Entscheidungsstichwort (Thema)
Recht des öffentlichen Dienstes einschließlich des Beamtendisziplinarrechts und des Dienstrechts der Soldaten sowie des Rechts der Wehrpflichtigen und der Zivildienstpflichtigen. Keine Klagebefugnis eines früheren Berufssoldaten gegen seine Nichtheranziehung zu Wehrübungen. Begünstigung. Dienstunfähigkeit. früherer Berufssoldat. Heranziehung zur Dienstleistung. Wehrübung. Klagebefugnis. mittelbarer Vorteil. subjektives Recht. unrichtige Rechtsmittelbelehrung.
Leitsatz (amtlich)
Die Heranziehung früherer Berufssoldaten zu Dienstleistungen (hier: zu einer Wehrübung) dient allein dem öffentlichen Interesse an einer optimalen Personalbedarfsdeckung der Bundeswehr; sie ist nicht dazu bestimmt, privaten Interessen früherer Berufssoldaten zu dienen. Für die Klage eines Reservisten gegen die Feststellung seiner Dienstleistungsunfähigkeit fehlt daher die Klagebefugnis.
Normenkette
VwGO § 42 Abs. 2, § 135 S. 1, § 155 Abs. 4; SG § 59 Abs. 1, §§ 64, 71 S. 5, § 73 S. 3, § 84 S. 1
Verfahrensgang
VG Stuttgart (Urteil vom 08.07.2014; Aktenzeichen 12 K 2498/13) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 8. Juli 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der 1959 geborene Kläger stand als Berufssoldat, zuletzt im Dienstgrad eines Oberstabsfeldwebels (Besoldungsgruppe A 9 BBesO), im Dienst der Beklagten. Im Jahr 2012 trat er in den Ruhestand, weil er die allgemeine Altersgrenze für Berufssoldaten erreicht hatte. Nachdem in der truppenärztlichen Entlassungsbegutachtung eine Verwendungsfähigkeit als Reservist (T 6) bescheinigt worden war, beorderte die Beklagte den Kläger auf einen Dienstposten in der Personalreserve.
Rz. 2
Einige Monate später teilte das Kreiswehrersatzamt dem Kläger mit, dass er nicht dienstfähig sei und nicht zu Dienstleistungen herangezogen werde. Die anlässlich einer bevorstehenden Wehrdienstübung vorgenommene Überprüfung der truppenärztlichen Einstufung durch den ärztlichen Dienst der Wehrersatzbehörde, bei der auch vom Truppenarzt nicht berücksichtigte medizinische Stellungnahmen einbezogen worden seien, habe zur Feststellung der fehlenden Dienstfähigkeit geführt.
Rz. 3
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies das Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr zurück. Aufgrund einer nachträglich beim Kreiswehrersatzamt durchgeführten Überprüfungsuntersuchung und der hierauf gestützten Stellungnahme des ärztlichen Dienstes müsse der Kläger als nicht dienstfähig beurteilt werden. Die abweichende Einschätzung in einigen vom Kläger eingereichten privatärztlichen Stellungnahmen stehe dem nicht entgegen. Allein der Musterungsarzt verfüge über ausreichende Kenntnis im Hinblick auf die wehrmedizinischen Anforderungen; im Übrigen sei die Feststellung der Dienstunfähigkeit nicht auf die konkrete bei einer Wehrübung in Aussicht genommene Tätigkeit im Innendienst bezogen.
Rz. 4
Die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht als unzulässig abgewiesen. Die Feststellung der Dienstunfähigkeit könne den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzen, weil sie ausschließlich begünstigende Wirkung habe. Ein „Recht zum Dienen” enthalte das Soldatengesetz nicht.
Rz. 5
Mit der hiergegen eingelegten Revision vertritt der Kläger die Auffassung, es bestehe jedenfalls die Möglichkeit der Verletzung seines Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, wie dies in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Ausmusterung von Wehrpflichtigen angenommen worden sei, und beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 8. Juli 2014 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Rz. 6
Die Beklagte beantragt ebenfalls,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 8. Juli 2014 aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Rz. 7
Sie hält die Klage zwar für unbegründet, weil der Kläger dienstunfähig sei. Die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, dass dem Kläger bereits die Klagebefugnis fehle, hält auch sie indes für unzutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 8
Die – gemäß § 135 Satz 1 VwGO i.V.m. § 84 Satz 1 SG für Verwaltungsakte der Wehrersatzbehörden nach dem Vierten Abschnitt des Soldatengesetzes unmittelbar gegen das Urteil des Verwaltungsgericht statthafte (BVerwG, Beschluss vom 28. November 2012 – 2 B 72.12 – juris Rn. 1 m.w.N.) und auch im Übrigen zulässig erhobene – Revision des Klägers ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage des Klägers zu Recht als unzulässig abgewiesen. Die Heranziehung früherer Berufssoldaten zu Dienstleistungen dient allein dem öffentlichen Interesse an einer optimalen Personalbedarfsdeckung der Bundeswehr. Die Feststellung der Dienstleistungsunfähigkeit befreit den Kläger daher nur von einer rechtlichen Pflicht, sie greift nicht in seine eigenen Rechte ein.
