schuldspruchs durch Urteil. Im Anschluss an den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ist das Gericht der Ansicht, Strafklageverbrauch sei nicht eingetreten. Die tatbestandlichen Ausführungshandlungen beider Delikte seien nicht deckungsgleich. Auch sonst fehle es an einer unlösbaren inneren Verbindung zwischen dem Besitz an den Betäubungsmitteln und dem Führen eines Kraftfahrzeugs unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln.
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 ff.≫); denn sie ist unbegründet. Das grundrechtsgleiche Recht des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 3 GG wird durch die angegriffenen Entscheidungen nicht verletzt.
1. Der Begriff der Tat im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG ist im Grundgesetz nicht definiert. Die Vorschrift verweist auf ein vorkonstitutionelles Verständnis des Tatbegriffs, das sich an den prozessualen Tatbegriff des § 264 StPO anlehnt.
a) “Tat” im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG ist danach der geschichtliche – und damit zeitlich und sachverhaltlich begrenzte – Vorgang, auf welchen Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (vgl. BVerfGE 23, 191 ≪202≫; 45, 434 ≪435≫; 56, 22 ≪28≫).
aa) Ob verschiedene Urteile dieselbe Tat im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG betreffen, ist unabhängig von dem Begriff der Tateinheit (§ 52 StGB) zu beurteilen (vgl. BVerfGE 45, 434 ≪435≫), weil die Rechtsfiguren der Tateinheit (§ 52 StGB) und der Tatidentität (Art. 103 Abs. 3 GG) verschiedene Zwecke verfolgen (vgl. BVerfGE 56, 22 ≪30 f.≫). Ein durch den Rechtsbegriff der Tateinheit (§ 52 StGB) zusammengefasster Sachverhalt wird jedoch in der Regel auch verfassungsrechtlich eine einheitliche prozessuale Tat darstellen (Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 – 2 BvR 2125/04 –, juris). Umgekehrt bilden mehrere im Sinne von § 53 StGB sachlichrechtlich selbständige Handlungen grundsätzlich nur dann eine einheitliche prozessuale Tat, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern wegen der ihnen zugrunde liegenden Vorkommnisse unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde (stRspr der Fachgerichte, vgl. nur BGH, Beschluss vom 24. November 2004 – 5 StR 206/04 –, NJW 2005, S. 836 ≪837≫ m.w.N.).
bb) Den Begriffen der Tateinheit nach materiellem Strafrecht und der Tatidentität im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG korrespondiert ein unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab.
(1) Die Würdigung des materiellrechtlichen Konkurrenzverhältnisses (§§ 52, 53 StGB) der in Rede stehenden Tatbestandsverwirklichungen ist vornehmlich eine Frage des einfachen Rechts. Sie obliegt deshalb vor allem den Fachgerichten und kann vom Bundesverfassungsgericht im Verfassungsbeschwerdeverfahren nur unter dem Gesichtspunkt der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts – insbesondere des Willkürverbots – überprüft werden (vgl. BVerfGE 45, 434 ≪436≫).
(2) Ob hingegen zwei Handlungen oder Unterlassungen “dieselbe Tat” im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG bilden, ist der vollen verfassungsgerichtlichen Nachprüfung zugänglich. Das Bundesverfassungsgericht ist nicht gehindert, dies auch dann noch anzunehmen, wenn die Entscheidung des Fachgerichts, die mehreren Tatbestandsverwirklichungen stünden zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB), verfassungsrechtlich unangreifbar ist (vgl. BVerfGE 45, 434 ≪436≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 – 2 BvR 2125/04 –, a.a.O., Rn. 7).
b) Diesen Maßstäben halten die angegriffenen Entscheidungen stand.
aa) Die Annahme von Tatmehrheit im Sinne des materiellen Strafrechts ist nicht willkürlich.
(1) Ein Verfassungsverstoß liegt bei gerichtlichen Urteilen unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots selbst dann noch nicht vor, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren lediglich Fehler enthalten. Willkürlich ist der Richterspruch erst dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 4, 1 ≪7≫; 62, 189 ≪192≫; 80, 48 ≪51≫; 86, 59 ≪62 f.≫; 87, 273 ≪278 f.≫).
(2) Dies ist hier nicht der Fall. Die Annahme von Tatmehrheit steht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2004 – 1 StR 466/03 –, NStZ 2004, S. 694) und der Auffassung der Literatur, wonach Handlungseinheit grundsätzlich voraussetzt, dass die Verletzung mehrerer Strafgesetze in einer Handlung zusammentrifft (vgl. Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, § 52 Rn. 6), und ist daher jedenfalls vertretbar. Denn eine einheitliche Handlung liegt den beiden gegen den Beschwerdeführer ergangenen Schuldsprüchen nicht zugrunde. Der Beschwerdeführer übte nicht dadurch die tatsächliche Gewalt über die Betäubungsmittel aus, dass er seinen PKW unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln führte. Dass er bei Gelegenheit seiner Fahrt mit dem PKW im Besitz von Betäubungsmitteln angetroffen wurde, stellt einen zufälligen äußeren Umstand dar. Eine innere Verknüpfung beider Handlungen, die über die bloße Gleichzeitigkeit hinausginge, ist darin nicht zu sehen.
bb) Auch die Annahme zweier prozessualer Taten begegnet im Hinblick auf Art. 103 Abs. 3 GG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Die geschichtlichen Vorgänge, die den beiden Anklagen zugrunde liegen, sind lediglich zeitlich, nicht aber als Sachverhalte identisch. Der erste Vorwurf erfasste das Handeln des Angeklagten zum Zeitpunkt der Polizeikontrolle im Hinblick auf das Führen seines Kraftfahrzeugs, während der andere, hier in Rede stehende, sich auf den Besitz von Betäubungsmitteln bezog. Diese Differenzierung spaltet einen einheitlichen Lebensvorgang nicht in unnatürlicher Weise auf. Der soziale Sinngehalt beider Tatvorwürfe, das jeweils verwirklichte Unrecht und die individuelle Schuld des Täters lassen sich beurteilen, ohne dass zugleich der jeweils andere Tatvorwurf berücksichtigt werden müsste. Die Tatsache, dass der Beschwerdeführer Betäubungsmittel bei sich führte, lässt das Führen des Kraftfahrzeugs unter Betäubungsmitteleinfluss nicht in anderem Licht erscheinen; gleiches gilt für den Besitz der Betäubungsmittel, für dessen Beurteilung es grundsätzlich gleichgültig ist, unter welchen Umständen er festgestellt wird.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Hassemer, Di Fabio, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 1504888 |
VRA 2006, 124 |
VRR 2006, 272 |