Entscheidungsstichwort (Thema)
Angabe eines Tätigkeitsschwerpunkts für Zahnarztpraxen
Beteiligte
Rechtsanwälte Dr. Thomas Ratajczak und Koll. |
Tenor
1. Das Urteil des Landesberufsgerichts für Zahnärzte in Stuttgart vom 26. Februar 2000 – LNs 6/99 – und das Urteil des Bezirksberufsgerichts für Zahnärzte in Tübingen vom 11. Juni 1999 – BZG 2/99 – verletzen den Beschwerdeführer zu 1) in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.
Das Verfahren wird an das Landesberufsgericht für Zahnärzte in Stuttgart zurückverwiesen.
Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer zu 1) die ihm im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 30.000 DM (in Worten: dreißigtausend Deutsche Mark) festgesetzt.
2. Das Urteil des Landesberufsgerichts für Zahnärzte in Stuttgart vom 26. Februar 2000 – LNs 5/99 – und das Urteil des Bezirksberufsgerichts für Zahnärzte in Tübingen vom 17. Juni 1999 – BZG 3/99 – verletzen den Beschwerdeführer zu 2) in seinem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben.
Das Verfahren wird an das Landesberufsgericht für Zahnärzte in Stuttgart zurückverwiesen.
Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer zu 2) die ihm im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 30.000 DM (in Worten: dreißigtausend Deutsche Mark) festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die beschwerdeführenden Zahnärzte wenden sich gegen das Verbot, ihren Tätigkeitsschwerpunkt „Implantologie” auf Briefbögen oder auf dem Praxisschild zu verlautbaren.
1. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 des baden-württembergischen Gesetzes über die öffentliche Berufsvertretung, die Berufspflichten, die Weiterbildung und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker und Dentisten (Kammergesetz) in der hier maßgeblichen Fassung vom 16. März 1995 (GBl. BW S. 314; im Folgenden: KaG) regelt die Berufsordnung das Nähere über die Berufspflichten. Die Berufsordnung kann nach § 31 Abs. 2 KaG insbesondere Vorschriften über die Fortbildung (Nr. 2), über die Praxisankündigung, über Praxisschilder (Nr. 5) und über die Werbung (Nr. 9) enthalten. Seit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Änderung des Kammergesetzes vom 25. November 1999 (GBl. BW S. 453) ermächtigt dieses überdies zur Regelung der Zertifizierung von Fortbildungsangeboten und der Bestätigung abgeleisteter Fortbildungsmaßnahmen (§ 31 Abs. 2 Nr. 2 KaG n.F.).
Die für die vorliegenden Verfassungsbeschwerden maßgebliche Berufsordnung der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. August 1996 (ZBW 10/1996, S. 536; im Folgenden: BO 1996) erlaubt nach § 12 Abs. 3 dem Zahnarzt weitere Bezeichnungen, die auf die besonderen Kenntnisse in einem bestimmten Gebiet der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde hinweisen (Gebietsbezeichnungen) nur, wenn diese von der Kammer anerkannt sind. Das können sie auf den Gebieten der Kieferorthopädie, Oralchirurgie und des öffentlichen Gesundheitswesens sein. § 16 Abs. 1 Satz 1 BO 1996 untersagt dem Zahnarzt jede Werbung und Anpreisung. § 13 Abs. 2 BO 1996 führt in Satz 1 die zwingenden Angaben auf dem Praxisschild und in Satz 2 die erlaubten Angaben auf, darunter auch die anerkannten Gebietsbezeichnungen, die nach § 12 Abs. 4 Satz 1 BO 1996 auch für Briefpapier, Rezeptvordrucke und Stempel entsprechend gelten.