Rz. 9
1. Die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage ist statthaft.
Rz. 10
Der Kläger begehrt die Aufhebung der Feststellung seiner Dienstunfähigkeit. Dieser Bescheid, der seine Rechtsgrundlage in § 73 Satz 3 i.V.m. § 71 Satz 5 SG findet, hat Regelungscharakter, weil er darauf gerichtet ist, den Kläger von der Heranziehung zu Dienstleistungen (§ 64 SG) und der Dienstleistungsüberwachung (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 SG) auszunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 1979 – 8 C 52.77 – BVerwGE 58, 37 ≪38 f.≫ für die Wehrdienstunfähigkeit).
Rz. 11
Weitere Rechtsfolgen ergeben sich aus der Feststellung für den Kläger dagegen nicht, weil er bereits wegen Überschreitung der Altersgrenze in den Ruhestand getreten ist (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 SG). Die Feststellung betrifft für frühere Berufssoldaten daher nur die „Dienstleistungsunfähigkeit” (vgl. Walz/Ei-chen/Sohm, Soldatengesetz, 2. Aufl. 2010, § 64 Rn. 4).
Rz. 12
2. Dem Kläger fehlt aber die erforderliche Klagebefugnis.
Rz. 13
Nach § 42 Abs. 2 VwGO setzt die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage voraus, dass der Kläger durch den angegriffenen Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt sein kann. Diese Möglichkeit ist für den Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts grundsätzlich gegeben, weil ein unrechtmäßiger staatlicher Freiheitseingriff jedenfalls die in Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit beeinträchtigen kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Juli 2003 – 2 BvL 1/99 u.a. – BVerfGE 108, 186 ≪208≫ sowie BVerwG, Urteil vom 15. März 1988 – 1 A 23.85 – BVerwGE 79, 110 ≪114≫). Die Feststellung seiner Dienstleistungsunfähigkeit enthält aber keine den Kläger belastende Wirkung. Die „Dienstleistungspflicht” (Überschrift des Vierten Abschnitts des Soldatengesetzes) stellt eine rechtliche Verpflichtung des früheren Berufssoldaten dar; die Einräumung einer subjektiven Begünstigung ist hiermit nicht bezweckt.
Rz. 14
a) Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 SG kann ein früherer Berufssoldat, der wegen Er-reichens der Altersgrenze in den Ruhestand getreten oder versetzt worden ist, bis zum Ablauf des Monats, in dem er das 65. Lebensjahr vollendet hat, zu den in § 60 SG genannten Dienstleistungen herangezogen werden. Der frühere Berufssoldat unterliegt hierzu der Dienstleistungsüberwachung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 SG) mit den hieraus folgenden Pflichten. Ist der frühere Berufssoldat dienstunfähig, wird er nicht (mehr) zu Dienstleistungen herangezogen (§ 64 SG). Damit soll insbesondere eine Gesundheitsschädigung des Dienstleistungspflichtigen vermieden werden (vgl. Vogelgesang, in: GKÖD, Stand: Mai 2015, Yk § 64 SG Rn. 1).
Rz. 15
Die Dienstleistungspflicht ist im Soldatengesetz – in bewusster Anlehnung an die Regelungen des Wehrpflichtgesetzes (BT-Drs. 15/4485 S. 28) – als Verpflichtung ausgestaltet. Der Dienstleistungspflichtige kann – auch gegen seinen Willen – zu Dienstleistungen herangezogen werden. Ebenso wie Art. 12a Abs. 1 GG für Wehrpflichtige statuiert § 59 Abs. 1 Satz 1 SG für frühere Berufssoldaten keine Befugnisse, sondern allein Verpflichtungen. Für frühere Berufssoldaten ergeben sich diese als nachwirkende Pflichten des lebenslangen Dienstund Treueverhältnisses als Berufssoldat.
Rz. 16
Durch die Feststellung der Dienstleistungsunfähigkeit wird der frühere Berufssoldat von dieser Pflichtenstellung befreit: er darf nicht mehr zu Dienstleistungen herangezogen werden und unterliegt nicht mehr der Dienstleistungsüberwachung. Eine belastende Wirkung enthält die Regelung daher nicht.
Rz. 17
Der Kläger mag seine fortwährende Heranziehung zu Dienstleistungen als Begünstigung empfinden. Der maßgebliche Regelungsgehalt der gesetzlichen Bestimmungen enthält aber lediglich die Verpflichtung, sich auch nach Beendigung des aktiven Soldatenverhältnisses für Heranziehungen zur Verfügung zu halten. Aus der Dienstleistungspflicht ergibt sich daher keine rechtliche Begünstigung. Dies gilt auch in Ansehung mittelbarer Vorteile, die sich bei einer Heranziehung ergeben mögen, wie etwa dem im Falle einer Heranziehung gewährten Wehrsold (vgl. § 1 Abs. 2 WSG). Auch hierin liegt keine eigenständige Begünstigung, vielmehr sind die gewährten Vorteile nur Elemente zur verfassungsmäßigen Ausgestaltung der gesetzlich auferlegten Pflichtenstellung.
