1. Insolvenzverfahren
a) Zivilrechtliche/-prozessuale Grundsätze der zwangsweisen Anspruchsdurchsetzung
Kommen Schuldner außerhalb eines Insolvenzverfahrens ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nach, benötigen Gläubiger zur zwangsweisen Durchsetzung von Ansprüchen grundsätzlich einen vollstreckbaren Titel gegen den Schuldner. Dies können z.B. Endurteile gem. § 704 ZPO oder andere vollstreckbare Titel i.S.d. § 794 ZPO sein.
Wettlauf der Gläubiger: Erwirken parallel mehrere Gläubiger Titel und vollstrecken, geht bei der Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen durch Pfändung das durch frühere Pfändung begründete Pfandrecht dem später begründeten Pfandrecht vor (§ 803 Abs. 2 ZPO). Dieser Grundsatz wird auch als Reihenfolgeprinzip beschrieben. Die Folge ist im normalen Vollstreckungsverfahren ein Wettlauf der Gläubiger.
b) InsO: Ziel der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger
Abweichend von diesen zivilrechtlichen und zivilprozessualen Grundsätzen verfolgt die Insolvenzordnung gem. § 1 S. 1 InsO das Ziel der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger eines Schuldners. Der Wettlauf der Gläubiger wird durch das Insolvenzverfahren beendet.
Der Begriff der gemeinschaftlichen Befriedigung ist nicht als gleichmäßige Befriedigung zu verstehen. Die Verteilung vorhandenen Vermögens und der Umfang der Befriedigung von Gläubigern hängen primär davon ab, ob Gläubiger ihre Ansprüche
- als Insolvenzgläubiger zur Tabelle anmelden oder
- ihre Ansprüche Masseverbindlichkeiten im Insolvenzverfahren begründen.
Innerhalb dieser Gruppen kommt es – ungeachtet von Sonderregelungen – sodann in der Regel zu einer gleichmäßigen Befriedigung.
aa) Eröffnung eines Insolvenzverfahrens
Damit ein Insolvenzverfahren eröffnet werden kann, bedarf es der Stellung eines schriftlichen Antrags gem. § 13 Abs. 1 S. 1 InsO. Neben dem Schuldner sind auch Gläubiger antragsberechtigt (§ 13 Abs. 1 S. 2 InsO). Voraussetzung für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist gem. § 16 InsO, dass ein Eröffnungsgrund gegeben ist. Diese Gründe sind in der Insolvenzordnung benannt (§§ 17 ff. InsO). Allgemeine Eröffnungsgründe sind
wobei letztere nur durch den Schuldner vorgetragen werden kann. Beachten Sie: Bei einer juristischen Person kann die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gem. § 19 Abs. 1 InsO auch bei Überschuldung beantragt werden.
bb) Schrittweiser Ablauf des Insolvenzverfahrens
Der Ablauf des Insolvenzverfahrens gliedert sich in verschiedene Abschnitte.
Vorläufiges Insolvenzverfahren: Bis zur Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens trifft das Amtsgericht als Insolvenzgericht (§ 2 InsO) alle Maßnahmen, um die Gläubiger vor nachteiligen Veränderungen der Vermögenslage des Schuldners zu schützen (vorläufiges Insolvenzverfahren). Im Regelfall
- bestellt das Gericht zu diesem Zweck einen vorläufigen Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 InsO) und
- legt dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auf oder
- das Gericht ordnet an, dass der Schuldner nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam verfügen darf (Zustimmungsvorbehalt durch den vorläufigen Insolvenzverwalter; § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 InsO).
"Starker" vorläufiger Insolvenzverwalter: Spricht das Gericht ein allgemeines Verfügungsverbot aus (§ 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Halbs. 1 InsO) und setzt zugleich einen vorläufigen Insolvenzverwalter ein, spricht man insoweit auch vom "starken" vorläufigen Insolvenzverwalter.
"Schwacher" vorläufiger Insolvenzverwalter: Wird der vorläufige Insolvenzverwalter hingegen ohne parallele Anordnung einer Verfügungsbeschränkung i.S.d. § 21 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 InsO eingesetzt, spricht man vom "schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalter.
Beraterhinweis In der Praxis wird von dieser Möglichkeit nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht. Der Regelfall ist die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts durch den vorläufigen Insolvenzverwalter. In diesem Fall spricht man von dem "halbstarken" Insolvenzverwalter.
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
- endet das vorläufige Insolvenzverfahren und
- die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis geht gem. § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter über.
Verfügungen des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über Gegenstände der Insolvenzmasse sind gem. § 81 Abs. 1 S. 1 InsO unwirksam. Welche Gegenstände zur Insolvenzmasse zählen, normiert § 35 Abs. 1 S. 1 InsO.
Umfang der Anspruchsbefriedigung hängt von Art der Forderung ab: In welchem Umfang Ansprüche bedient werden, hängt neben dem Umfang des vorhandenen Vermögens wesentlich davon ab, ob es sich bei den Forderungen
- um Insolvenzforderungen oder
- um Forderungen gegen die Masse
handelt. Beachten Sie: Aufgrund des Prinzips der Vorwegbefriedigung von Masseforderungen werden Gläubiger entsprechender Masseforderungen in der Regel voll befriedigt, während Insolvenzforderungen nur quotal bedient werden.