Daneben gestattet inzwischen § 13 BO in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Oktober 1999 (ZBW 11/1999, S. 60; im Folgenden: BO 1999) dem Zahnarzt, eigenverantwortlich so genannte „Interessenschwerpunkte” auszuweisen. Näheres regeln die Richtlinien der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg. Danach werden die Interessenschwerpunkte in Form einer „Patienten-Informations-Liste” ausgewiesen, die bei der Bezirkszahnärztekammer geführt wird. Die Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg hat vier Bereiche für diese Spezialisierung vorgegeben, darunter auch die Implantologie. Der Zahnarzt darf die „Interessenschwerpunkte” ausweisen, wenn er in diesen Bereichen mehrjährige praktische Erfahrung und Fertigkeiten besitzt und über mehrjährige Fortbildung in diesen Bereichen verfügt. Mittlerweile darf der Zahnarzt von der Kammer anerkannte personenbezogene Kammerzertifikate führen (Berufsordnung in der Fassung der Satzung vom 4. August 2000 ≪ZBW 8/2000, S. 30≫). Diese anerkannten Kammerzertifikate darf er auch auf dem Praxisschild führen. Näheres regeln die Richtlinien, die Zertifikate unter anderem für Implantologie, Kinder- und Jugendzahnheilkunde sowie Parandontologie vorsehen. Weitere Änderungen sind in Vorbereitung.
2. Der Beschwerdeführer zu 1) ist seit 1986 sowohl als Arzt als auch als Zahnarzt niedergelassen. Als approbierter Arzt hat er sich zum Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie weitergebildet. Nach seinen Angaben hat er bereits mehr als 3.000 Implantationen durchgeführt. Ihm wurde nach entsprechender Berufstätigkeit und Fortbildungsmaßnahmen vom Bundesverband der niedergelassenen implantologisch tätigen Zahnärzte in Deutschland e.V. (BDIZ), dessen Mitglied er ist, ein Zertifikat über den Nachweis besonderer Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich der oralen Implantologie erteilt und der „Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie” zuerkannt. Im Jahr 1998 verwandte der Beschwerdeführer in mehreren Fällen neben den Bezeichnungen „Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie” und „Zahnarzt” den Zusatz „Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie”; wie der Beschwerdeführer im Ausgangsverfahren in der Berufungsverhandlung eingeräumt hat, führte er den Zusatz auch auf seinem Praxisschild.
Das Bezirksberufsgericht für Zahnärzte hat den Beschwerdeführer wegen berufsunwürdigen Verhaltens zu einer Geldbuße von 6.000 DM verurteilt, weil sein Verhalten gegen die Vorschriften des Kammergesetzes und gegen § 12 Abs. 3 und 4 BO 1996 verstoßen habe. Das Landesberufsgericht für Zahnärzte hat die Entscheidung bestätigt; die beanstandete Bezeichnung sei unstatthaft, weil sie in der Berufsordnung (§ 12 Abs. 3, § 14 BO 1999) nicht zugelassen sei. Der Verkehr werde dem Zusatz „Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie” dieselbe Bedeutung zumessen wie den in der Weiterbildungsordnung zugelassenen Gebietsbezeichnungen. Deren Nennung setze aber objektive Kriterien voraus, die von dritter Seite gemäß der Weiterbildungsordnung qualitativ überprüft werden könnten. Demgegenüber lasse der aufgrund eigener Einschätzung oder aufgrund eines von privaten Verbänden verliehenen Zertifikats behauptete Tätigkeitsschwerpunkt keine verlässliche Aussage über die tatsächliche Qualifikation auf dem genannten Gebiet zu. Es komme nicht darauf an, dass die Zertifizierungskriterien des BDIZ, dem der Beschwerdeführer angehöre und auf dessen Zertifikat er sich berufe, außerordentlich streng sein mögen. Ein solches Verhalten führe zu Verunsicherungen und zu Irrtümern bei den Patienten. Dem Beschwerdeführer bleibe es unbenommen, gemäß § 13 BO 1999 und der hierzu ergangenen Richtlinie die Implantologie als Interessenschwerpunkt auszuweisen.
3. Der Beschwerdeführer zu 2) betreibt eine Gemeinschaftspraxis als Zahnarzt. Er beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit Implantologie und erhielt vom BDIZ ein Zertifikat über seine Befähigung auf diesem Gebiet. Das Praxisschild seiner Gemeinschaftspraxis lautet:
Zahnärzte
Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie BDIZ
Dr. V. K. und Dr. M. W.
Durch Urteil des Bezirksberufsgerichts für Zahnärzte wurden der Beschwerdeführer und sein Kollege wegen berufsunwürdigen Verhaltens jeweils zu einer Geldbuße von 2.500 DM verurteilt, unter anderem weil der Gebrauch der Bezeichnung „Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie BDIZ” auf dem Praxisschild gegen das berufsrechtliche Werbeverbot verstoße. Überdies besitze der Kollege nicht einmal das entsprechende Zertifikat. Das Landesberufsgericht für Zahnärzte verwarf die Berufung als unbegründet.
