Für den hier interessierenden Bereich der Verfahrensaussetzung überrascht oftmals die Chuzpe mancher Strafrichter, in einschlägigen Fällen vorzupreschen statt von den Segnungen des § 396 AO Gebrauch zu machen und eine Verfahrensaussetzung auszusprechen. Von welcher Motivation mögen sie getrieben sein?[11] Natürlich gibt es das Recht des Beschuldigten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG auf ein rechtsstaatliches, faires Verfahren. Und auch Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK und der dort angesiedelte Beschleunigungsgrundsatz gebietet grundsätzlich eine möglichst zügige Durchführung des Strafverfahrens. Dies steht bisweilen auch im öffentlichen Interesse, wenn mit zunehmender zeitlicher Distanz zwischen der Tat und der abschließenden Entscheidung die Qualität der Beweismittel abnehmen kann, z.B. weil die Erinnerung der Zeugen an das Geschehen verblasst oder wenn wegen der durch die Aussetzung verursachten überlangen Verfahrensdauer eine schuldangemessene Verurteilung nicht mehr erfolgen könnte. Der Hinweis auf das Interesse des Beschuldigten (vgl. BVerfG v. 24.11.1983 – 2 BvR 121/83, juris), den die Anhängigkeit eines Strafverfahrens belastet, erscheint uns als unbedeutend, wenn aus seiner Sphäre die Anregung zur Aussetzung des Verfahrens kommt. Die Aussetzung des Steuerstrafverfahrens ist trotz der damit verbundenen Verfahrensverzögerung jedenfalls mit Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK vereinbar, die Wartezeit darf aber "nicht unbegrenzt" sein, so dass insbesondere die Dauer des Verfahrens zu dem Zeitpunkt, zu dem der Aussetzungsbeschluss ergangen ist, zu berücksichtigen ist. Eine bereits erwähnte Situation, nämlich die, dass sich der Beschuldigte in Untersuchungshaft befindet, steht im Regelfall einer Aussetzung entgegen. Und es könnte auch eine Rolle spielen, in welchem Stadium sich das Besteuerungsverfahren befindet. Je näher dessen Ausgang, umso sinnvoller ist eine Aussetzung (vgl. dazu die Zusammenstellung von Hellmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 396 AO Rz. 76 [Okt. 2020]).

Beraterhinweis Es dürfte klargeworden sein: Das "kann" in § 396 Abs. 1 AO sollte eine sorgfältige und gerade nicht eindimensionale Beurteilung der Gesamtsituation in Gang setzen. Gerade der letzterwähnte Aspekt sollte dabei eine maßgebliche Rolle spielen.

[11] Zu den Gründen einer Forcierung des Strafverfahrens vgl. Hellmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 396 AO Rz. 76 (Okt. 2020).

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