Rz. 23
Die Zurechnungsbesteuerung sieht sich im Schrifttum europarechtlicher Kritik ausgesetzt. Dieser ist aber seit dem JStG 2009 und der Einfügung von Abs. 6 und Abs. 7 weitgehend, wenn auch nicht vollständig der Boden entzogen.
Rz. 24
Der unionale Schutzbereich ist im Bereich der Kapitalverkehrsfreizügigkeit (Art. 63 AEUV im Hinblick auf die Übertragung des Vermögens auf eine ausländische Familienstiftung) und die allgemeine Freizügigkeit (Art. 21 AEUV im Hinblick Zuzug aus dem Ausland ins Inland mit Folge der Zurechnungsbesteuerung) eröffnet. Die Niederlassungsfreizügigkeit tritt dagegen zurück, die ausländische Familienstiftung ist durch die Zurechnungsbesteuerung nur reflexmäßig betroffen: Der Stifter bzw. die Begünstigten bzw. Anfallsberechtigten haben grundsätzlich keine gesicherte Einflussnahmemöglichkeit auf die Geschicke i. S. einer Beteiligung (wie bei einer Kapitalgesellschaft), was aus der Natur eines mitgliedschaftslosen Zweckvermögens folgt. Dementsprechend prüft der BFH als auch der EuGH derartige Fragen ausschließlich anhand der Kapitalverkehrsfreizügigkeit. Auf die konkrete Höhe der Beteiligung kommt es nicht an, entscheidend ist nur die abstrakte Ausgestaltung der Norm. Die Stiftung ist auch in Rz. XI „Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter“ in der RL 88/361/EWG vom 24.6.1988 genannt und ist damit von der Kapitalverkehrsfreiheit umfasst.
Rz. 25
Die Beschränkung resultiert im Vergleich zu einer inländischen Stiftung im Wesentlichen aus dem Liquiditätsnachteil (in Form der früheren Erfassung, § 15 Abs. 1 AStG), aus der u. U. fehlenden Zugänglichkeit der Abgeltungsteuer (z. B. wenn die ausländische Stiftung Immobilienvermögen verwaltet), aus der Nachweispflicht zur fehlenden rechtlichen und tatsächlichen Verfügungsmacht und aus dem Erfordernis des Informationsaustausches). Im Einzelnen: Anders als bei einer inländischen Familienstiftung erfolgt bereits mit Einkünfteentstehung auf Ebene der ausländischen Familienstiftung unter den Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 und 2 AStG die Zurechnung. Bei der inländischen Stiftung kommt es nur im Ausschüttungsfall zur Besteuerung, d. h. es besteht ein relevanter Zeitunterschied und somit ein Liquiditätsnachteil. Ebenfalls abweichend zu einer inländischen Familienstiftung erfolgt bei der ausländischen Familienstiftung die Erfassung nicht zwingend mit der Abgeltungsteuer, da deren Anwendung unter der Voraussetzung des Speisens des Zurechnungsbetrags aus Kapitaleinkünften steht (§ 15 Abs. 8 S. 2 AStG). Ist dies nicht der Fall, erfolgt die reguläre Tarifbesteuerung. Bei inländischen Stiftungen sind die Ausschüttungen (bei natürlichen Personen) grundsätzlich stets der Abgeltungsteuer zu unterwerfen (§ 20 Abs. 1 Nr. 9 i. V. m. § 32d Abs. 1 EStG). Um diese beiden wesentlichen Nachteile zu vermeiden, ist der Stpfl. verpflichtet, den Nachweis zu führen, nicht über eine rechtliche und tatsächliche Verfügungsmöglichkeit zu verfügen, d. h. es wird nicht nur auf die Stiftungsdokumente, sondern auch auf alles weitere abgestellt, was sich außerhalb der Stiftung abspielt, nämlich insbesondere im Verhältnis zwischen dem Stifter und dem Treuhänder. Das Erfordernis, etwas nachzuweisen, was nicht existiert, ist aus der Natur der Sache heraus anspruchsvoll. Weiterhin bedarf es eines Informationsaustausches zwischen den betroffenen Fisken.
Rz. 26
Die vorgenannten Unterschiede sind geeignet, den Stifter davon abzuhalten, eine ausländische Stiftung für inländische Begünstigte zu wählen, somit den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr bzw. die allgemeine Freizügigkeit der Unionsbürger weniger attraktiv zu machen. Die Maßnahmen sind auch nicht von der Stillstandsklausel gedeckt, da es sich insoweit nicht um Direktinvestitionen i. S. d. Nomenklatur Anhang I Nr. 1 – 4 RL 88/361 EWG handelt.
Rz. 27
Die entsprechenden Maßnahmen sind in europarechtskonformer Auslegung jedoch aus zwingenden Gründen öffentlichen Interesses gerechtfertigt und auch verhältnismäßig. Der Rechtfertigungsgrund ist die Vermeidung von Steuerumgehungen und Steuerflucht im Zusammenspiel mit dem Erfordernis der wirksamen steuerlichen Kontrolle. Zwar ist eine pauschalierende und nicht zielgerichtete Maßnahme unzulässig, wenn sie dem Stpfl. nicht ermöglicht, den Nachweis einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit zu erbringen, der Fall einer Familienstiftung ist aber anders gelagert: Diese geht – im Unterschied zu einer werbenden Gesellschaft grundsätzlich einer vermögensverwaltenden, d. h. eben nicht einer unternehmerischen Tätigkeit nach. So darf beispielsweise eine österreichische Privatstiftung (§ 1 Abs. 2 Privatstiftungsgesetz-Österreich) keinen Gewerbebetrieb unterhalten. Auch in Liechtenstein ist dies nur im Ausnahmefall für gemeinnützige Stiftungen zulässig und privatnützige Stiftungen dürfen lediglich für die ordnungsgemäße Anlage und Verwaltung einen kaufmännischen Betrieb für die Stiftung unterhalten (§ 1 Abs. 2 S. 2 Personen- und Gesellschaftsrecht-Liechtenstein). Dies bedeutet aber n...