Rz. 118
§ 1 Abs. 2 Nr. 4 AStG definiert zwei spezifische Auffangtatbestände, die das Bestehen einer nahestehenden Person anzeigen, welche allerdings in der Praxis eher selten vorkommen:
- Einflussnahme außerhalb der gewöhnlichen Geschäftsbeziehungen,
- eigenes Interesse an der Einkunftserzielung des anderen.
§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AStG zielt i. S. einer Auffangnorm im Wesentlichen darauf ab, andere nicht fremdübliche Einflussnahmemöglichkeiten zu erfassen, die nicht bereits von den Nr. 1–3 beschriebenen Fälle aufgegriffen werden – und somit darüber hinausgehen. Damit sollen gleichsam (fremdunübliche) Gewinnverlagerungen durch spezielle Einflussmöglichkeiten, die zwischen fremden Dritten derart nicht bestehen, unterbunden werden. Dabei müssen die involvierten Personen in einer Weise miteinander verbunden sein, die den Konstellationen in Nr. 1–3 ähnelt.
Nr. 4 Alternative 1:
Die Möglichkeit zur Einflussnahme muss dabei auf einem anderen Grund bzw. Sachverhalt als der regulären Geschäftsbeziehung beruhen. Es ist nicht erforderlich, dass eine Einflussnahme bereits stattgefunden hat; das Vorhandensein einer potenziellen Einflussmöglichkeit genügt. Nach § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Alternative 1 AStG muss eine Person faktisch in der Lage sein, einen allgemeinen, außerhalb der gewöhnlichen Geschäftsbeziehung angesiedelten Einfluss auf eine andere Person auszuüben. Dies beeinträchtigt die für fremdübliche Verhandlungen erforderliche Unabhängigkeit bei der Gestaltung der zu bewertenden Geschäftsbeziehung. Typische Szenarien umfassen familiäre oder persönliche Beziehungen, Marktbindungsverträge, Vereinbarungen zum Konkurrenzausschluss, Vertriebsbindungen, Rahmenabkommen oder Sukzessivlieferungsverträge. Allerdings begründet das bloße Vorhandensein einer familiären Beziehung wie zwischen Ehegatten, Verwandten oder Lebenspartnern allein nicht zwingend eine solche Einflussnahmemöglichkeit.
Notwenig ist daher stets eine Einzelfallprüfung.
Nr. 4 Alternative 2:
§ 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Alternative 2 AStG legt fest, dass eine nahestehende Person auch durch das eigenständige Interesse eines Steuerpflichtigen an der Einkunftserzielung einer anderen Person definiert wird und umgekehrt. Diese Regelung zielt u. a. darauf ab, missbräuchliche Gestaltungen, die § 1 AStG umgehen könnten, zu unterbinden. § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Alt. 2 stellt damit eine verhältnismäßig "leichter" nachweisbare Auffangnorm dar. Obwohl Art. 9 des OECD-MA keine äquivalente Voraussetzung wie § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Alt. 2 AStG enthält, beeinträchtigt dies nicht dessen Anwendbarkeit. Das Interesse an der Einkunftserzielung kann sowohl wirtschaftlicher als auch persönlicher Natur sein.
Im Kontext familiärer Beziehungen, wie bei Angehörigen gemäß § 15 AO, kann ein persönliches Interesse an der Einkunftserzielung des anderen bestehen, es ist jedoch nicht zwingend gegeben (Einzelfallprüfung). Ein eigenes Interesse an der Einkunftserzielung einer anderen Person ist gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Alt. 2 AStG notwendig, um eine nahestehende Person zu definieren. Es genügt nicht, ausschließlich die Interessen der anderen Person zu verfolgen, ohne dass ein Eigeninteresse vorliegt. Vielmehr ist eine Verbindung der Interessen erforderlich, durch die dem Steuerpflichtigen der Vorteil der nahestehenden Person wie ein eigener Vorteil erscheint. Dieses Interesse muss sich konkret auf die Erzielung der zur Korrektur anstehenden Einkünfte beziehen. Ein eigenes Interesse kann auch in Netzwerken und deren Organisationseinheiten gegeben sein, ebenso in pyramidalen Organisationsstrukturen. Bei internationalen Joint Ventures muss zudem ein Nahestehen gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 Alt. 2 in Betracht gezogen werden, insbesondere wenn sowohl in- als auch ausländische JV-Partner involviert sind. In solchen Fällen könnte ebenfalls eine 25 %ige Beteiligung am Liquidationserlös gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. b bestehen.
Rz. 119–120
einstweilen frei