1. Anwendungsmöglichkeit von § 105 Abs. 5 FGO
Die vorstehenden Ausführungen gaben einen kurzen Überblick über die Urteilsbegründungspflicht im Allgemeinen und zeigen zum einen die Wichtigkeit dieser für die Prozessbeteiligten, deuten zum anderen jedoch auch bereits die Herausforderungen, denen Finanzgerichte hinsichtlich einer hinreichenden Urteilsbegründung begegnen, an.
Gemäß § 105 Abs. 5 FGO hat das FG die Möglichkeit, dass von einer (weiteren) Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen wird, soweit es der Begründung des Verwaltungsaktes bzw. der Einspruchsentscheidung folgt und dies im Urteil festgestellt wird.
Da in der Praxis dem gerichtlichen Klageverfahren grundsätzlich das außergerichtliche Einspruchsverfahren vorangeht, wird dabei regelmäßig auf den angegriffenen Verwaltungsakt in Gestalt der Einspruchsentscheidung und nicht isoliert auf den Verwaltungsakt selbst abzustellen sein. Im Folgenden wird demnach aus Vereinfachungsgründen von der Einspruchsentscheidung als solcher gesprochen.
In Anwendung von § 105 Abs. 5 FGO ist nach herrschender Ansicht sowohl eine nur teilweise Ersetzung als auch eine vollständige Ersetzung der Entscheidungsgründe durch Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung möglich (a.A. und die vollständige Bezugnahme ablehnend Rauda in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 105 FGO Rz. 119 [08/2023] m.w.N. auf die herrschende Ansicht).
Beispiel:
Der Kläger greift den Einkommensteuerbescheid 2022 an. Streitig ist sowohl, ob das FA weitere Werbungskosten i.H.v. 500 EUR bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu Recht nicht anerkannt hat, als auch, ob Sonderausgaben i.H.v. 1.000 EUR berechtigt nicht berücksichtigt worden sind.
Das FG folgt der Auffassung des FA vollumfänglich und möchte die Klage abweisen.
In den Entscheidungsgründen hat das FG unter Zugrundelegung der herrschenden Ansicht die Möglichkeit, dass es nach § 105 Abs. 5 FGO entweder vollständig Bezug auf die Einspruchsentscheidung des FA nimmt oder aber nur hinsichtlich der Werbungskosten (oder Sonderausgaben), weil es die Begründung des FA in dem anderen Punkte ggf. als nicht ausführlich genug betrachtet und diesbezüglich noch eigene Erwägungen anführen möchte.
Das FG macht sich insoweit damit die Begründung aus der Einspruchsentscheidung, auf die Bezug genommen wird, entweder in Gänze oder nur punktuell zu eigen und muss sich bei der revisionsrechtlichen Überprüfung wegen der Bezugnahme die Ausführungen der Einspruchsentscheidung zurechnen lassen.
2. Sinn und Zweck der Begründungserleichterung
Der Sinn und Zweck der Vorschrift von § 105 Abs. 5 FGO liegt darin, dass den Finanzgerichten in Einzelfällen ermöglicht wird, Entlastung zu schaffen, indem sie auf – aus Sicht des Gerichts inhaltlich sowohl zutreffende als auch erschöpfende – Einspruchsentscheidungen Bezug nehmen können.
So erspart sich das Gericht, wenn es der Einspruchsentscheidung folgen möchte, vermeidbare Formulierungs- und Schreibarbeit, die bei der Abfassung der Entscheidungsgründe ohne § 105 Abs. 5 FGO zwangsläufig anfiele (vgl. dazu die Begründung des Gesetzgebers, BT-Drucks. 12/1061, 19 f.).
3. Praxisprobleme und -fehler bei Anwendung der Begründungserleichterung
a) Konsequenzen eines Begründungsmangels
Wenn das FG nach § 105 Abs. 5 FGO verfährt und dabei ganz oder zum Teil auf eine (eigene) Darstellung der Entscheidungsgründe verzichtet, so kann es diverse Fallkonstellationen geben, die dazu führen, dass das FG-Urteil als nicht mit Urteilsgründen versehen zu betrachten ist.
Die Frage, ob ein FG-Urteil mit Urteilsgründen versehen ist, besitzt – wie bereits eingangs im Beitrag dargestellt – verfahrensrechtlich eine besondere Bedeutung. Ist ein Urteil nämlich nicht begründet, so stellt dies einen absoluten Revisionsgrund i.S.d. § 119 Nr. 6 FGO dar. Dieses wird dann regelmäßig vom BFH aufzuheben und zurückzuverweisen sein, so dass sich der Rechtsstreit wieder zurück in der Tatsacheninstanz befindet.
Typische Fallkonstellationen aus der Praxis, die sich anhand der BFH-Rspr. in Bezug auf § 105 Abs. 5 FGO herausgebildet haben, sollen nachstehend in kompakter Form vorgestellt werden, um Berater für das Vorliegen eines Begründungsmangels zu sensibilisieren.
b) Typische Fallkonstellationen
aa) Formel- und floskelhafte Begründung in der Einspruchsentscheidung
Sofern sich das FG im Zuge von § 105 Abs. 5 FGO seitens des FA in der Einspruchsentscheidung verwendete formel- und floskelhafte Redewendungen in Form von Textbausteinen, die nicht erkennen lassen, welche rechtlichen Erwägungen einzelfallbezogen bei der Entscheidungsfindung vorgenommen worden sind, zu eigen macht, so führt dies dazu, dass das Gerichtsurteil an einem Begründungsmangel i.S.d. § 119 Nr. 6 FGO leidet.
Dieser Sachverhalt lag der BFH-Entscheidung v. 29.7.1992 (II R 14/92) zugrunde, in dem sich das FG folgende Einspruchsentscheidung zu eigen gemacht hat:
"Der Einspruch ist form- und fristgerecht eingelegt. Er ist jedoch nicht begründet. Auch die von Amts wegen vorgenommene Prüfung der Festsetzung der Aussetzungszinsen gem. § 237 AO gibt keinen Anlaß zu einer abweichenden Entscheidung. Für einen Billigkeitserlaß gem. § 227 AO (sachliche und persönliche Unbilligkeitsgründe fehlen) sind die Voraussetzungen nicht gegeben. Der Einspruch war daher als unbegründet zurückzuweisen."
Diese Passagen verdeutlichen, das...