II.
Mit ihren fristgemäß erhobenen Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG durch die gerichtlichen Entscheidungen. Die Angabe des Tätigkeitsschwerpunkts Implantologie sei eine interessengerechte und sachangemessene Information, die keinen Irrtum errege und ein berechtigtes Informationsinteresse der Bevölkerung abdecke. Im Jahr 2000 habe der Anteil der Implantologie beim Beschwerdeführer zu 1) etwa 50 vom Hundert der erbrachten Leistungen und des Honoraraufkommens betragen. Der Beschwerdeführer zu 2) habe im gleichen Zeitraum etwa 26 vom Hundert seines Honoraraufkommens mit implantologischen Leistungen erwirtschaftet. Auf diesen faktischen Schwerpunkt dürfe auch hingewiesen werden.
III.
Zu den Verfassungsbeschwerden haben Stellung genommen der Bundesgerichtshof und die Bundeszahnärztekammer sowie einige Landeszahnärztekammern.
1. Der Bundesgerichtshof verweist auf seine bisherige Rechtsprechung zur Anwaltswerbung.
2. Die Zahnärztekammern halten die Angabe des Tätigkeitsschwerpunkts Implantologie für irreführend. Der Begriff sei nicht hinreichend definiert und wegen der sich hieraus ergebenden Verunsicherung der Bevölkerung – im Unterschied zu dem mittlerweile eingeführten „Kammerzertifikat Fortbildung Implantologie” – für die Ankündigung auf dem Praxisschild ungeeignet. Von einer „nachhaltigen” Tätigkeit, wie sie etwa § 7 Abs. 2 der Berufsordnung für Rechtsanwälte vom 29. November 1996 (BRAK-Mitt 1996, S. 241; im Folgenden: BORA) verlange, könne bei Zahnärzten insoweit keine Rede sein. Nach einer von der Bundeszahnärztekammer im Jahr 1999 erhobenen GOZ-Analyse, in der das Liquidationsverhalten der Zahnärzte bei Abrechnung nach der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) bundesweit erfasst worden sei, mache der Anteil implantologischer Leistungen an allen GOZ-Leistungen nach der Anzahl 0,11 vom Hundert aus. Der Anteil implantologischer Leistungen bei den Zahnärzten, die implantologische Leistungen erbrächten, betrage 0,26 vom Hundert.
Der Level für den Erwerb des Zertifikats „Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie BDIZ” sei daher mit dem Nachweis von mindestens 500 gesetzten Implantaten und einer mindestens zehnjährigen implantologischen Tätigkeit zu hoch angesetzt. Öffentliche Belange würden zwar nicht berührt, wenn höher qualifizierte Ärzte auf ihre erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten hinwiesen. Wenn jedoch den Zahnärzten generell erlaubt wäre, Zertifikate über eine bestimmte fachliche Qualifikation, die von beliebigen Berufsverbänden des privaten Rechts erteilt würden, auf dem Praxisschild und in sonstigen Verlautbarungen zu führen, bestünde die Gefahr, dass Zertifikate erteilt würden, die dem jeweiligen Stand der Zahnmedizin nicht entsprächen. Es wäre der Kammer nicht zumutbar, bei allen Mitgliedern nachzuprüfen, ob die Zertifikate den erforderlichen Standard erreichten.
Entscheidungsgründe
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93 c Abs. 1 BVerfGG sind gegeben. Die angegriffenen Hoheitsakte verletzen die Beschwerdeführer in ihrer Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).
1. Die Verfassungsbeschwerden werfen keine Fragen von grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung auf. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass in den Bereich der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten berufsbezogenen Tätigkeiten auch die berufliche Außendarstellung der Grundrechtsberechtigten einschließlich der Werbung für die Inanspruchnahme ihrer Dienste fällt (vgl. BVerfGE 94, 372 ≪389≫). Ebenfalls geklärt ist, welche Gemeinwohlbelange der Werbefreiheit der Ärzte Grenzen setzen.