Rz. 18
b) Die in § 59 Abs. 1 Satz 1 SG vorgesehene Verpflichtung früherer Berufssoldaten ist auch nicht dazu bestimmt, den privaten Interessen der Inpflichtge-nommenen zu dienen. Die Möglichkeit der Verletzung in eigenen Rechten ist daher ausgeschlossen, weil der Kläger sein Begehren nicht auf eine Norm stützen kann, die ihm einen subjektiven Anspruch gegen einen Träger öffentlicher Gewalt verleiht (stRspr, vgl. zuletzt etwa BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 – 4 C 36.13 – BVerwGE 151, 138 Rn. 14).
Rz. 19
Für die Heranziehung zur Wehrpflicht ist in ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entschieden, dass die Verpflichtung zum Wehrdienst allein dem öffentlichen Interesse an einer optimalen Personalbedarfsdeckung der Bundeswehr und nicht zugleich auch privaten Interessen der Wehrpflichtigen dient (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Februar 1993 – 8 C 20.92 – BVerwGE 92, 153 ≪157≫ und vom 22. Januar 2003 – 6 C 18.02 – Buchholz 448.0 § 48 WPflG Nr. 3 S. 3 = juris Rn. 15 m.w.N.).
Rz. 20
Entsprechendes gilt für die Heranziehung früherer Berufssoldaten in besonderer Weise. Ihre fortwirkende Heranziehung wird vom Gesetzgeber für erforderlich gehalten, um die während ihres Dienstverhältnisses als Soldat vermittelten Kenntnisse und Erfahrungen zu aktualisieren und in Übung zu halten (vgl. BT-Drs. 11/6906 S. 12 und 16). Dementsprechend werden gemäß § 59 Abs. 2 Satz 1 SG nur diejenigen früheren Soldaten zur Dienstleistung herangezogen, die in ihrer aktiven Zeit mindestens zwei Jahre Dienst geleistet und eine entsprechende Ausbildung erhalten haben. Auf diese früheren Soldaten soll im Verteidigungsfall zur Herstellung der vollen Verteidigungsfähigkeit zurückgegriffen werden.
Rz. 21
Anderes folgt entgegen der mit der Revision vorgebrachten Auffassung des Klägers auch nicht aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. April 1979 – 8 C 52.77 – (BVerwGE 58, 37 ≪40 f.≫; hierzu auch Urteil vom 24. Oktober 1979 – 8 C 40.78 – juris Rn. 17), wonach eine Klagebefugnis des Wehrpflichtigen gegen seine Ausmusterung wegen Wehrdienstunfähigkeit bestehen kann.
Rz. 22
Dies ergibt sich zunächst schon daraus, dass die hier in Rede stehende Dienstleistungspflicht früherer Berufssoldaten nicht auf die allgemeine staatsbürgerliche Pflicht aus Art. 12a Abs. 1 GG zurückgeht, sondern auf die freiwillige Entscheidung des Klägers zur Begründung eines lebenslangen Dienst- und Treueverhältnisses als Berufssoldat (vgl. hierzu BT-Drs. 11/6906 S. 12; Vogelgesang, in: GKÖD, Stand: Mai 2015, Yk § 59 SG Rn. 4; Walz/Eichen/Sohm, Soldatengesetz, 2. Aufl. 2010, § 59 Rn. 15). Darüber hinaus ist auch nicht erkennbar, worin eine subjektive Berechtigung ihren Grund finden könnte. Die Frage, ob ein früherer Berufssoldat seine fortwährende Dienstleistungspflicht auch als persönliche Aufgabe oder Angelegenheit begreift, ist nicht geeignet, den rechtlichen Charakter der Pflichtenstellung zu verändern. Dient aber die Pflichterfüllung allein öffentlichen Zwecken, vermag sie eine eigene Berechtigung des Verpflichteten nicht zu begründen. Da die Heranziehung zur Dienstleistung allein im öffentlichen Interesse an der optimalen Deckung des konkreten Personalbedarfs der Bundeswehr liegt und subjektive Rechte des früheren Berufssoldaten nicht begründet, ist nicht erkennbar, warum für die vorgelagerte Stufe der Heranziehungsfähigkeit anderes gelten sollte.
Rz. 23
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 4 VwGO und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Beklagte in der Rechtsmittelbelehrung ihres Widerspruchsbescheids auf eine Klagemöglichkeit verwiesen hat, die nicht besteht (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 1981 – 1 WB 47.79 – BVerwGE 73, 126 ≪137≫; Rennert, in: Eyermann (Hrsg.), VwGO, 14. Aufl. 2014, § 155 Rn. 13).
Unterschriften
Domgörgen, Dr. von der Weiden, Dr. Hartung, Dr. Kenntner, Dr. Günther
Fundstellen
NVwZ-RR 2016, 108 |
NVwZ-RR 2016, 5 |
DÖV 2016, 227 |
NZWehrr 2016, 128 |