Die jüngere Rechtsprechung des BFH im Zusammenhang mit der "unverzüglichen Bestimmung zur Selbstnutzung" ist ausdrücklich zu begrüßen. Der BFH gibt dem Steuerpflichtigen dabei wertvolle Hinweise für die praktische Umsetzung an die Hand. Der zeitnahen Räumung bzw. Entrümpelung der Wohnung kommt nach Ansicht des BFH eine Indizwirkung zu und sollte zeitnah erfolgen (vgl. Wachter, ZEV 2022, 50, 53). Der Erwerber eines Familienheims muss die Entscheidung zur Übernahme daher zügig treffen (vgl. Billig, UVR 2021, 185, 186).
Innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten nach dem Erbfall ist grundsätzlich eine unverzügliche Selbstnutzung gegeben. Danach trägt der Erwerber die objektive Darlegungs- und Beweislast für die Merkmale der Steuerbefreiungsvorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c ErbStG (vgl. Hess. FG v. 20.7.2015 – 1 K 392/15, ZEV 2016, 55 Rz. 26 = ErbStB 2016, 1 [Rothenberger]; FG Nürnberg v. 4.4.2018 – 4 K 476/16, ZEV 2018, 428 Rz. 32 = ErbStB 2018, 233 [Rothenberger]; bestätigt vom BFH v. 6.5.2021 – II R 46/19, ECLI:DE:BFH:2021:U.060521.IIR46.19.0, BStBl. II 2022, 342 Rz. 23 = ErbStB 2022, 1 [Heinrichshofen]). Der Erwerber muss glaubhaft machen, dass er die Umstände der zeitlichen Verzögerung nicht zu vertreten hat. Was dem Erwerber im Rahmen der Unverzüglichkeit zumutbar ist, haben die Finanzbehörden im Rahmen einer Würdigung des Einzelfalls zu entscheiden (vgl. BFH v. 16.3.2022 – II R 6/21, HFR 2022, 947 LS 1 = ErbStB 2022, 291 [Heinrichshofen]). Die Anforderungen an die Beweislast werden dabei umso höher, je größer der zeitliche Abstand zwischen Erbfall und Einzug ist. Je besser die unverschuldete Verzögerung durch die Renovierungsphase dokumentiert ist, desto leichter wird es der Finanzverwaltung fallen, die begehrte und verfassungsrechtlich umstrittene Steuerbefreiung zu gewähren.
Falls keine professionelle Hilfe bei der Räumung der Wohnung in Anspruch genommen wird, eignen sich zur Dokumentation insbesondere entsprechendes Bildmaterial von den Arbeitseinsätzen, Aufzeichnungen zu den teilnehmenden Personen sowie Rechnungen über die Miete von Müllcontainern. Die "unverzügliche" und damit rechtzeitige Einleitung von Renovierungsmaßnahmen durch Kontaktaufnahme mit Handwerkern bzw. deren Beauftragung muss ebenfalls sorgfältig dokumentiert werden. Hierfür eignen sich Auftragsbestätigungen, Rechnungen oder sogar Gesprächsnotizen mit Handwerkerfirmen (vgl. BFH v. 6.5.2021 – II R 46/19, ECLI:DE:BFH:2021:U.060521.IIR46.19.0, ErbStB 2022, 1 [Heinrichshofen] = Kugelmüller-Pugh, DStR 2021, 2729, 2731; Kugelmüller-Pugh, HFR 2022, 35, 37). Verzögerungen aufgrund einer hohen Auftragslage des beauftragen Handwerkers sind dem Erwerber nicht anzulasten, sofern der Auftrag unverzüglich erteilt wurde (a.A. noch FG Düsseldorf v. 10.3.2021 – 4 K 2245/19 Erb, EFG 2021, 864 Rz. 21 = ErbStB 2021, 173 [Heinrichshofen]). Zur Vermeidung von Auslegungsstreitigkeiten empfiehlt sich aber die Beauftragung des schnellsten, und nicht des günstigsten Handwerkers (vgl. Heinrichshofen, FG Düsseldorf v. 10.3.2021 – 4 K 2245/19 Erb, ErbStB 2021, 173, 174; Wachter, ZEV 2022, 50, 53, mit dem Hinweis, dass auch die Zahlung eines (freiwilligen [Anm. d. Verf.]) Vorschusses zur Beschleunigung der Arbeiten beitragen kann). Der tatsächliche Einzug muss zudem schnellstmöglich durch eine Ummeldung (Meldebescheinigung) und entsprechendes Bildmaterial belegt werden. Im Einzelfall sollte auch der vorzeitige Einzug in bereits fertiggestellte Räume – trotz noch laufender Renovierungsarbeiten – erwogen werden (ähnlich FG Nürnberg v. 4.4.2018 – 4 K 476/16, ErbStB 2018, 233, 234 [Rothenberger]).
Beraterhinweis Oft wenden sich die Steuerpflichtigen erst nach Erhalt der Aufforderung zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung an den steuerlichen Berater. Je nach zuständigem Finanzamt sind die maßgebenden sechs Monate dann schon abgelaufen und brauchbare Nachweise über die Unverzüglichkeit aufgrund fehlender Aufklärung nicht vorhanden. Der steuerliche Berater sollte seinem Mandantenstamm deshalb vorsorglich über die strengen Anforderungen beim erbschaftsteuerlichen Familienheim informieren. Hierfür bietet sich bspw. ein kostengünstiges Newslettersystem an.