Das Werbeverbot für Ärzte soll dem Schutz der Bevölkerung dienen, es soll das Vertrauen der Patienten darauf erhalten, dass der Arzt nicht aus Gewinnstreben bestimmte Untersuchungen vornimmt, Behandlungen vorsieht oder Medikamente verordnet (vgl. BVerfGE 71, 162 ≪174≫). Die ärztliche Berufsausübung soll sich nicht an ökonomischen Erfolgskriterien, sondern an medizinischen Notwendigkeiten orientieren. Das Werbeverbot beugt einer gesundheitspolitisch unerwünschten Kommerzialisierung des Arztberufs vor. Werberechtliche Vorschriften in ärztlichen Berufsordnungen hat das Bundesverfassungsgericht daher mit der Maßgabe als verfassungsmäßig angesehen, dass nicht jede, sondern lediglich die berufswidrige Werbung verboten ist (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪257, 260 f.≫). Als berufswidrig in diesem Sinne gilt unter anderem das Führen von Zusätzen, die im Zusammenhang mit den geregelten Qualifikationsbezeichnungen und Titeln zu Irrtümern und damit zu einer Verunsicherung der Kranken führen können, was das Vertrauen in den Arztberuf untergraben und langfristig negative Rückwirkungen auf die medizinische Versorgung der Bevölkerung haben könnte (vgl. BVerfGE 85, 248 ≪261≫; vgl. auch BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 1993, S. 2988; NJW 1994, S. 1591). Für interessengerechte und sachangemessene Informationen, die keinen Irrtum erregen, muss im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr jedoch Raum bleiben (vgl. BVerfGE 82, 18 ≪28≫). So war einem Rechtsanwalt der Hinweis auf seine – auf Selbsteinschätzung beruhenden – Tätigkeitsschwerpunkte auch vor der Änderung des anwaltlichen Berufsrechts nicht verwehrt, sofern er in diesen Bereichen über besondere Erfahrungen verfügte (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 1995, S. 712; NJW 1995, S. 775; so jetzt ausdrücklich § 7 BORA, BRAK-Mitt 1996, S. 242).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt.
a) Grundlage der angegriffenen Entscheidungen des Landesberufsgerichts für Zahnärzte waren § 12 Abs. 3 und 4, §§ 13, 14 Abs. 2 Satz 2 BO 1999. Die genannten Normen lassen eine verfassungskonforme Auslegung dahingehend zu, dass nur berufswidrige Werbung unzulässig ist, die keine interessengerechte und sachangemessene Information darstellt. Ein ausdrückliches Verbot sonstiger Zusätze findet sich nur in § 14 Abs. 2 Buchstabe g BO 1999 in Verbindung mit dem Kammersignum und grafischen und farblichen Gestaltungen auf Praxisschild oder – in Verbindung mit § 12 Abs. 4 BO 1999 – auf Praxisdrucksachen und Stempeln. Da das baden-württembergische Kammergesetz insoweit schweigt, sind Hinweise auf Tätigkeitsschwerpunkte danach nicht ausgeschlossen.
Schon der Berufsordnung 1996, die das Bezirksberufsgericht zugrunde gelegt hat, kann entnommen werden, dass es im zahnärztlichen Bereich ein Bedürfnis nach Information über das Leistungsangebot einzelner Zahnärzte gibt, die sich mit eigenen Leistungsbeschreibungen an ihre Kollegen sowie an die Landeszahnärztekammer wenden können (§ 17 Abs. 1 BO 1996 = § 18 Abs. 1 BO 1999). Ohne solche Zusatzinformationen lässt sich vielfach weder für Patienten noch für einen überweisenden Zahnarzt der geeignete Leistungsanbieter zuverlässig ermitteln. Dieses Bedürfnis hat § 13 BO 1999 mit den Interessenschwerpunkten ausdrücklich anerkannt, wobei das Leistungsangebot neben der präventiven Zahnheilkunde und der Parandontologie gerade auch die Implantologie betreffen kann. Auch wenn nach den Richtlinien diese Interessenschwerpunkte keine Spezialisierung förmlicher Art voraussetzen, wird mit ihnen doch dem Informationsbedürfnis der Patienten Rechnung getragen; der dem Arztberuf entsprechende verantwortungsvolle Gebrauch im Hinblick auf wahrheitsgemäße Angaben wird den Ärzten überlassen. Diese Tendenz zur Information über Leistungsangebote im Bereich der Implantologie hat sich mit den Kammerzertifizierungen in der Berufsordnung 2000 fortgesetzt.
b) Die Auslegung und Anwendung der im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen können vom Bundesverfassungsgericht – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot – nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Normen die Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f., 96≫; 85, 248 ≪257 f.≫; 87, 287 ≪323≫).
c) So liegt es hier. Die angegriffenen Entscheidungen werden dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht.
