Unstrittig ist, dass Kapitalerträge, die im Inland steuerpflichtig sind, aber keinem inländischen Steuerabzug unterlegen haben, gesondert erklärt werden müssen (s. z.B. Kühner in HHR, EStG/KStG, § 32d EStG Rz. 66; Werth in Brandis/Heuermann, EStG, § 32d EStG Rz. 120; Levedag in Schmidt, EStG, § 32d EStG Rz. 22). Ausweislich der Begründung zum JStG 2010 v. 21.6.2010 trifft die Veranlagungspflicht i.S.d. § 32d Abs. 3 EStG jeden Kapitalertrag, für den keine (vollständige) Abgeltungswirkung eingetreten ist. Gemäß § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG tritt die Abgeltungswirkung nur insoweit ein, als die Erträge der Höhe nach dem Steuerabzug unterliegen. Für den darüberhinausgehenden Betrag besteht eine Veranlagungspflicht nach § 32d Abs. 3 EStG. Das heißt im Ergebnis, auch für Kapitalerträge, die zu Recht oder zu Unrecht nur teilweise dem Steuerabzug unterlegen haben, besteht eine Veranlagungspflicht (vgl. Moritz / Strohm in Frotscher/Geurts, EStG, Stand: 21.4.2016, § 32d EStG Rz. 68).
Rechtmäßig zu geringer Steuerabzug: Berechtigt ist der ggf. nur teilweise erfolgte Steuerabzug insb. in Fällen einer Ersatzbemessungsgrundlage gem. § 43a Abs. 2 Satz 7 ff. EStG. In solchen Fällen kennt die zum Steuerabzug verpflichtete Stelle nicht die tatsächlichen AK und kann daher die zutreffende BMG für den Steuerabzug nicht ermitteln. Im BMF-Schreiben v. 18.1.2016, BStBl. I 2016, 85 Rz. 144 wird explizit auf die Regelungen zur Deklarationspflicht in Fällen der Ersatzbemessungsgrundlage (BMF-Schreiben v. 18.1.2016 Rz. 183) verwiesen, sofern der Steuerabzug auf Ebene des Steuerabzugsverpflichteten geringer war, als der tatsächliche Gewinn.
Beraterhinweis Nach den Ausführungen im BMF-Schreiben v. 18.1.2016, BStBl. I 2016, 85 – Rz. 183 sieht die Finanzverwaltung von der (Nach-)Versteuerung des Veräußerungsgewinns aus Billigkeitsgründen ab, wenn die Differenz je Veranlagungszeitraum nicht mehr als 500 EUR beträgt und keine weiteren Gründe für eine Veranlagung nach § 32d Abs. 3 EStG vorliegen (krit. hierzu Moritz / Strohm in Frotscher/Geurts, EStG, Stand: 21.4.2016, § 32d Rz. 69).
Zu Unrecht ist ein Steuerabzug zu niedrig erfolgt, wenn er der Höhe nach nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Steuerbelastung gem. § 43a Abs. 1 EStG entspricht und diese nicht übersteigt.
Erklärungspflicht aus systematischen Gründen: Auch aus der Systematik der Vorschriften zur Abgeltungswirkung des Steuerabzugs einerseits und der korrespondierenden Erklärungspflicht des § 32d Abs. 3 EStG andererseits ergibt sich kein Ausschluss von der Deklarationspflicht für Kapitalerträge, die nur teilweise dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterlegen haben. Alleine die (exemplarischen) Ausführungen zur Ersatzbemessungsgrundlage im BMF-Schreiben v. 18.1.2016 (BStBl. I 2016, 85 Rz. 183, 184) verdeutlichen, dass im Steuerabzugsverfahren zu niedrig besteuerte Kapitalerträge nicht begünstigt sein sollen. Wenn schon im Steuerabzugsverfahren aufgrund Anwendung einer Ersatzbemessungsgrundlage rechtmäßig zu niedrig besteuerte Kapitalerträge in der Einkommensteuererklärung angegeben werden müssen, dann muss dies erst recht für Kapitalerträge gelten, die zu Unrecht der Höhe nach einem zu geringen Steuerabzug vom Kapitalertrag unterlegen haben. Ganz sicher hat der Gesetzgeber nicht beabsichtigt, fehlerhaft zu niedrig besteuerte Kapitalerträge irgendwie zu begünstigen.
Aufklärungs- und Prüfungspflicht des Stpfl.: M.E. besteht für den Stpfl. stets die Pflicht, seine gesamten steuerlichen Verhältnisse zu überprüfen und die maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen ggü. dem FA zu erklären. Dieser Grundsatz gilt auch für sämtliche Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 EStG, die im Privatvermögen erzielt werden. Es ist nicht unangemessen, dem Stpfl. jährlich die Überprüfung der eigenen steuerlichen Verhältnisse auch für private Einkünfte aus Kapitalvermögen aufzuerlegen. A.A. Kühner in HHR, EStG/KStG, § 32d EStG Rz. 67; nach der dort vertretenen Auffassung solle § 32d Abs. 3 EStG keine Anwendung finden für den Fall, dass der Abzugsverpflichtete Kapitalertragsteuer in zu geringer Höhe einbehalten hat. Begründet wird dies damit, dass die Prüfungspflicht für den Stpfl. unangemessen sei.
Beraterhinweis Umsetzung in der Praxis: Bei zu geringem Steuerabzug, reicht es aus, wenn nur der Teil des Kapitalertrags deklariert wird, der (zu Unrecht) nicht dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterlegen hat. In der Praxis dürfte jedoch der vollständige Kapitalertrag deklariert werden und die (teilweise) erhobene Kapitalertragsteuer wird unter den Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG auf die gem. § 32d Abs. 1, 3 EStG festgesetzte ESt angerechnet.