2.4.1 Fortbestand der Dauerstundung für bis zum 31.12.2021 verwirklichte Wegzüge (§ 21 Abs. 3 S. 1)
2.4.1.1 Hintergrund
Rz. 32
§ 6 AStG ordnet in sog. Wegzugsfällen eine Besteuerung des Vermögenszuwachses in Kapitalgesellschaftsanteilen nach § 17 EStG an. Da der entstehenden Steuerschuld keine echte Veräußerung zugrunde liegt und somit auch kein Zufluss eines Veräußerungspreises in Aussicht steht, ergibt sich für Stpfl. aufgrund der Steuerfestsetzung ein Liquiditätsproblem. Das System der Wegzugsbesteuerung vor Reform durch das ATADUmsG differenzierte hinsichtlich der Erhebung der Steuer zwischen EU/EWR-Sachverhalten und Drittstaatensachverhalten. Für Drittstaatensachverhalte kam allenfalls eine antragsgebundene Ratenzahlung über 5 Jahre infrage (§ 6 Abs. 4 AStG i. d. F. vor dem ATADUmsG), während für EU/EWR-Sachverhalte grds. eine Dauerstundung als zwingende Rechtsfolge vorgeschrieben war (§ 6 Abs. 5 AStG i. d. F. vor dem ATADUmsG). Die "neue" Wegzugsbesteuerung sieht eine einheitliche Erhebungsvorschrift in § 6 Abs. 4 AStG vor (s. die Kommentierung bei § 6 AStG Rz. 320), wonach keine Dauerstundung mehr möglich ist, sondern die Erhebung allenfalls auf Antrag in 7 gleichen Raten möglich ist. Es kommt dadurch zu einer erheblichen Verschärfung der Steuererhebung in Wegzugsfällen mit EU/EWR-Bezug. Infolge dieser Gesetzesverschärfung kommt der Abgrenzung des "alten" und des "neuen" Systems besondere Bedeutung zu.
2.4.1.2 Anwendungsregel
Rz. 33
Zur Abgrenzung des zeitlichen Geltungsbereichs der Wegzugsbesteuerung nach § 6 ordnet § 21 Abs. 3 S. 1 AStG an, das "alte" System der Wegzugsbesteuerung in Gestalt des § 6 AStG in der am 30. Juni 2021 geltenden Fassung für die Abwicklung von Wegzügen, die vor dem 1. Januar 2022 verwirklicht worden sind, über den 31.12.2021 hinaus anzuwenden. Ausweislich der Gesetzesbegründung ist die hinter dieser Regelung stehende Intention, für sog. Altfälle, d. h. bis zum 31.12.2021 verwirklichte Wegzugstatbestände i. S. d. § 6 Abs. 1 AStG, das alte Regime – insbesondere in Gestalt der Stundungs- und Fristenregelungen die Rückkehr nach § 6 Abs. 3 AStG betreffend – fortgelten zu lassen. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte folglich jeder in den Vz 2021 fallende Wegzug noch dem alten System der Wegzugsbesteuerung unterfallen und somit insbesondere in den Genuss der Dauerstundung in EU/EWR-Sachverhalten gelangen können.
Rz. 34–36
einstweilen frei
2.4.2 Einschränkungen des Geltungsbereichs von § 6 AStG a. F.
2.4.2.1 Keine Berücksichtigung von nach dem Wegzug eingetretenen Wertminderungen für Veräußerungen nach dem 24.3.2021 (§ 21 Abs. 3 S. 2)
2.4.2.1.1 Hintergrund
Rz. 37
Gem. § 6 Abs. 6 AStG i. d. F. vor dem ATADUmsG war es unter Umständen möglich, sog. nachträgliche Wertminderungen, also eine negative Differenz zwischen einem tatsächlichen Veräußerungsgewinn und dem zuvor gem. § 6 AStG besteuerten Vermögenszuwachs zu berücksichtigen. Eine festgesetzte Steuer wurde durch Änderung oder Aufhebung des Bescheids neu ermittelt. Hintergrund dieser Regelung war Rspr. des EuGH, die zwischenzeitlich als überholt angesehen werden muss. Der Gesetzgeber wollte daher an der Möglichkeit der Berücksichtigung sog. nachträglicher Wertminderungen nicht länger festhalten, zumal darin Steuergestaltungsmöglichkeiten erkannt worden sind.
2.4.2.1.2 Regelungsinhalt und Anwendungsregel
Rz. 38
Gem. § 21 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 sind Minderungen des Vermögenszuwachses i. S. d. § 6 Abs. 6 AStG i. d. F. vor dem ATADUmsG Veräußerungen nach dem 24.3.2021 nicht mehr zu berücksichtigen. Folglich sind die betroffenen Wertminderungen auch in sog. "Altfällen" ausgeschlossen, soweit die Veräußerung ab dem 25.3.2021 – dem Tag nach dem Kabinettsbeschluss – erfolgte.
Der Gesetzgeber hat sich folglich dazu entschieden, die Anwendung der Norm im Wege der "unechten" Rückwirkung anzuordnen. Verfassungsrechtlich dürfte dies zulässig sein.
Rz. 39–40
einstweilen frei
2.4.2.2 Stundungswiderruf auch in Alt-Fällen bei wesentlichen Gewinnausschüttungen und Einlagenrückgewähren
2.4.2.2.1 Hintergrund
Rz. 41
Für bis einschließlich 31.12.2021 verwirklichte Wegzüge gilt § 6 AStG a. F. fort. Dies bedeutet in EU/EWR-Sachverhalten unter den Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 AStG a. F. eine Stundung ohne Raten, ohne Verzinsung und ohne Sicherheitsleistungen. Die Tatbestände für den Widerruf der Stundung waren abschließend in § 6 Abs. 5 S. 4 AStG a. F. geregelt. Gewinnausschüttungen waren – anders als im neuen Recht (s. § 6 Abs. 4 S. 5 Nr. 5, dazu § 6 AStG Rz. 398ff.) – unschädlich und konnten somit für Gestaltungen genutzt werden, in denen die Ausschüttungen im Ausland niedrig oder gar nicht besteuert wurden.
Diese Gestaltungsmöglichkeiten ließen sich mit mitunter mit vorherigen Umstrukturierungen verwirklichen.