Das Landesberufsgericht hält die Bezeichnung „Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie” für unstatthaft, weil sie in den Vorschriften der Berufsordnung nicht ausdrücklich zugelassen sei. Damit ist das Landesberufsgericht dem Sachverhalt nicht in der Weise gerecht geworden, die angesichts seiner grundrechtsbeschränkenden Würdigung angezeigt gewesen wäre. Zudem hat es die Normen der Berufsordnung nicht verfassungskonform ausgelegt und angewendet.
Das Rechtsgut der Gesundheit der Bevölkerung und das hierdurch veranlasste Werbeverbot zur Vermeidung einer gesundheitspolitisch unerwünschten Kommerzialisierung des Arztberufs rechtfertigen es nicht, alle Angaben und Zusätze, die nach der Berufsordnung nicht als zulässige Berufsqualifikation auf einem Briefbogen oder einem Praxisschild erscheinen dürfen, ohne Rücksicht auf ihren Sinn und Zweck oder ihren Informationswert für Dritte generell zu verbieten (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats, NJW 1993, S. 2988 ≪2989≫). Sofern die Angaben über die Qualifikation des Zahnarztes in sachlicher Form erfolgen und nicht irreführend sind, sind sie nach den oben genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts erlaubt (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. April 2001 – 3 C 25.00 –; ebenso LG Aachen, Urteil vom 4. April 2000 – 1 O 481/99 –, Umdruck S. 8; OLG Köln, Urteil vom 26. Mai 2000 – 6 U 167/99 –, Umdruck S. 5 ff.; Urteil vom 1. Dezember 2000 – 6 U 99/00 –, Umdruck S. 8; alle Entscheidungen unveröffentlicht). Das folgt aus Art. 12 Abs. 1 GG.
aa) Das Landesberufsgericht hat bei seiner Auslegung der berufsrechtlichen Normen zwar in Rechnung gestellt, dass inzwischen die Berufsordnung von 1999 in Kraft getreten war und die Kammer beabsichtigte, Kammerzertifikate für Implantologie einzuführen. Nach seiner Auffassung hätte es allerdings die noch nicht in Kraft getretenen Normen vorweggenommen, wenn es die informationsbeschränkenden Vorschriften der Berufsordnung 1996 erweiternd ausgelegt hätte. Dies ist nicht der Fall. Das Landesberufsgericht hat insoweit den Umfang seiner Prüfbefugnis verkannt.
Solange der Normgeber nicht ausdrücklich den Hinweis auf Spezialgebiete verboten hat, bleibt eine verfassungskonforme Auslegung der Berufsordnung dahin möglich, dass Hinweise auf das Leistungsangebot eines Zahnarztes allgemein unter Werbung gefasst werden. Eine solche Auslegung ist verfassungsrechtlich geboten, weil kein Gemeinwohlbelang erkennbar ist, der die in dem Verbot liegende Beschränkung der Berufsfreiheit rechtfertigen könnte. Verboten ist nur die berufswidrige Werbung. Erlaubt ist hingegen ein nicht irreführender Hinweis auf eine tatsächlich erfolgte Spezialisierung, die möglicherweise, aber nicht notwendig auf einer Fortbildung beruht. Wer in dieser Form wirbt, muss allerdings auch über besondere Erfahrungen verfügen, die vorliegend bei den Beschwerdeführern gegeben sind.
Hat ein Zahnarzt bereits ein Zertifikat über den Nachweis besonderer Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich der oralen Implantologie – hier des privaten Bundesverbandes der niedergelassenen implantologisch tätigen Zahnärzte in Deutschland e.V. – erworben, ist zunächst kein Grund ersichtlich, weshalb er hierauf durch die Angabe des Tätigkeitsschwerpunkts Implantologie nicht aufmerksam machen dürfte. Die Richtlinien über die Interessenschwerpunkte belegen inzwischen, dass insoweit ein Informationsinteresse der Patienten anerkannt wird, das nicht nur über § 17 BO 1996 (= § 18 BO 1999) zu befriedigen ist. Der Hinweis hätte allenfalls dann zu unterbleiben, wenn einmal erworbene besondere Kenntnisse und Fähigkeiten nicht praktisch umgesetzt werden, so dass bei den Patienten die irrtümliche Vorstellung entsteht, den erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten entspreche auch ein praktischer Tätigkeitsschwerpunkt.
