1. Vorbemerkungen
Umfangreiche Kasuistik: Bei der Prüfung der unverschuldeten Verhinderung hinsichtlich Wiedereinsetzungsgründen i.S.d. §§ 110 AO, 56 FGO hat sich eine umfangreiche Kasuistik durch die höchstrichterliche Rechtsprechung herausgebildet, die auch im Rahmen von § 109 Abs. 2 AO heranzuziehen ist. Im Folgenden sollen daher in Bezug auf Beratenenfälle ausgewählte Rechtsprechungsbeispiele ergänzt um eigene, bei der Bearbeitung zahlreicher Einspruchsverfahren zu Fristverlängerungsanträgen erlebte, Praxisfälle nebst konkreten Handlungsempfehlungen dargestellt werden.
Hinweis in Nichtberatenenfällen: Hinsichtlich der Kasuistik zur unverschuldeten Verhinderung in – im Gegensatz zu den Beratenenfällen nicht den Aufsatzschwerpunkt darstellenden – Nichtberatenenfällen wird exemplarisch auf die Bildung von ABC-Fallgruppen seitens Achsnich verwiesen (vgl. Achsnich in BeckOK/AO, § 110 AO Rz. 199 ff. [04/2024] unter Verweis auf weitere ABC-Fallgruppen-Fundstellen in den AO-Kommentaren Hübschmann/Hepp/Spitaler, Klein, Koenig, Schwarz/Pahlke/Keß und Tipke/Kruse zu § 110 AO).
2. Praxisbeispiele in Beratenenfällen
a) Arbeitsüberlastung
Arbeitsüberlastung erfüllt die Voraussetzungen einer unverschuldeten Verhinderung nicht, so dass Fristverlängerungsanträge, die darauf gestützt werden, zurückzuweisen sind (BFH v. 7.12.2007 – XI B 21/06; BFH v. 5.11.2003 – I B 99-101/03; BFH v. 27.7.2003 – IV B 27/02). Dies ist nur konsequent, denn steuerliche Berater unterliegen berufsständisch und haftungsrechtlich besonderer Sorgfalt, weshalb von ihnen verlangt werden kann, ihre Arbeit und den Kanzleibetrieb dergestalt zu organisieren, dass sie Steuererklärungen stets fristgerecht einreichen. Dies gilt auch bei unvorhergesehener Arbeitsüberlastung, weil es Berufsträgern zuzumuten ist, ihren Arbeits- und Mandatsumfang entsprechend zu steuern (a.A. und in "plötzlich und unvorhersehbar" eingetretener Arbeitsüberlastung ein mögliches Unverschulden sehend Rätke in Klein, AO, 17. Aufl. 2023, § 110 AO Rz. 15).
In der jüngeren Vergangenheit hat der BFH mit Beschluss vom 31.8.2021 (BFH v. 31.8.2021 – XI B 33/21) seine restriktive Linie bestätigt und entschieden, dass eine Arbeitsüberlastung auch im Zuge der Mitwirkung an Überbrückungshilfeanträgen während der Corona-Pandemie nicht als Unverschulden zu werten ist. Dies dürfte auch für weitere (vermeintliche) Überlastungsgründe wie die Abgabe von Grundsteuererklärungen oder die Mitwirkung an den Schlussabrechnungen für die Corona-Wirtschaftshilfen gelten.
Beraterhinweis Wird die Auffassung vertreten, dass Arbeitsüberlastung eine unverschuldete Verhinderung darstellt und Fristverlängerung beantragt wird, so bedarf es einer substantiierten Darlegung, woraus die Arbeitsüberlastung resultiert, inwieweit diese unvorhersehbar war, weshalb eine fristgerechte Erklärungsabgabe in dem bestimmten Mandat deshalb kausal unmöglich sein soll und welche Vorkehrungen getroffen worden sind, um der Arbeitsüberlastung entgegenzuwirken. Pauschale Behauptungen einer Arbeitsüberlastung und bloß allgemeine Ausführungen genügen als Sachvortrag nicht.
b) Personalmangel/Personalausfälle/Krankheit
Häufig wird in Fristverlängerungsanträgen eine unverschuldete Verhinderung mit Hinblick auf Personalmangel und Personalausfällen begründet. Die Begründungen sind im Detail vielfältig, wobei häufig langfristige Erkrankungen, Schwangerschaften, Elternzeiten und fehlendes Personal auf dem Arbeitsmarkt trotz bemühter Suche angeführt werden.
All diese Begründungen vermögen regelmäßig keine unverschuldete Verhinderung zu begründen, da Erklärungsfristen grds. auch dann einzuhalten sind, wenn Personalausfälle auftreten (vgl. zur Notwendigkeit des Treffens von Vorkehrungen bei Erkrankung eines Sozius, dass andere Sozien dann für die Fristeinhaltung sorgen, etwa BFH v. 13.9.2002 – III B 39/02; wenn ein Sozienausfall aufgefangen werden muss, gilt dies aus Sicht des Verfassers bei "einfachen" Mitarbeitern erst recht). Denn langfristige Erkrankungen, Schwangerschaften und andere Ausfallgründe entsprechen der allgemeinen Lebenserfahrung und müssen bei der Kanzleiorganisation und Personalplanung berücksichtigt werden. Dies gilt insb. dann, wenn zwischen der Erkrankung bzw. anderweitigen Ausfallgründen und dem Ablauf der Erklärungsfrist mehrere Monate liegen und durch Neueinstellungen Abhilfe geschafft werden kann. Auch ein pauschaler Verweis auf einen Fachkräftemangel im Steuerrecht genügt nicht, zumal Einstellungsbemühungen auf Anfrage häufig nicht substantiiert nachgewiesen werden können und mithin bloße (Schutz-)Behauptungen darstellen.
Beraterhinweis Wenn ein Personalmangel aufgrund schwerer, plötzlicher, unvorhergesehener Krankheit aufgetreten ist und Fristverlängerungsanträge gestellt werden, so sollte substantiiert zur Plötzlichkeit und Schwere der Erkrankung, zum Mandatsbezug des Erkrankten, zur Büroorganisation und Vertretungsregelungen sowie zu den Umständen, weshalb eine Fristeinhaltung gerade in dem jeweiligen Mandat dennoch unzumutbar ist, vorgetragen werden (vgl. zur unverschuldeten Verhinderung in schweren, plötzlichen, unvorhergesehenen Krankheitsfäll...