Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftsverwaltungsrecht – einschließlich des Spielbankenrechts und des Wett- und Lotterierechts/Ladenschlussrecht/Gewerberecht/Sonn- und Feiertagsrecht. Sonn- und Feiertagsschutz. Mindestanforderungen. Ladenöffnung. Ladenschluss. Verkaufsstelle. Arbeitnehmer. Arbeitsruhe. Regeneration. Kundenbedienung. Abschlussarbeiten. Regel-Ausnahme-Verhältnis. Umsatzinteresse. Kaufinteresse
Leitsatz (amtlich)
Der verfassungsunmittelbare Sonn- und Feiertagsschutz nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV schließt Regelungen aus, wonach Arbeitnehmer im Anschluss an eine werktägliche Ladenöffnung bis 24.00 Uhr an darauf folgenden Sonn- und Feiertagen beschäftigt werden dürfen, um bei Ladenschluss noch anwesende Kunden zu bedienen oder Aufräum- und Abschlussarbeiten vorzunehmen (im Anschluss an BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 – 1 BvR 2857, 2858/07 – BVerfGE 125, 39 ≪84 ff.≫).
Normenkette
GG Art. 140; WRV Art. 139; BerlLadÖffG § 3 Abs. 1-3, § 7 Abs. 1; ArbZG § 9 Abs. 1
Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 03.04.2014; Aktenzeichen 1 B 1.12) |
VG Berlin (Entscheidung vom 30.11.2011; Aktenzeichen 35 K 388.09) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. April 2014 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin, die in Berlin Supermärkte betreibt, die teilweise bis 24.00 Uhr geöffnet sind, diese an Samstagen und vor Feiertagen so rechtzeitig schließen muss, dass die Tagesabschlussarbeiten vor Anbruch des Sonn- oder Feiertages erledigt sind und ihre Arbeitnehmer nicht in diese Tage hinein beschäftigt werden müssen. Die Klage mit dem Begehren festzustellen, dass die Klägerin nicht verpflichtet sei, die Samstagsöffnungszeiten und die Öffnungszeiten vor Wochenfeiertagen der Berliner Filialen bzw. Märkte so zu gestalten, dass Kundenbedienung und notwendige Tagesabschlussarbeiten bis 24.00 Uhr erledigt werden können, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat im Berufungsverfahren das Urteil des Verwaltungsgerichts bestätigt. Gegen die Nichtzulassung der Revision gegen die Berufungsentscheidung hat die Klägerin Beschwerde erhoben.
Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht gegeben.
Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26). Die Beschwerde muss darlegen, dass gerade die angeblich verletzte Regelung rechtsgrundsätzliche Fragen aufwirft (Beschlüsse vom 9. März 1984 – BVerwG 7 B 238.81 – Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 49 und vom 15. Juni 2009 – BVerwG 6 B 12.09 – Rn. 6).
a) Hinsichtlich der Frage,
„Verbietet Art. 139 WRV die Offenhaltung von Geschäften an Werktagen bis 24.00 Uhr, wenn hierdurch Arbeitnehmer an Sonn- oder Feiertagen bis zu 30 Minuten nach Ende der Öffnungszeiten zur Durchführung von Schließ- und Aufräumarbeiten sowie Abfertigung noch in den Geschäftsräumen befindlicher Kunden beschäftigt werden müssen?”
zeigt die Beschwerde keinen Klärungsbedarf auf, der über die bereits ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 Weimarer Reichsverfassung (WRV), die zum Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe im Zusammenhang mit Ladenöffnungszeiten ergangen ist, hinausgeht.
Das angegriffene Urteil ist maßgeblich auf die Annahme gestützt, nach den sich aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV ergebenden Mindestanforderungen seien die Verkaufsstellen an den Werktagen vor den Sonn- und Feiertagen so rechtzeitig zu schließen, dass nach 24.00 Uhr keine Arbeitnehmer mehr zur Bedienung noch anwesender Kunden und zur Durchführung von Schließ- und Aufräumarbeiten mehr beschäftigt werden müssten. Die werktäglichen Ladenöffnungszeiten dürften an den Tagen vor Sonn- und Feiertagen nicht allein aus Gründen des wirtschaftlichen Umsatzinteresses der Verkaufsstelleninhaber oder eines allgemeinen Kaufinteresses der Bürger bis 24.00 Uhr ausgeschöpft werden, wenn dadurch Arbeitnehmer regelmäßig an Sonn- und Feiertagen bis zu 30 Minuten beschäftigt werden müssten. Das Oberverwaltungsgericht leitet diese Annahme zu Recht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts her.
