Zugleich Anmerkung zu BFH v. 26.9.2023 – IX R 13/22
[Ohne Titel]
Dr. Heinz-Willi Kamps, RA/FASt / Dr. Torben Gravenhorst, RA
Grundstücke, die zu eigenen Wohnzwecken genutzt werden (also insb. Wohnungen und Wohnhäuser), sind seit jeher Gegenstand von An- und Verkauf. Befindet sich ein solches Eigenheim im Nachlass, ist den Erben oftmals nicht bekannt, wann dieses vom Erblasser erworben wurde. Soll der Nachlass – oder Teile hiervon – veräußert werden, bestehen nicht unerhebliche Steuerfallen, insb. im Hinblick auf die Frage, ob und wann die zehnjährige Haltefrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG greift. Der BFH hat jüngst dazu Stellung genommen, ob die Vorschrift greift, wenn zum Nachlass ein Grundstück gehört und ein Miterbenanteil entgeltlich erworben wird (BFH v. 26.9.2023 – IX R 13/22).
1. Hintergrund: Private Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken
Veräußert ein Steuerpflichtiger (Stpfl.) innerhalb von zehn Jahren nach Anschaffung ein Grundstück, verwirklicht er den Tatbestand eines steuerpflichtigen privaten Veräußerungsgeschäfts (§§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Die Vorschrift unterwirft Wertsteigerungen von im Privatvermögen gehaltenen Immobilien der Einkommensteuer, sofern die Mindesthaltezeit unterschritten wird. Das Überschreiten (auch nur um einen Tag) dieser Zehn-Jahres-Frist löst Einkommensteuer (§ 23 Abs. 3 Satz 1 EStG) für den gesamten Veräußerungsgewinn aus (vgl. Ratschow in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Stand: 11/2023, § 23 EStG Rz. 220).
Der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG setzt die Anschaffung und Veräußerung des Eigentums am Grundstück voraus (Ratschow in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, Stand: 11/2023, § 23 EStG Rz. 60). Maßgeblich ist das Zivilrecht (hierzu und zum Folgenden Levedag in Schmidt, EStG, 42. Aufl. 2023, § 23 Rz. 13). Demnach ist ein Grundstück jede im Bestandsverzeichnis eines Grundbuchs gesondert aufgeführte Teilfläche. Erfasst werden unbebaute und bebaute Grundstücke. Ferner setzt § 23 EStG die Identität (sog. Nämlichkeit) des angeschafften und des veräußerten Wirtschaftsguts voraus (vgl. BFH v. 6.4.2011 – IX R 41/10, BFH/NV 2011, 1850; Kube in Kirchhof/Seer, EStG, 22. Aufl. 2023, § 23 Rz. 4). Dieser Grundsatz ist Ausdruck des Zwecks des § 23 EStG, innerhalb der Spekulationsfrist realisierte Werterhöhungen eines bestimmten Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Stpfl. der Einkommensteuer zu unterwerfen. Deshalb muss das veräußerte Wirtschaftsgut mit dem erworbenen (wirtschaftlich) identisch sein (vgl. BFH v. 6.4.2011 – IX R 41/10, BFH/NV 2011, 1850 m.w.N.).
Ob und in welchem Umfang Identität gegeben ist oder ein anderes Wirtschaftsgut ("aliud") vorliegt, richtet sich nach einem wertenden Vergleich von angeschafftem und veräußertem Wirtschaftsgut unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls. Maßgebliche Kriterien sind
- die Gleichartigkeit,
- Funktionsgleichheit und
- Gleichwertigkeit
von angeschafftem und veräußertem Wirtschaftsgut (vgl. BFH v. 12.6.2013 – IX R 31/12, BStBl. II 2013, 1011 = ErbStB 2013, 305 [Günther]; BFH v. 8.11.2017 – IX R 25/15, BStBl. II 2018, 518 = ErbStB 2018, 135 [Rothenberger]; jeweils m.w.N.).
2. Bisherige Rechtslage bei Grundstücken im Gesellschaftsvermögen
Steht das Grundstück nicht (nur) einem Stpfl., sondern mehreren Personen gemeinsam zu, wurde bisher wie folgt differenziert:
a) Kapitalgesellschaften
Der Erwerb des Anteils an einer Kapitalgesellschaft, in deren Gesellschaftsvermögen sich ein Grundstück befindet, ist nicht identisch mit dem späteren aus dem Gesellschaftsvermögen veräußerten Grundstück. Die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ist zivilrechtlich kein Grundstück und auch kein Recht, das den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegt. Der Tatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ist nicht erfüllt (vgl. Geck in Ebeling/Geck, Hdb. der Erbengemeinschaft, Stand: 10/2023, Rz. 701).
Beraterhinweis Die Abtretung solcher Gesellschaftsanteile kann allerdings zur Besteuerung aufgrund des weiteren Tatbestands nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG führen, sofern Anschaffung und Veräußerung innerhalb eines Jahres erfolgen (vgl. hierzu BFH v. 4.10.1990 – X R 148/88, BStBl. II 1992, 211).
b) Personengesellschaften
Auch bei Grundstücken im Vermögen einer Personengesellschaft beurteilte der BFH in der Vergangenheit (vgl. nur BFH v. 4.10.1990 – X R 148/88, BStBl. II 1992, 211) die Abtretung einer Beteiligung nicht als Verfügung über den (anteiligen) Grundbesitz. Der Gesetzgeber hat auf diese BFH-Rspr. mit der Fiktion des § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG reagiert (Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz – StMBG, v. 21.12.1993, BGBl. I 1993, 2310). Nach dieser Vorschrift gilt die Anschaffung oder Veräußerung einer unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung an einer Personengesellschaft als Anschaffung oder Veräußerung der anteiligen Wirtschaftsgüter. Demnach kann die Abtretung einer Beteiligung an einer Personengesellschaft, die ein Grundstück im (Gesamthands-)Vermögen hält, den Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts verwirklichen.