Jörg Ekkenga, Dr. Andreas Kramer
Sobald man die Richtung der Erhebung festgelegt hat, stellt sich die Frage nach der Form der Durchführung. Risiken werden immer im Dialog mit anderen Führungskräften und Mitarbeitern erhoben und bewertet. Es ist zu entscheiden, ob man die Risiken in einer Einzelbefragung oder in Gruppen erhebt.
3.2.1 Einzelbefragung
Bei der Einzelbefragung hat man die Wahl zwischen einer schriftlichen Befragung mit einem Fragebogen bzw. Risikoregister oder dem Einzelgespräch.
Schriftliche Befragung
Eine schriftliche Umfrage hat den Vorteil, dass man eine große Anzahl von Mitarbeitern in einer strukturierten Weise nach Compliance-Risiken befragen kann. Dieses Vorgehen bietet sich insbesondere bei einer Bottom-up-Befragung an. Nachteil einer schriftlichen Befragung ist, dass man Themen nicht im Dialog vertiefen oder Unklarheiten unmittelbar ausräumen kann. Es fehlen die Erläuterungen durch den Befrager und der wertvolle Dialog über Art und Ausprägung des jeweiligen Risikos.
Einzelgespräch
Im Gegensatz zur schriftlichen Befragung bietet das Einzelgespräch die Möglichkeit, dass der Befrager weitere Erläuterungen und Erklärungen zur Compliance-Risikoanalyse gibt. Er kann z. B. Klarheit über die Bewertung von Auswirkungen vor und nach Maßnahmen geben. Compliance-Begriffe wie Fraud, Untreue, Kartellverstöße etc. können im Gespräch erläutert werden, sodass der Befragte zu einer besseren Einschätzung kommt. Der persönliche Kontakt unterstreicht die Bedeutung des Themas und häufig ist diese Form für den Befragten einfacher, da er nicht gezwungen ist, vorgegebene Fragebögen oder Templates auszufüllen.
Nachteile
Ein Nachteil der Einzelbefragung ist der enorme Zeitaufwand, da unsere Praxis zeigt, dass man sich ein bis zwei Stunden pro Gesprächspartner Zeit nehmen muss, um zu einem verwertbaren Ergebnis zu kommen. Ferner müssen die Gespräche vor- und nachbereitet werden. In einer gegebenen Zeitspanne kann man also nur eine begrenzte Anzahl von Mitarbeitern befragen, daher eignet sich dieses Gespräch nur für ausgewählte Unternehmensvertreter, z. B. Führungskräfte mit engen Terminkalendern.
Was im Einzelgespräch nicht möglich ist, sind der Austausch und Dialog mit anderen Fachbereichen. Häufig fördert gerade die Diskussion mit anderen Unternehmensbereichen neue Compliance-Themen zu Tage oder bestehende Compliance-Gefährdungen lassen sich relativieren. Der Gruppendialog beugt auch der Vielfachnennung von Compliance-Themen vor, da die Themen nur einmal in der Gruppe und nicht für jeden Teilbereich einzeln besprochen werden.
3.2.2 Gruppengespräche und Workshops
Vor- und Nachteile
Gruppengespräche oder Workshops zur Risikoidentifizierung und ‐bewertung haben ferner den Vorteil, dass sie es erlauben, relativ zeitökonomisch die wesentlichen Compliance-Risiken zu identifizieren.
Ein möglicher Nachteil ist allerdings, dass sich die Teilnehmer in einer solchen Runde möglicherweise nicht frei fühlen, über Compliance-Risiken offen zu sprechen. Dies kann daran liegen, dass sich Mitarbeiter scheuen, in Gegenwart ihrer Vorgesetzten Gefahren offen anzusprechen.
Zudem werden bestehende Risiken häufig noch als Schwäche empfunden oder als "Bedenkenträgerei" abgetan. Solche Sichtweisen gehen vollkommen an der Sache vorbei, denn Risiken zu kennen bedeutet nicht automatisch, dass man keine Wagnisse eingeht. Unternehmerisch handelt nur der, der "sehenden Auges" die Chancen und Risiken abwägt. Dieses ist eine Frage der Risikokultur in einem Unternehmen, die gerade in Gruppendiskussionen besonders zu Tage tritt.
Teilnehmer möglichst aus einer Hierarchiestufe
Die Anzahl der Teilnehmer an einem Workshop sollte auf eine sinnvolle Zahl beschränkt sein, damit ein fruchtbarer Dialog möglich ist. Aus unserer Beratungspraxis haben wir die Erfahrung gemacht, dass eine Zahl zwischen 8 und 16 Teilnehmern eine produktive Gruppendynamik hervorbringt. Wir empfehlen, die Teilnehmer möglichst aus einer Hierarchiestufe einzuladen, damit keiner Konsequenzen seines Vorgesetzten fürchten muss.
Fachlich kann es Vorteile bringen, die Teilnehmer aus ähnlichen als auch aus ganz unterschiedlichen Fachbereichen zusammenzurufen. Beide Varianten ergeben unterschiedliche Diskussionen und können sinnvoll sein.