Rz. 71
Die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV, Art. 54 AEUV steht § 1 Abs. 1 AStG, also dem Fremdvergleichsgrundsatz, grundsätzlich nicht im Wege. Gleichwohl steht der in § 1 AStG normierte Fremdvergleichsgrundsatz hin und wieder auch aus unionsrechtlichen Gründen auf der Agenda der Höchstgerichte. Da § 1 AStG nur im grenzüberschreitenden Fall Anwendung findet, insinuiert die Vorschrift auf den ersten Blick eine Ungleichbehandlung im Vergleich zum (reinen) Inlandsfall, die einer Rechtfertigung bedarf. Zumindest wäre eine Ungleichbehandlung anzunehmen, wenn der Inlandsfall mit dem grenzüberschreitenden Fall (objektiv) vergleichbar ist. Dies kann man durchaus kritisch in Frage stellen, nicht zuletzt da der EuGH jüngst im Kontext der finalen Verluste im Betriebsstättenkontext eine Vergleichbarkeit zum Inlandsfall aufgrund des bestehenden bilateralen Vertrags (DBA) verneint hat. Deutschland habe (verkürzt) aufgrund der DBA-Regelung auf sein Besteuerungsrecht verzichtet, weshalb der Auslandsfall nicht mit dem Inlandsfall vergleichbar ist. § 1 AStG setzt letztlich Art. 9 OECD-MA um – und auch in den hiesigen Fällen bestehen regelmäßig DBA. Gleichwohl hat der EuGH in der Entscheidung Hornbach die Vergleichbarkeit der Situationen angenommen und ist sonach seiner strikten Prüfreihenfolge bis zur Verhältnismäßigkeitsprüfung treu geblieben. Aufgrund der Spruchpraxis des EuGH kann es daher nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geboten sein, dass Steuerpflichtige bei Vorliegen von "wirtschaftlichen Gründen" auch Geschäfte unter nicht fremdüblichen Bedingungen mit nahestehenden Personen durchführen (können), ohne dass es also zu einer Korrektur nach § 1 AStG kommt. Die nationalen Finanzgerichte, wie durch den BFH am 27.11.2019 (I R 40/19) bekräftigt, sind dafür zuständig zu prüfen, ob der Steuerpflichtige die Gelegenheit hatte, Beweise für diese wirtschaftlichen Gründe im Besteuerungsverfahren vorzulegen, wie vom EuGH am 31.5.2018 (C-382/16 – Hornbach Baumarkt) festgestellt. Im Fall Hornbach entschied der EuGH, dass wirtschaftliche Gründe die Bereitstellung von Kapital durch eine Muttergesellschaft an ihre Tochtergesellschaft zu nicht fremdüblichen Bedingungen rechtfertigen können. Der EuGH hob hervor, dass dies dann gerechtfertigt sei, wenn die Tochtergesellschaft bspw. aufgrund unzureichenden Eigenkapitals zusätzliches Kapital benötigt, um ihren Betrieb überhaupt fortzuführen oder zu erweitern. Ob die wirtschaftlichen Gründe ausreichend sind, um die Geschäfte unter nicht fremdüblichen Bedingungen zu rechtfertigen, muss dabei individuell im Einzelfall bewertet werden. Es darf nicht pauschalisiert werden und die Hornbach-Doktrin darf nicht zu einem Automatismus führen, sodass mittels dem Vorbringen jedweder (hypothetischer) wirtschaftlicher Gründe der international anerkannte Fremdvergleichsgrundsatz letzlich "ausgehölt" wird. Wirtschaftliche Gründe die im Gesellschaftsverhältnis wurzeln und nach der Spruchpraxis des EuGH Transaktionen zu fremdunüblichen Bedingungen rechtfertigen, müssen die Ausnahme sein; zumindest dann, wenn man den Fremdvergleichsgrundsatz weiterhin als geeigneten Maßstaab anerkennt, Steuersubstrat (Art. 9 OECD-MA) grenzüberschreitend zwischen den betroffenen Staaten (gerecht) zu verteilen. Denn anderenfalls lassen sich immer wirtschaftliche Gründe "finden", da die Muttergesellschaft zB immer ein wirtschaftliches Interesse am dauerhaften und nachhaltigen Geschäftserfolg ihrer Tochtergesellschaften hat und gleichsam daran, dass diese (hohe) Gewinnausschüttungen vornehmen können. Letzlich folgt aus der Hornbach-Doktrin, dass die gesellschaftsrechtliche Veranlassung nicht mehr nur Anlass für den Vorwurf fremdunüblichen Verhaltens, sondern paradoxerweise zugleich ein diesbezüglicher Rechtfertigungsgrund. Dabei folgt gerade aus dem Territorialitätsgrundsatz, dass es verbundenen Unternehmen nicht freisteht, Gewinne und Verluste zwischen Steuerhoheitsgebieten beliebig zu verlagern. Dies ist (auch) in der Rechtsprechung des EuGH wiederholt anerkannt worden und hat sich durch die Anwendung des Begriffs der "ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis" manifestiert. In diesem Zusammenhang sei der Vollständigkeit halber auf die jüngsten finanzgerichtlichen Entwicklungen hingewiesen: Im Anschluss an das Hornbach-Urteil des EuGH lieferte das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 16. August 2023 (1 K 1472/13) eine erste ausführliche finanzgerichtliche Bewertung der aufgeworfenen unionsrechtlichen Fragen (insbes. hinsichtlich etwaiger "wirtschaftlicher Gründe"). Das Verfahren ist jedoch beim BFH anhängig (BFH: I R 68/23), wodurch abermals der BFH (oder bei erneuter Vorlage an den Gerichtshof auch der EuGH) Gelegenheit erhält, die (bis dato unbestimmte) Definition und Reichweite der wirtschaftlichen Gründe um Ausnahmsweise fremdunübliche Preise zu rechtfertigen, weiter zu präzisieren.
Sekundärrecht:
Im September 2023 legte die Europäische Kommission einen Entwurf für eine EU-Verrechnu...