Rz. 416
Wenn ein Steuerpflichtiger seine (Dokumentations-)Pflichten nach § 90 Abs. 3 AO nicht erfüllt, indem er die erforderlichen Aufzeichnungen nicht bereitstellt, oder wenn die vorgelegten Dokumentationen im Wesentlichen unverwertbar sind, dann wird gemäß § 162 Abs. 3 S. 1 AO "widerlegbar vermutet", dass die steuerpflichtigen Einkünfte des Steuerpflichtigen im Inland höher sind als die von ihm deklarierten Einkünfte. Diese Vermutung kann widerlegt werden. D.h. in diesen Fällen trifft sonach den Steuerpflichtigen die Beweisführungslast, dass es zu keiner (oder einer geringeren) Einkünfteminderung gekommen ist.
Rz. 417
§ 90 Abs. 3 AO wird daher durch § 162 Abs. 3 und Abs. 4 AO ergänzt, die im Falle einer Verletzung der Dokumentationspflicht zum einen eine Hinzuschätzungsbefugnis (s. § 162 Abs. 3 AO) einräumen. Zum anderen sind in solchen Fällen auch Zuschläge (s. § 162 Abs. 4 AO) vorgesehen. Muss die Finanzbehörde unter diesen Umständen eine Schätzung durchführen und lassen sich die entsprechenden Einkünfte nur innerhalb eines gewissen Rahmens ermitteln, insbesondere basierend auf Preisspannen, so darf nach § 162 Abs. 3 Satz 2 AO der Spielraum zuungunsten des Steuerpflichtigen voll ausgeschöpft werden.
Rz. 418
Eine Dokumentation gilt in diesem Sinne als "im Wesentlichen unverwertbar", wenn sie so unvollständig und lückenhaft ist, dass sie (fast) einer Nichtvorlage gleichkommt. Die Dokumentationen werden daher auch als im Wesentlichen unverwertbar angesehen, wenn sie es einem Fachkundigen nicht erlauben, innerhalb eines vertretbaren Zeitrahmens zu ermitteln und zu überprüfen, welche Sachverhalte der Steuerpflichtige umgesetzt hat und ob dabei der Grundsatz des Fremdvergleichs eingehalten wurde. Die Frage der Verwertbarkeit erstreckt sich somit auf die Dokumentation des Sachverhalts sowie auf die Dokumentation der Angemessenheit. Die Kriterien für eine ordnungsgemäße Buchführung, wie im Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 158 beschrieben, finden hierbei Anwendung. Die Entscheidung, ob eine Verrechnungspreisdokumentation unverwertbar ist, erfolgt immer unter Berücksichtigung des spezifischen Einzelfalls.
Rz. 419
Die Aufzeichnungen gelten (nach Auffassung der Finanzverwaltung) insbesondere als "unverwertbar", wenn:
a. Eine Sachverhaltsdokumentation fehlt oder ein unzutreffender Sachverhalt beschrieben wird, was erhebliche Auswirkungen auf das Funktions- und Risikoprofil hat (zum Beispiel wird ein Unternehmen, das tatsächlich als Entrepreneur agiert, lediglich als Routineunternehmen dargestellt, oder die vertragliche Situation wird abweichend von der tatsächlichen Umsetzung beschrieben),
b. Eine Dokumentation zur Angemessenheit fehlt oder die vorgelegten Vergleichsdaten nicht zum Funktions- und Risikoprofil passen,
c. Die Analyse zur Angemessenheit keine ausreichende Begründung für die Vergleichbarkeit der herangezogenen Vergleichsdaten (wie Fremdpreise oder Vergleichsunternehmen) liefert, gemäß der Vergleichbarkeitsanalyse in den OECD-Verrechnungspreisleitlinien 2017 (Tz. 3.1 ff.), oder
d. Die Anwendung der gewählten Verrechnungspreismethode nicht (nachvollziehbar) dargelegt wird.
Rz. 420
Wenn die Finanzbehörde erkennt, dass die Dokumentationen grundsätzlich nicht verwertbar sind, ist sie verpflichtet, den Steuerpflichtigen umgehend darauf aufmerksam zu machen und ihm die Möglichkeit zur Korrektur oder Ergänzung der Aufzeichnungen einzuräumen.
Rz. 421
Eine Schätzung kann in einem nachfolgenden Verständigungs- oder Schiedsverfahren (s. Rz 9. ff.) überprüft und korrigiert werden. Es liegt jedoch in der Verantwortung des Steuerpflichtigen, durch die Darlegung seiner Verhältnisse sowie die Bereitstellung und gegebenenfalls Vorlage seiner Beweismittel zum Verfahren beizutragen.
Rz. 422
§ 162 Abs. 3 und 4 AO sind auch dann anwendbar, wenn der Steuerpflichtige die Anforderungen gemäß § 6 GAufzV (kleine Unternehmen) erfüllt, aber seine daraus resultierenden Verpflichtungen (Vorlage von Unterlagen) missachtet.
Rz. 423–424
einstweilen frei