Rz. 345
Die notwendige Substanz wird im Gesetz als "wesentliche wirtschaftliche Tätigkeit" definiert. Damit macht sich der Gesetzgeber die Begrifflichkeit des Art. 7 Abs. 2 Buchst. a ATAD zu eigen. Er weicht damit auch von der früheren Gesetzesfassung ("tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit") und von der Wortwahl des EuGH ("wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit") ab. Zwar besteht zwischen "wirklich" und "wesentlich" ein qualitativer Unterschied. Allerdings dient die Regelung des ATAD explizit der Beachtung der Grundfreiheiten, welche wiederum nach Rechtsprechung des EuGH und BFH keine hohen Anforderungen an die wirtschaftliche Tätigkeit stellen. Die Richtlinie muss sich an diesem Maßstab orientieren.
Daher geht m. E. mit dem Erfordernis einer "wesentlichen" wirtschaftlichen Tätigkeit keine qualitative Verschärfung gegenüber der Rechtsprechung einher. Auch dem AEAStG lässt sich kein strengeres Verständnis entnehmen.
Rz. 346
Im Ausgangspunkt ausreichend für die Inanspruchnahme des § 8 Abs. 2 AStG sollte daher eine "wirtschaftliche Tätigkeit" sein. Nach Auffassung der Verwaltung ist eine wirtschaftliche Tätigkeit jede auf die Erzielung von Einnahmen oder sonstigen Vorteilen gerichtete Handlung. Im Rahmen einer unionsrechtskonformen Auslegung sind die Anforderungen an das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit zu reduzieren. Die Grundfreiheiten schützen die Aufnahme "einer irgendwie gearteten Tätigkeit", einschließlich der Vermögensverwaltung oder administrativen Tätigkeiten.
Rz. 347
Der Tatbestand des § 8 Abs. 2 S. 1 AStG ist "insoweit" erfüllt, als "für Einkünfte" die Ausübung einer wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgewiesen wird. Durch die Konjunktion "insoweit" kommt eine segmentierende Betrachtung zur Anwendung. Der Substanznachweis ist für einzelne Einkünfte zu erbringen. Für jede den Einkünfte zugrundeliegende Tätigkeit sind die Substanzanforderungen nachzuweisen. Dies kann zu einer teilweisen Versagung des Substanznachweises führen. Andererseits strahlt auch eine im Hinblick auf andere Einkünfte fehlende Substanz nicht schädlich aus. Die Segmentierung "der Höhe nach" wird durch § 8 Abs. 2 S. 4 AStG näher geregelt (s. Rz. 307ff.).
Rz. 348
Die Ausübung der wesentlichen wirtschaftlichen Tätigkeit muss in dem Staat, in dem die ausländische Gesellschaft ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung hat, erfolgen. Diese Voraussetzung trägt dem Ziel der Niederlassungsfreiheit – namentlich der wirtschaftlichen Ansiedlung in einem Staat – Rechnung. Die Finanzverwaltung zieht daraus den Schluss, es sei eine dauerhafte Teilnahme am Markt des Sitz- oder Geschäftsleitungsstaats unter gezielter Nutzung der dortigen Ressourcen geboten. Zwar hat der EuGH in der Grundsatzentscheidung in der Rechtssache Cadbury Schweppes noch auf eine Teilnahme am Wirtschaftsleben des anderen Staates abgestellt. Allerdings hat der EuGH dies in einer jüngeren Entscheidung dahingehend korrigiert, als ein missbräuchliches Verhalten nicht bereits aus dem Umstand einer fehlenden Tätigkeit einer Gesellschaft in dem Staat ihrer Niederlassung geschlossen werden könne. Die Anforderungen der Finanzverwaltung gehen daher m. E. zu weit. Entscheidend muss sein, ob im Ansässigkeitsstaat der ausländischen Gesellschaft Substanz vorhanden ist und eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird. Auf die Markteinbindung in diesem Staat sollte es nicht ankommen. Anderenfalls würden – zusätzlich zur Substanz – auch Motive für die Standortwahl gefordert.
Rz. 349
Da § 8 Abs. 2 S. 1 AStG nur auf die Substanz im Ansässigkeitsstaat der ausländischen Gesellschaft abstellt, bleiben Betriebsstätten außerhalb dieses Staates unberücksichtigt.
Dies ist zwar insoweit verständlich, als Deutschland bei Betriebsstätten keinen Substanznachweis zulässt (§ 20 Abs. 2 S. 1 AStG). Das Unionsrecht wird es allerdings erforderlich machen, EU/EWR-Betriebsstätten der ausländischen Gesellschaft in den Substanznachweis einzubeziehen.
Rz. 350
Der Gesetzeswortlaut regelt – anders als § 8 Abs. 2 AStG a. F. – nicht, wer den Nachweis erbringt.
Der Nachweis kann somit auch durch die ausländische Gesellschaft oder sonstige Dritte sowie die Finanzverwaltung geführt werden.
Rz. 351–354
einstweilen frei