Nina Lenz-Brendel, Julia Roglmeier
Die Vorschrift ist eine "Soll-Vorschrift"; eine Verpflichtung des Betreuers und der Ärzte zur Anhörung besteht somit nicht. Nach § 1828 Abs. 2 BGB sollen der Betreuer sowie der behandelnde Arzt zur Feststellung des Patientenwillens nach § 1827 Abs. 1 und Abs. 2 BGB nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Patienten Gelegenheit zur Äußerung geben. Voraussetzung hierfür ist, dass eine Anhörung ohne Zeitverzögerung möglich ist.
2.2.1 Nahe Angehörige
Zu den nahen Angehörigen im Sinne der Vorschrift zählen der Ehegatte oder Lebenspartner des Patienten, seine Kinder, Eltern und Geschwister.
2.2.2 Sonstige Vertrauenspersonen
Unter den Personenkreis der "sonstigen Vertrauenspersonen" fallen Personen, die nicht unbedingt eine verwandtschaftliche Beziehung zum Patienten haben müssen. Es handelt sich um Personen, die in einem besonderen Vertrauensverhältnis zum Patienten stehen. Das können beispielsweise enge Freunde des Patienten sein, aber auch der Pfarrer der örtlichen Gemeinde oder der Hausarzt des Patienten. Auch Pflegekräfte können in diesen Personenkreis fallen. Für die Beurteilung der Frage, ob eine Person als "sonstige Vertrauensperson" des Patienten zu qualifizieren ist, kommt es allein auf das Vertrauensverhältnis an, in der sie zum Patienten steht.
2.2.3 Keine erheblichen Verzögerungen
Weitere Voraussetzung für die Anhörung der in der Vorschrift genannten Personen ist, dass die Anhörung zeitnah erfolgen kann. Betreuer und Ärzte müssen die einzelnen Personen nicht um jeden Preis anhören, sondern können von einer Anhörung absehen, wenn dieselbe nur mit erheblichem Zeitaufwand durchgeführt werden könnte, weil die einzelnen Personen beispielsweise nicht akut erreichbar sind oder sie nicht zeitnah ausfindig gemacht werden können. Hintergrund ist, dass ärztliche Behandlungsmaßnahmen in vielen Fällen eilbedürftig sind und somit die Durchführung der ärztlichen Maßnahmen nicht lange aufgeschoben werden kann, sondern unmittelbar erfolgen muss.
Ärzte und Betreuer müssen die Entscheidung über die Anhörung einzelner Personen in Abhängigkeit von der Dringlichkeit des vorzunehmenden Eingriffs, der Notwendigkeit aufwändiger Personen- oder Anschriftenermittlungen und ihrer Erreichbarkeit treffen.
Hat der Patient in seiner Patientenverfügung niedergelegt, dass bestimmte Personen nicht gehört werden sollen, so hat der Betreuer diesen Wunsch des Patienten zu respektieren und von einer Anhörung abzusehen.
Arzt und Betreuer müssen bei Beratungen mit Dritten auch den Willen des Patienten zur Weitergabe persönlicher krankheitsrelevanter Daten beachten.
2.2.4 Regelungsziel
Regelungsziel der Vorschrift ist es, durch Anhörung von nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Patienten weitere Anhaltspunkte für seinen Patientenwillen zu erhalten. § 1828 Abs. 2 BGB bezieht sich kraft Gesetzessystematik nicht nur auf § 1827Abs. 2 BGB, sondern auch auf § 1827 Abs. 1 BGB. Die Bezugnahme auf § 1827 Abs. 1 BGB ist im Grunde genommen überflüssig, weil § 1827 Abs. 1 BGB ohnehin nur einschlägig ist, wenn eine Patientenverfügung vorhanden ist. Liegt jedoch eine Patientenverfügung vor, steht der Patientenwille bereits fest. Er ergibt sich aus der Verfügung selbst und muss anders als der mutmaßliche Wille des Patienten nicht festgestellt werden.
Allerdings kann es auch im Rahmen des § 1827 Abs. 1 BGB auf den mutmaßlichen Willen des Patienten ankommen. Dies ist der Fall, wenn die Patientenverfügung nicht eindeutig formuliert ist und daher im Wege der Auslegung ermittelt werden muss, was der Patient wollte. Dann kann die Anhörung von nahen Angehörigen und/oder Vertrauenspersonen des Patienten Hilfestellung zur Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Patienten geben. Ist die Patientenverfügung hingegen eindeutig formuliert, ist eine Anhörung von Angehörigen und Vertrauenspersonen des Patienten obsolet. Hier kann die Anhörung allenfalls mit dem Ziel durchgeführt werden, festzustellen, ob die Erklärungen in der Patientenverfügung auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen.