Tatbestand: Nach § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 6 AO wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft, wer eine Drittstaat-Gesellschaft, auf die er allein oder zusammen mit nahestehenden Personen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzt und auf diese Weise fortgesetzt Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt.
Drittstaat-Gesellschaft: Eine Drittstaat-Gesellschaft ist per definitionem gem. § 138 Abs. 3 AO eine Personengesellschaft, Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse mit Sitz oder Geschäftsleitung in Staaten oder Territorien, die nicht Mitglieder der EU oder der EFTA (Island, Liechtenstein, Norwegen, Schweiz) sind. Diese Definition geht zurück auf das Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (StUmgBG) vom 23.6.2017 (BGBl. I 2017, 1682 = BStBl. I 2017, 865).
Es spielt im Grundsatz keine Rolle, ob und ggf. welche wirtschaftliche Tätigkeit die Drittstaat-Gesellschaft ausübt und ob sie börsennotiert ist oder nicht (gl.A. Grotherr in Gosch, AO/FGO, § 138 AO Rz. 51 f. [Juni 2021]). Es muss sich nicht zwingend um eine funktionslose Domizilgesellschaft oder eine Briefkastengesellschaft handeln, obwohl dies häufig der Fall sein wird. Es darf allerdings nicht verkannt werden, dass es auch innerhalb der EU und der EFTA Staaten bzw. Regionen gibt, die als Steueroasen gelten, z.B. Irland, Liechtenstein, Luxemburg, Malta, Madeira, Schweiz, Zypern, die Kanalinseln in Großbritannien (gl.A. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 138 AO Rz. 1 [April 2021]; Grotherr in Gosch, AO/FGO, § 138 AO 0Rz. 50 [Juni 2021]; vgl. auch Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 138 AO Rz. 51 [Juli 2019]).
Nahestehende Person: Fraglich ist, was mit "nahestehenden Personen" gemeint ist. Hierbei knüpft § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 6 AO unmittelbar an die Regelung des § 1 Abs. 2 AStG an. Danach ist eine Person einem Steuerpflichtigen nahestehend, wenn diese an dem Steuerpflichtigen mindestens zu 25 % beteiligt ist oder auf den Steuerpflichtigen einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder umgekehrt der Steuerpflichtige an der Person wesentlich beteiligt ist oder auf diese Person unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder eine dritte Person sowohl an der Person als auch an dem Steuerpflichtigen wesentlich beteiligt ist oder auf beide unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder die Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den Steuerpflichtigen oder die Person einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat (§ 1 Abs. 2 AStG). Eine tatsächliche Einflussnahme ist nicht erforderlich; die bestehende Möglichkeit reicht bereits aus (gl.A. Grotherr in Gosch, AO/FGO, § 138 AO Rz. 42 [Juni 2021]; Dißars, Stbg 2018, 261).
Nach Ansicht der FinVerw. kann ein beherrschender oder bestimmender Einfluss auf rechtlicher oder tatsächlicher Grundlage beruhen oder auf dem Zusammenwirken beider. Rechtlicher Einfluss kann insb. auf der Kapitalbeteiligung bzw. Stimmrechten oder auf vertraglichen Beziehungen, z.B. einem Treuhandvertrag, beruhen. Einfluss außerhalb rechtlicher Einflussmöglichkeiten kann auf Grund der finanziellen Abhängigkeit der Drittstaat-Gesellschaft bestehen oder auf Grund anderer tatsächlicher Abhängigkeiten der Gesellschaft oder ihrer Geschäftsführung. Dabei sind Einflussnahmen auf gesellschaftsrechtliche, finanzielle oder geschäftliche Angelegenheiten denkbar (arg. § 138 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 AO).
Es ist allerdings höchst unklar, was mit gesellschaftsrechtlichen, finanziellen oder geschäftlichen Angelegenheiten gemeint ist (so auch Rätke in Klein, 15. Aufl. 2020, AO, § 138 Rz. 26; Dißars, Stbg 2018, 261 [266]; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 138 AO Rz. 6e [April 2021]; Stahl, kösdi 2018, 20676, 20680).
Dies bedeutet im Einzelnen:
- Gesellschaftsrechtliche Angelegenheiten liegen zweifellos vor, wenn es um die Bestellung der Vorstandsmitglieder bzw. des Geschäftsführers oder des Aufsichtsrates geht (vgl. § 46 Nr. 5, § 52 GmbHG; § 101 AktG);
- Finanzielle Angelegenheiten sind betroffen, wenn die Ausstattung der Gesellschaft mit Eigen- oder Fremdkapital in Frage steht, wofür zweifellos der inländische Steuerpflichtige mit beherrschendem oder bestimmendem Einfluss zuständig sein könnte (vgl. Grotherr in Gosch, AO/FGO, § 138 AO Rz. 43 [Juni 2021]).
- Geschäftliche Angelegenheiten sind Entscheidungen der Geschäftsführung, der Geschäftspolitik und wesentliche unternehmerische Entscheidungen (vgl. Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 138 AO Rz. 41 [Juli 2019].
Begründung des Gesetzgebers: Nach der historischen Begründung des Gesetzgebers soll der gezielten Ausnutzung von Auslandsgesellschaften bege...