a) Aufklärungspflicht
Die Pflicht zum Handeln ergibt sich für den Steuerpflichtigen regelmäßig aus den Steuergesetzen. In der Praxis besonders häufig vorkommende Aufklärungspflichten ergeben sich z.B. aus § 18 UStG, §§ 56 bis 60 EStDV, § 49 Abs. 1 KStG, § 25 GewStDV, § 19 VStG, § 31 ErbStG, Art. 79 Abs. 3 UZK bzw. aus der AO (z.B. §§ 134, 135, 138, 139, 150, 153, 200 AO; vgl. hierzu Meyer in Gosch, AO/FGO, § 370 AO Rz. 99 [Aug. 2012]). Darüber hinaus ist in der Praxis insb. die Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO als Pflicht i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO zu beachten.
Bei vorsätzlichem Verstoß gegen die Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 AO oder die Anzeigepflicht nach § 153 Abs. 2 AO liegt ab dem Zeitpunkt des Erkennens der objektiv unrichtig abgegebenen Erklärung bzw. des ganz oder teilweisen Wegfalls einer Steuervergünstigung eine Steuerhinterziehung durch Unterlassen vor (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; AEAO zu § 153 Nr. 5.3 Satz 1). Beachten Sie: Neben den strafrechtlichen Folgen ist dabei auch die Verlängerung der Festsetzungsfrist von vier auf zehn Jahre nach § 169 Abs. 2 S. 2 AO von praktischer Bedeutung.
Gesetzliche Grundlage: Wie zuvor dargestellt, ergibt sich die Aufklärungspflicht bzw. Erklärungspflicht für die Umsatzsteuer aus § 18 UStG. Der Unternehmer hat grundsätzlich für jeden Voranmeldungszeitraum sog. Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben, in denen er die Steuer für diesen Zeitraum (Vorauszahlung) selbst zu berechnen hat, vgl. § 18 Abs. 1 S. 1 UStG. Darüber hinaus hat der Unternehmer für das Kalenderjahr die Umsatzsteuerjahreserklärung abzugeben (vgl. Stadie in Rau/Dürrwächter, UStG, § 18 Rz. 21 [Sept. 2020]). Ausgehend von § 18 Abs. 2 S. 1 UStG, wonach der Voranmeldungszeitraum das Kalendervierteljahr ist, bedarf es in unklaren Sachverhalten für die Annahme, dass der Voranmeldungszeitraum gem. § 18 Abs. 2 S. 2 UStG der Kalendermonat ist, tragfähiger Feststellungen zum Voranmeldungszeitraum durch das Gericht (BGH v. 7.9.2016 – 1 StR 57/16, wistra 2017, 158).
Die Aufklärungspflicht nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO korrespondiert regelmäßig mit der Unternehmereigenschaft i.S.d. § 2 UStG; hängt aber auch davon ab, ob und ggf. zwischen welchen Personen Lieferungen und sonstige Leistungen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ausgeführt wurden (Jäger in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 370 Rz. 370b). Darüber hinaus können sich für den gesetzlichen Vertreter bzw. den Vermögensverwalter gem. § 34 UStG und für den Verfügungsberechtigten § 35 UStG (Umsatzsteuerliche-)Erklärungspflichten ergeben.
Organschaft: Im Falle einer umsatzsteuerlichen Organschaft i.S.d. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG treffen den Organträger sämtliche sich aus § 18 UStG ergebenden Erklärungspflichten (BGH v. 19.3.2013 – 1 StR 318/12, wistra 2013, 463; Jäger in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 370 Rz. 370b). Für Personen, die keine Unternehmer sind und Steuerbeträge nach § 6a Abs. 4 S. 2 oder nach § 14c Abs. 2 UStG schulden, besteht ebenfalls gem. § 18 Abs. 4b i.V.m. 4a UStG eine Erklärungspflicht.
b) Möglichkeit und Zumutbarkeit der Pflichterfüllung
Zur Verwirklichung eines strafbaren Unterlassens ist im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO Voraussetzung, dass dem Erklärungspflichtigen die Vornahme der erforderlichen Handlung tatsächlich möglich und zumutbar ist. In der Praxis ist dies grundsätzlich zu bejahen.
Beraterhinweis Ausnahmen können z.B. im Hinblick auf den für das Steuerstrafrecht speziell in § 393 Abs. 1 S. 2 und 3 AO normierten nemo-tenetur-Grundsatz wegen Unzumutbarkeit der Erklärungspflicht bestehen (Jäger in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 370 Rz. 227).
c) Unkenntnis der Finanzbehörde
Darüber hinaus ist nach (wohl) h.M. das ungeschriebene Merkmal der Unkenntnis der zuständigen Finanzbehörde vom Sachverhalt in den Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO hineinzulesen (FG Düsseldorf v. 26.5.2021 – 5 K 143/20 U, wistra 2021, 331; OLG Köln v. 31.1.2017 – 1 RVs 253/16, NZWiSt 2017, 317; OLG Oldenburg v. 10.7.2018 – 1 Ss 51/18, wistra 2019, 79; a.A. Roth, NZWiSt 17, 308; Jäger in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 370 Rz. 60b). Dieses setzt voraus, dass die Finanzbehörde infolge der Aufklärungspflicht gem. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen worden sein muss.
Die Finanzbehörde ist dann nicht in Unkenntnis, wenn der Verkürzungserfolg durch eigenes Tätigwerden der Behörde auf der Grundlage ihres Wissens tatsächlich vermieden werden kann. Die Kenntnis der steuerlich erheblichen Tatsachen muss also so konkret und beweisbar sein, dass sie durch die Finanzbehörde in einer Steuerfestsetzung (evtl. über eine Schätzung nach § ...