Dr. Tobias Hagemann, Prof. Dr. Adrian Cloer
Rz. 6
Das deutsche Steuerrecht verfügte bereits vor dem Inkrafttreten des AStG an verschiedenen Stellen über besondere Bestimmungen, die auf Auslandssachverhalte abzielten.
2.2.1 Einkünftekorrektur
Rz. 7
Der Gesetzgeber sieht seit der Popitz-Schliebenschen Finanzreform 1925 (§ 33 EStG 1925: "Steht der Gewinn aus einem inländischen Gewerbebetrieb infolge besonderer Vereinbarungen des Steuerpflichtigen mit einem im Inland nicht unbeschränkt Steuerpflichtigen in offenbarem Missverhältnis zu dem Gewinne, der sonst bei Geschäften gleicher oder ähnlicher Art erzielt wird, so kann dieser Gewinn, mindestens aber die übliche Verzinsung des dem Betrieb dienenden Kapitals bei der Einkommensermittlung für den inländischen Gewerbetrieb angesetzt werden. (…)")
die Notwendigkeit, bei grenzüberschreitenden Sachverhalten eine Einkünftekorrektur vorzunehmen. Die im Rahmen der Steuerreform 1934 eingeführte Möglichkeit einer Pauschalbesteuerung bei Auslandsbeziehungen
(§ 30 EStG: "Das Landesfinanzamt kann bei Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbetrieb oder selbständiger Arbeit ohne Rücksicht auf das ausgewiesene Ergebnis die Einkommensteuer in einem Pauschbetrag festsetzen, wenn besondere unmittelbare oder mittelbare wirtschaftliche Beziehung des Betriebs zu einer Person, die im Inland entweder nicht oder nur beschränkt steuerpflichtig ist, eine Gewinnminderung ermöglichen. Das Landesfinanzamt entscheidet nach seinem Ermessen.")
verwarf der BFH 1959 als verfassungswidrig. Mit dem § 1 AStG erfolgte sodann eine Neuregelung.
2.2.2 Wegzugsbesteuerung
Rz. 8
Bereits das Preußische Allgemeine Landrecht v. 1794 kannte Steuern auf den Wegzug (sog. Abfahrtsgeld, 2. Teil, 17. Titel, §§ 141ff.) und das Erbe bei einem Ausländer (sog. Abschossgeld, 2. Teil, 17. Titel, §§ 161ff.). Das Gesetz gegen die Steuerflucht v. 26.7.1918 stellte die erste Maßnahme bei Aufgabe des "dauernden Aufenthaltes" dar und sah das Weiterbestehen der (unbeschränkten) Steuerpflicht bei Personensteuern (in der Sprache des damaligen Gesetzgebers: Personalsteuern) für Zwecke der Bundesstaaten- und der Reichsteuern vor (§ 1 Abs. 1 StFluchtG) dar. Die Einkommensteuer wurde in Höhe des 2,5-fachen des Durchschnitts des steuerpflichtigen Einkommens der letzten drei Jahre festgesetzt (§ 1 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 2 StFluchtG) und bei der Vermögensteuer gab es einen Mindestwert (§ 2 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 6 StFluchtG). Es bedurfte einer Anzeigepflicht vor Wegzug und der Abgabe eines Vermögensverzeichnisses (§ 4 StFluchtG). Weiterhin musste eine Sicherheitsleistung erbracht werden (§ 5 StFluchtG). Auch bedurfte es der Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten (§ 18 StFluchtG). Auf Antrag konnte eine Freistellung von der Steuerpflicht gewährt werden, wenn die Auswanderung im deutschen Interesse liegt oder die Ablehnung eine außergewöhnliche Härte darstellte (§ 21 Abs. 1 StFluchtG). Die Nichtbefolgung des Gesetzes zog empfindliche Strafen (u. a. mindestens 3 Monate Gefängnis, Verlust der Staatsangehörigkeit des Steuerpflichtigen und seiner Ehefrau und Kinder) nach sich (§ 22 i. V. m. § 23 StFluchtG). Das Gesetz sollte ursprünglich drei Jahre nach dem Krieg auslaufen (§ 30 StFluchtG). Es erfolgte zunächst eine Verschärfung und trat erst zum 1.9.1925 außer Kraft (Art. VI Nr. 5 VerkStÄndG).
Im Verordnungswege erließ der Reichspräsident am 8.12.1931 die sog. Reichsfluchtsteuer. Diese ursprünglich auf den 31.3.1931 bis 31.1.1933 befristete Maßnahme führte bei deutschen Staatsangehörigen bei Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltes zu einer Steuer i.H.v. 25 % auf das gesamte Vermögen (§ 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 VO), sofern alternativ ein Mindestvermögen von 200.000 RM oder ein jährliches Einkommen von 20.000 RM erzielt wurde (§ 2 Nr. 4 VO). Die Steuer fiel weg, wenn innerhalb von zwei Monaten ins Inland zurückgekehrt wurde (§ 7 Abs. 1 S. 1 VO). Erfolgte die Zahlung der Steuer nicht fristgemäß, drohte u. a. eine Mindestgefängnisstrafe von 3 Monaten und eine unbeschränkte Geldstrafe (§ 9 Nr. 1 VO), der Erlass eines Steuersteckbriefes (§ 9 Nr. 2 VO), die Vermögensbeschlagnahme (§ 9 Nr. 3 VO) und die öffentliche Bekanntgabe (§ 9 Nr. 4 VO) und Ausschreibung (§ 9 Nr. 5 VO).
Das ursprünglich auf die Verhinderung des Wegzugs vermögender Personen gerichtete Gesetz zielte nunmehr im Rahmen der nationalsozialistischen Terrorherrschaft im Wesentlichen auf Juden. Es erfolgte eine Verschärfung des Gesetzes, insb. durch Herabsetzung der Vermögensgrenze auf 50.000 RM. Die Nationalsozialisten nutzten es zur Ausraubung der Juden und verzahnten es mit diversen anderen Vorschriften (z. B. Einführung des Flugplatzzwanges und dem Hauptflugbuch) sowie administrativer Schikanen auch durch die Finanzverwaltung. Es erfolgte eine mehrfache Verlängerung, letztmals unbefristet am 9.12.1942
Auch nach dem Ende des zweiten Weltkriegs erfolgte zunächst die Weitererhebung der Reichsfluchtsteuer. Die Reichsfluchtsteuer hob der Bundes...