Karl Würz, Dr. Reinhard Preusche
2.8.1 Ohne Pflichtendelegation keine Entlastung der Geschäftsleitung
Ihr Compliance-Management-System kann so gut wie möglich sein. Ohne eine ordnungsgemäße Pflichtendelegation dürfte Ihnen das im Ernstfall nicht viel nützen. Warum? Der Geschäftsführer eines Unternehmens muss nach § 130 OWiG dafür Sorge tragen, dass sein Unternehmen und dessen Mitarbeiter keine straf- oder bußgeldbewehrten Vorschriften verletzen. Da die Geschäftsführung sich nicht um alles kümmern kann, können die Pflichten, die aus der allgemeinen Aufsichtspflicht im Einzelnen erwachsen, mit "befreiender Wirkung" delegiert werden. Mögliche Delegationsempfänger sind Führungskräfte (Linienvorgesetzte, wie z. B. Produktionsleiter, Leiter Einkauf oder Vertrieb und Leiter von Stabsfunktionen) sowie Unternehmensbeauftragte. Die Delegationskette kann und sollte in größeren Unternehmen mehrstufig sein.
2.8.2 … und ohne Kontrolle auch nicht!
Nach der Delegation wandelt sich die Ausführungspflicht des Delegierenden in eine Aufsichtspflicht:
- Auswahlpflicht ("richtiger Mensch am richtigen Platz"),
- Unterweisungspflicht ("instruieren" und "vertraut machen mit"),
- Überwachungspflicht ("kontrollieren"),
- Durchsetzungspflicht ("eingreifen" und "dafür sorgen, dass …"),
- Ausrüstungs- und Schulungspflicht ("richtiges Arbeitsmittel am richtigen Platz" und "das erforderliche Wissen für die Aufgabe bereitstellen").
Die Bestellung, Auswahl und Überwachung von Ausführungs- und Aufsichtspersonen gehört zu den erforderlichen Organisationsmaßnahmen der Geschäftsleitung.
2.8.3 Delegationssysteme stehen oft nur auf dem Papier, sind veraltet und unwirksam
Häufig machen wir die Erfahrung, dass Unternehmen über kein Pflichtendelegationssystem verfügen. In anderen Fällen ist dieses irgendwann einmal zu Papier gebracht worden, spiegelt mittlerweile aber nicht mehr die aktuellen Verhältnisse im Unternehmen wider. Das mag daran liegen, dass Rechtsberater die Bedeutung des Ordnungswidrigkeitenrechts für die Haftung der Geschäftsleitung unterschätzt und Haftungsfragen nach dem Aktien- oder anderem Gesellschaftsrecht in den Vordergrund gestellt haben. Das hat sich geändert und sollte schnellstens korrigiert werden.
Zu einer wirksamen Pflichtendelegation gehören:
- Delegations- und Beauftragten-Richtlinie
- Musterschreiben zur Pflichtendelegation an Führungskräfte und zur Bestellung von Beauftragten
- Dokumentierte Übertragung von Verantwortung an eine einzelne Person mit der jeweils konkreten und aktuellen Beschreibung der jeweiligen Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung
- Aktualisierung der getroffenen Zuordnung entsprechend den Veränderungen im Unternehmen oder im rechtlichen Bereich
- Nachweise über durchgeführte Kontrollen der delegierten Pflichten
2.8.4 Die AKV-Matrix – damit die linke Hand weiß, was die rechte tut
Komplexe Organisationsformen können dazu führen, dass die Pflichtendelegation nicht vollständig oder in Schnittstellenfragen lückenhaft ist. Das gilt insbesondere für geschäftsfeldbezogene Matrixorganisationsformen. Wir haben die Erfahrung machen müssen, dass Geschäftsfeld-Verantwortliche im Ausland für gesetzliche Verpflichtungen in Deutschland, die in ihrem Heimatumfeld nicht oder anders geregelt waren, kein Verständnis haben. Die Leitung einer deutschen Konzerntochtergesellschaft fühlt sich häufig nur für den Vertrieb oder eine bestimmte Produktionslinie zuständig. Dementsprechend groß ist der Schrecken wenn Bußgeldbescheide dann gegen die Leitung der Tochtergesellschaft und nicht gegen die konzernintern zuständige Stabsstelle bei der Zentrale im Ausland ergehen. Unternehmen mit verschiedenen Betriebsstätten weisen für die einzelnen Standorte nicht selten abweichende Regelungen auf. Wenn eine neue gesetzliche Anforderung in der Zentrale bekannt ist, heißt das nicht automatisch, dass man davon auch in den Produktionsstandorten Kenntnis erlangt und die notwendigen Maßnahmen getroffen hat. Ferner bleibt häufig unklar, was in der Verantwortung der Linienvorgesetzten liegt und welche Rolle Stabsabteilungen und Unternehmensbeauftragte spielen.
Um nicht die Übersicht zu verlieren, schlagen wir die Erstellung einer AKV-Matrix ("Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortung") vor. Diese stellt das "Zusammenspiel" der Verantwortlichkeiten im Unternehmen in einer Übersicht dar und ermöglicht so die Steuerung aus der Geschäftsleitungsperspektive.
Die AKV-Matrix ist für jeden Delegationsempfänger auszufüllen. Alle Elemente, die in der AKV aufgeführt werden, sollten in den Delegationsschreiben enthalten sein. Alternativ kann die AKV-Matrix Bestandteil des Delegationsschreibens sein.
Hier finden Sie die Arbeitshilfe "Pflichtendelegation: Checkliste für delegierende Führungskräfte".
Sie enthält in der Vertikalspalte eine typisierte Auflistung der Funktionsträger im Unternehmen unterhalb der Geschäftsleitung (z. B. Geschäftsbereichsleiter, Produktionsleiter, Einkauf, Entwicklung, Controlling, Qualität, Vertrieb, Personalabteilung). Zusätzlich sollte die AKV-Matrix darunter jeweils die Namen der Verantwortlichen enthalten.
Hinzu kommen die verschiedenen Unternehmensbeauftragten (z. B. Abfall, Arbeitssicherheit, Brandschutz, Datenschutz, Gefahrgut, Gewässerschutz, Immissionsschutz, Strahlen-/Röntgenschutz, Luftfrachtsicherheit, Exportkontrolle, Energiemanagement)...