Allerdings hat das Praxisschild eine erheblich größere Breitenwirkung als die „Patienten-Informations-Liste” über Interessenschwerpunkte, die bei der Kammer geführt wird, oder als die Information zahnärztlicher Kollegen gemäß § 17 BO 1996. Der Werbeeffekt als solcher kann aber nicht schon zu einem Verbot führen, weil dem Zahnarzt von Verfassungs wegen die berufsbezogene und sachangemessene Werbung erlaubt ist.
bb) Das Verbot, auf ein besonderes Leistungsangebot auf dem Praxisschild hinzuweisen, ließe sich allenfalls mit Gefährdungen für die zu schützenden Gemeinwohlbelange rechtfertigen. Hierfür käme in erster Linie – wovon auch das Landesberufsgericht ausgeht – in Betracht, dass die Beschwerdeführer irreführend geworben hätten. Insoweit vertritt das Landesberufsgericht die Auffassung, die Patienten würden dem Zusatz „Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie” dieselbe Bedeutung zumessen wie den in der Weiterbildungsordnung zugelassenen Gebietsbezeichnungen.
Diese Auslegung ist mit der Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) nicht zu vereinbaren. Dass in den konkreten Fällen die Gefahr der Irreführung bestanden haben soll, ist schwerlich nachvollziehbar. Denn durch den Zusatz „Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie”, ergänzt um BDIZ, wird schon deutlich gemacht, dass es sich lediglich um einen Tätigkeitsschwerpunkt handelt und nicht um eine Gebietsbezeichnung im Sinne der Weiterbildungsordnung (ebenso OLG Köln, Urteil vom 26. Mai 2000 – 6 U 167/99 –, Umdruck S. 8 f.; Urteil vom 1. Dezember 2000 – 6 U 99/00 –, Umdruck S. 9 f.). Der Verkehr wird diese Angabe ähnlich interpretieren wie bei den Rechtsanwälten: Der Zahnarzt verfügt auf diesem Gebiet über besondere Erfahrungen und ist auf diesem Gebiet nachhaltig tätig. Eine Irreführung käme nur dann in Betracht, wenn die Beschwerdeführer tatsächlich nicht ihren Tätigkeitsschwerpunkt und besondere Kenntnisse auf dem Gebiet der Implantologie hätten (vgl. LG Aachen, Urteil vom 4. April 2000 – 1 O 481/99 –, Umdruck S. 8).
Hiervon ist vorliegend jedoch nicht auszugehen. Der Beschwerdeführer zu 1) gibt unwidersprochen an, bereits mehr als 3.000 Implantationen durchgeführt zu haben. Der Anteil implantologischer Leistungen im Jahre 2000 hat nach seinem Vortrag bei etwa 50 vom Hundert gelegen. Überdies hält sich die werbend herausgestellte Spezialisierung im Rahmen der vom Beschwerdeführer zu 1) erworbenen Gebietsbezeichnung, was irreführende Annahmen bei den Patienten vermeiden hilft. Auch der Beschwerdeführer zu 2) beschäftigt sich seit mehreren Jahren intensiv mit Implantologie. Im Jahre 2000 hat der Anteil implantologischer Leistungen bei ihm etwa 26 vom Hundert am Honoraraufkommen betragen. Beide Beschwerdeführer erbringen daher schwerpunktmäßig implantologische Leistungen und haben aufgrund entsprechender Berufserfahrung und Weiterbildungsmaßnahmen eine entsprechende Zertifizierung des BDIZ erlangt.