Danach bedeutet die verfassungsrechtliche Garantie der Sonn- und Feiertage als „Tage der Arbeitsruhe”, dass an diesen Tagen „grundsätzlich die Geschäftstätigkeit in Form der Erwerbsarbeit, insbesondere der Verrichtung abhängiger Arbeit, ruhen” soll, „damit der Einzelne diese Tage allein oder in Gemeinschaft mit anderen ungehindert von werktäglichen Verpflichtungen und Beanspruchungen nutzen kann”; es soll sich „grundsätzlich um einen für alle verbindlichen Tag der Arbeitsruhe” handeln (BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 – 1 BvR 2857, 2858/07 – BVerfGE 125, 39 ≪85 f.≫). Die generelle Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen soll dem Einzelnen die Möglichkeit der physischen und psychischen Regeneration eröffnen (a.a.O. S. 83). Der Schutzauftrag nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV enthält für die Arbeit an Sonn- und Feiertagen ein Regel-Ausnahme-Verhältnis; gesetzliche Schutzkonzepte für die Gewährleistung der Sonn- und Feiertagsruhe müssen „erkennbar diese Tage als solche der Arbeitsruhe zur Regel erheben”. Ausnahmen hiervon sind nur zur Wahrung höher- oder gleichwertiger Rechtsgüter möglich. Ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber und ein alltägliches Erwerbsinteresse („Shopping-Interesse”) potenzieller Käufer genügen jedoch grundsätzlich nicht, um Ausnahmen von dem verfassungsunmittelbar verankerten Schutz der Arbeitsruhe und der Möglichkeit zu seelischer Erhebung an Sonn- und Feiertagen zu rechtfertigen (a.a.O. S. 85, 87).
Ausgehend davon ist nicht erkennbar, dass die Rechtssache Gelegenheit zu weiterer Klärung der verfassungsunmittelbaren Mindestanforderungen an den gesetzlichen Schutz der Sonn- und Feiertage geben könnte. Die Beschwerde meint, der vorliegende Fall unterscheide sich wesentlich von demjenigen, der der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde gelegen habe. Das Bundesverfassungsgericht habe nur festgestellt, dass die Mindestanforderungen dann unterschritten seien, wenn der Schutz für einen ganzen Monat vollständig aufgehoben sei. Demgegenüber stehe hier ein Eingriff in die Sonn- und Feiertagsruhe von sehr geringer Intensität in Rede. Denn es gehe lediglich um die Nutzung der ersten halben Stunde des Sonn- oder Feiertags für Arbeiten, die zudem unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfänden. Dem kann nicht gefolgt werden. Die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts zum Mindestniveau des verfassungsrechtlichen Sonn- und Feiertagsschutzes beschränken sich nicht allein auf den konkreten Fall. Vielmehr entwickelt das Gericht – wie oben ausgeführt – einen allgemeinen Maßstab, an dem die Einhaltung der Mindestanforderungen auch in anderen Fällen gemessen werden kann (vgl. a.a.O. S. 84 ff.). Nach diesem Maßstab kann der vorliegende Fall ohne Weiteres beurteilt werden; es bedarf dazu nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Im Unterschied zur Ladenöffnung an vier Sonntagen „im Block” ist das Regel-Ausnahme-Verhältnis von Arbeitsruhe und Beschäftigung an Sonntagen hier nicht nur in Frage gestellt (vgl. a.a.O. S. 95), sondern in sein Gegenteil verkehrt. Denn bei einer vollständigen Ausschöpfung der Öffnungszeit bis 24.00 Uhr auch an den Werktagen vor Sonn- und Feiertagen ist keiner der Sonn- und Feiertage des Jahres mehr ein „Tag der Arbeitsruhe”; die Beschäftigung von Arbeitnehmern an diesen Tagen wird zur Regel. Von einer nur geringfügigen Beeinträchtigung des Sonn- und Feiertagsschutzes kann daher keine Rede sein, auch wenn die Verrichtung abhängiger Arbeit jeweils nur eine halbe Stunde andauern sollte. Im Übrigen wird die Möglichkeit der physischen und psychischen Regeneration der Arbeitnehmer deutlich nachteilig berührt, wenn an Sonn- und Feiertagen in der ersten halben Stunde nach Mitternacht gearbeitet werden muss.
Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung der Beschwerde auch nicht daraus, dass die Beschäftigung von Arbeitnehmern nach Schließung der Verkaufsstellen und damit nicht in der Öffentlichkeit stattfindet. Denn die Mindestgarantie des Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV bezieht sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Interesse der abhängig Beschäftigten auch auf den Schutz der Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen als solcher (vgl. a.a.O. S. 82, 85 f., 92 f.). Hinsichtlich dieses Schutzzwecks kommt es nicht darauf an, ob die Arbeit für die Öffentlichkeit erkennbar erbracht wird oder nicht. Schließlich kann anhand der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterien ohne Weiteres die fehlende Rechtfertigung des Eingriffs in die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Sonn- und Feiertagsschutzes festgestellt werden. Die Beschwerde stellt die Annahme des Oberverwaltungsgerichts nicht in Abrede, dass allein das Interesse in Rede steht, die werktägliche Öffnungszeit von 24 Stunden auch an den Tagen vor den Sonn- und Feiertagen vollständig ausschöpfen zu können. Dieses Interesse geht jedoch über „ein bloß wirtschaftliches Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber” oder über ein „alltägliches Erwerbsinteresse” nicht hinaus, das nach der oben genannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Abweichung vom Regelfall der Sonn- und Feiertage als „Tage der Arbeitsruhe” grundsätzlich nicht rechtfertigen kann.
b) Soweit die Beschwerde die Zulassung der Revision mit Blick auf Fragen im Zusammenhang mit der Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes und der Abgrenzung von Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes und der Länder hinsichtlich des Arbeitsschutzes und des Rechts des Ladenschlusses begehrt, sind diese Fragen nicht entscheidungserheblich. Entgegen der Auffassung der Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht seine Entscheidung nicht selbstständig tragend auf das Arbeitsschutzgesetz gestützt. Das Gericht hat vielmehr angenommen, dass mit Blick auf die Mindestanforderungen des Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV an die gesetzliche Ausgestaltung des Sonn- und Feiertagsschutzes die landesrechtlichen Regelungen zur Ladenöffnung einschränkend auszulegen seien. Danach seien die Verkaufsstellen an den Werktagen vor den Sonn- und Feiertagen so rechtzeitig zu schließen, dass nach 24.00 Uhr keine Arbeitnehmer mehr zur Kundenbedienung und zur Vornahme von Abschlussarbeiten beschäftigt werden müssten. Die Regelung des § 9 Abs. 1 Arbeitszeitgesetz (ArbZG), wonach Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen von 0.00 Uhr bis 24.00 Uhr nicht beschäftigt werden dürfen, hat das Oberverwaltungsgericht nur als „Bestätigung” für einen Gleichklang zwischen dem Berliner Ladenöffnungsgesetz und dem Arbeitszeitgesetz herangezogen. Im Übrigen macht die Beschwerde auch nicht geltend, dass das Arbeitszeitrecht weniger streng ist als die landesrechtlichen Vorschriften zur Ladenöffnung und eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen bis 0.30 Uhr zur Bedienung noch anwesender Kunden und zur Vornahme von Abschlussarbeiten zulässt.
2. Der Zulassungsgrund der Divergenz ist nicht in der gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 gebotenen Weise dargelegt.
Von einer Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nur auszugehen, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.
Die Beschwerde entnimmt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts den Rechtssatz: „Art. 139 WRV enthält ein auf den vorangehenden Werktag ausstrahlendes Verbot der Störung der Sonntagsruhe, hinter der das Grundrecht aus Art. 12 GG zurückzutreten hat”. Einen solchen Rechtssatz, der einen generellen Vorrang des Schutzes der Sonn- und Feiertagsruhe vor Art. 12 GG anzeigt, hat das Oberverwaltungsgericht nicht aufgestellt. Es ist vielmehr davon ausgegangen, dass das wirtschaftliche Umsatzinteresse der Verkaufsstelleninhaber oder ein allgemeines Kaufinteresse der Bürger eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen für einen Zeitraum von bis zu einer halben Stunde nach Ladenschluss um 24.00 Uhr zur Bedienung noch anwesender Kunden und zur Durchführung von Abschlussarbeiten nicht rechtfertigen können. Diese Erwägung weicht nicht von einem Rechtssatz des Bundesverfassungsgerichts ab, sondern deckt sich gerade mit dessen Rechtsprechung, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt.
Hinsichtlich der Frage der Anwendbarkeit des Arbeitszeitgesetzes kommt Divergenz schon deshalb nicht in Betracht, weil das Oberverwaltungsgericht – wie ausgeführt – auf dessen Regelungen nicht entscheidungstragend abgestellt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Christ, Dr. Deiseroth, Dr. Hauser
Fundstellen
Haufe-Index 7550832 |
AuA 2015, 113 |
DÖV 2015, 346 |
GewArch 2015, 142 |
JZ 2015, 63 |
LKV 2015, 169 |
LKV 2015, 3 |
NJ 2015, 10 |
VR 2015, 214 |
ArbRB 2015, 48 |
DVBl. 2015, 435 |
GV/RP 2015, 440 |
KomVerw/LSA 2015, 277 |
KommJur 2015, 6 |
RdW 2015, 114 |
FuBW 2015, 564 |
FuHe 2015, 445 |
KomVerw/MV 2015, 276 |
sis 2015, 272 |