Mit Urteil v. 29.9.2020 hat der BFH entschieden, dass die Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 EStG auch dann eintritt, wenn die bei der Auszahlung der Kapitalerträge einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht beim FA angemeldet und abgeführt wird und kein die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs ausschließender Fall nach § 43 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2, Satz 2 oder Satz 3 EStG vorliegt. Dies gilt auch dann, wenn der StPfl. Kapitaleinkünfte in Form von Scheinrenditen aus einem betrügerischen Schneeballsystem erzielt hat, für die aus seiner Sicht Kapitalertragsteuer nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG einbehalten worden ist. Die Bemessungsgrundlage der von dem Stpfl. aus den Scheinrenditen erzielten Kapitaleinkünfte mindert sich nicht um die einbehaltene Abgeltungsteuer (Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag), wenn der Einbehalt nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG mit abgeltender Wirkung für Rechnung des StPfl. als Gläubiger der Kapitalerträge erfolgt ist. Das Fehlen der aufsichtsrechtlichen Genehmigung nach § 32 KWG steht der Qualifikation eines Unternehmens als inländisches Finanzdienstleistungsinstitut i.S.d. § 44 i.V.m. § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 lit. b EStG nicht entgegen, wenn es die Merkmale des § 1 Abs. 1a KWG erfüllt.
Sachverhalt: Die Kläger sind Eheleute und werden in den Streitjahren 2011 bis 2013 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte Einkünfte aus Kapitalvermögen in Form von Scheinrenditen aus einem Schneeballsystem. Das FA erfuhr aufgrund von Kontrollmitteilungen von den Scheinrenditen; demnach hatte der Kläger in den Streitjahren bei der von B geführten Firma C Scheinrenditen aus Dividenden und Aktienverkäufen erzielt, die er nicht in den Einkommensteuererklärungen der Streitjahre angegeben hatte. B hatte unter der Firma der C ein Schneeballsystem mit fingierten Aktiengeschäften betrieben, das in 2013 aufflog. Bis dahin hatte C zahlreiche Auszahlungen vorgenommen. B bescheinigte dem Kläger in den Streitjahren im Namen der C erhebliche Gewinne aus dem Verkauf von Aktien und zahlte diese zum Teil auf ein Konto von dessen Tochter aus. Auf den dem Kläger erteilten Abrechnungen wies C den rechnerisch zutreffenden Einbehalt der Kapitalertragsteuer und des hierauf entfallenden Solidaritätszuschlags auf die als Kapitaleinkünfte angegebenen Erträge aus. Jedoch wurde die Kapitalertragsteuer von C weder beim FA angemeldet noch abgeführt, was dem Kläger nicht bekannt war. Das FA erließ aufgrund der Kontrollmitteilung jeweils in 2015 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre, in denen es beim Kläger Gewinne aus Aktienverkäufen der Besteuerung nach § 20 EStG zugrunde legte. Die von C einbehaltene Kapitalertragsteuer zzgl. SolZ wurde nicht angerechnet, da nach Auffassung des FA keine ordnungsgemäße Steuerbescheinigung vorlag. Gegen die Änderungen wendet sich der Kläger.
Versteuerung von Scheinrenditen: Der BFH hält an seiner langjährigen Rspr. zur Besteuerung von Scheinrenditen aus in betrügerischer Absicht umgesetzten Schneeballsystemen fest. In der o.g. Konstellation sind die vorgetäuschten Gewinne aus dem Verkauf von Aktien beim Kläger steuerpflichtig. Ihm sind die Kapitalerträge zugeflossen. Der Zufluss von Scheinrenditen erfolgt entweder durch (I.) tatsächliche Auszahlung einschl. auf Geheiß des Klägers erfolgter Auszahlungen an Dritte, durch (II.) Gutschrift in den Büchern des Betreibers des Schneeballsystems, sofern die gutgeschriebenen Beträge dem Kläger fortan zur Verwendung zur Verfügung stehen oder durch (III.) Schuldumschaffung als Folge der Ausübung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht ("Wiederanlage"). Zudem war der Betreiber des Schneeballsystems im o.g. unstreitig leistungsbereit und leistungsfähig. Insbesondere wurde die Auszahlung etwaiger Erträge nicht verweigert und es war in den Streitjahren kein Insolvenzverfahren anhängig. Es bleibt dabei, dass dem Grunde nach nicht existente und demnach vorgetäuschte Kapitalerträge durch den Anleger der Besteuerung unterliegen.
Keine Minderung der Bemessungsgrundlage (BMG) um vorgetäuschte Steuerabzugsbeträge: Die BMG der von dem Kläger aus den Scheinrenditen erzielten Kapitaleinkünfte i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1, Abs. 4 EStG mindert sich nicht um die von C einbehaltenen Steuerabzugsbeträge. Der Einbehalt insb. der Kapitalertragsteuer erfolgte gem. § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG durch C als auszahlende Stelle i.S.d. § 44 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 lit. a, aa EStG mit abgeltender Wirkung für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge. Demnach sind auch die von C für den Steuerabzug einbehaltenen Steuerabzugsbeträge i.S.d. § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen.
Abgeltungswirkung des Steuerabzugs greift auch bei betrügerischen Schneeballsystemen: Die erzielten Scheinrenditen sind gem. § 2 Abs. 5b EStG nicht der Einkommensteuerfestsetzung zugrunde zu legen, da diese aufgrund des Einbehalts durch C der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, so dass die Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG eingetreten ist...