Ob solche Spezialisierungen bei Zahnärzten nur selten vorkommen, wofür die von den Zahnärztekammern genannten Durchschnittswerte sprechen, und ob der Hinweis auf ein besonderes Leistungsangebot ein solches Ausmaß an Spezialisierung generell voraussetzt, was die Zahnärztekammern für übertrieben halten, ist vorliegend nicht zu entscheiden. Jedenfalls gebietet Art. 12 Abs. 1 GG, dass die Gerichte nicht durch Informationsverbote den Patienteninteressen zuwider auf eine Nivellierung in der Außendarstellung hinwirken.
cc) Bei Auslegung und Anwendung der Normen ist allerdings dem berechtigten Interesse der Kammern an Qualitätssicherung Rechnung zu tragen. Dies setzt voraus, dass die Selbstdarstellung auf dem Praxisschild überprüfbar bleibt. Die Regelungen in der Berufsordnung über die zulässigen Angaben auf den Praxisschildern beruhen auf der Gemeinwohlbindung der Zahnärzte und der hiermit korrespondierenden Funktion der Kammern, einen Teil staatlicher Überwachung in Eigenverantwortung wahrzunehmen.
Die Frage, welches Maß an Einschränkungen der Berufsausübung die Ärzte hinzunehmen haben, damit die Kammern ihrer Überwachungsaufgabe gerecht werden können, ist nach den Maßstäben des Art. 12 Abs. 1 GG zu beantworten. Die gewählten Beschränkungen müssen geeignet und erforderlich sein und dürfen die Berufsausübenden – aber auch die Kammern – nicht übermäßig belasten; sie müssen zu einem angemessenen Interessenausgleich führen. Hierzu ist das Verbot der Angabe jedweden Tätigkeitsschwerpunktes nicht erforderlich.
Es ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass nach Abwägung aller Belange nur eine beschränkte Zahl vorgegebener Leistungsangebote oder Schwerpunkte benannt werden darf. Dabei ist auf die sich wandelnden Bedürfnisse der Patienten und die von den Berufsangehörigen selbst vorangetriebene Spezialisierung Rücksicht zu nehmen. Bedenken bestehen jedoch in den vorliegenden Fällen in dieser Hinsicht nicht, weil sich die Implantologie als Schwerpunkt tatsächlich herausgebildet hat, was von der Berufsordnung in Form der Interessenschwerpunkte inzwischen auch anerkannt wird, und weil Mehrfachnennungen nicht im Streit sind.
Im Verhältnis zum Verbot jedweder Zusätze auf den Praxisschildern würde zudem das Gebot, beabsichtigte Zusätze der Kammer zu melden, das mildere Mittel darstellen. In welcher Weise die Zahnärzte ihre besonderen Kenntnisse und Erfahrungen nachzuweisen und ihre nachhaltige Tätigkeit auf einem Spezialgebiet darzulegen hätten, ließe sich durch den Satzungsgeber in praktikabler Weise festlegen. Auch insoweit gibt der vorliegende Fall keinen Anlass zu näherer Prüfung, weil die angegriffenen Entscheidungen die notwendigen Kenntnisse für nachgewiesen gehalten haben. Die von den Beschwerdeführern mitgeteilten Einnahmen aus implantologischer Tätigkeit belegen auch, dass sie insoweit nachhaltig tätig sind.
dd) Irreführend ist allerdings in dem Verfahren 1 BvR 874/00, dass sich der Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie BDIZ auf dem Praxisschild nicht nur auf den Beschwerdeführer zu 2), sondern auch auf Herrn Dr. W. bezieht, der nicht über ein entsprechendes Zertifikat verfügt. Darauf hat das Landesberufsgericht in seinen Entscheidungsgründen indessen nicht maßgeblich abgehoben, sondern nur festgestellt, dass der Beschwerdeführer zu 2) durch das Führen der Zusatzbezeichnung auf seinem Praxisschild gegen die Vorschriften der Berufsordnung verstoßen habe. Ob und inwieweit die konkrete Ausgestaltung dem Beschwerdeführer zu 2) zurechenbar ist und ob sie einer berufsrechtlichen Ahndung bedarf, ist hier nicht zu entscheiden.
3. Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf dem dargelegten Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG, da nicht auszuschließen ist, dass die Gerichte in den Ausgangsverfahren anders entschieden hätten, wenn sie die von ihnen angewandten Normen verfassungskonform ausgelegt hätten. Die angegriffenen Entscheidungen sind daher aufzuheben, damit dies nachgeholt werden kann.
4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführer beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG, die Festsetzung des Gegenstandswertes auf § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO.
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen