Leitsatz
An der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 bestehen insoweit ernstliche Zweifel, als aufgrund des begrenzten Verlustausgleichs – hier zwischen negativen Einkünften aus Gewerbebetrieb und positiven Einkünften aus Vermietung und Verpachtung – eine Einkommensteuer auch dann festzusetzen ist, wenn dem Steuerpflichtigen von seinem im Veranlagungszeitraum Erworbenen nicht einmal das Existenzminimum verbleibt.
Normenkette
Art. 1 GG , Art. 3 GG , Art. 6 GG , Art. 20 Abs. 1 GG , § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002
Sachverhalt
Die Antragsteller (Eheleute) gaben beide ihre nichtselbstständige Tätigkeit auf und gründeten im Jahr 1997 eine GmbH & Co. KG. Sie sind deren alleinige Kommanditisten und alleinige Gesellschafter und Geschäftsführer der Komplementär-GmbH.
Die KG erwirtschaftete seit der Gründung nur Verluste. Im Streitjahr 1999 wurde ein Verlust von 701.135 DM festgestellt, wovon gem. § 15a EStG nur 564.308 DM sofort ausgleichsfähig waren.
Der Ehemann erzielte 1999 positive Einkünfte aus Vermietung (522.584 DM), die Ehefrau negative (7.258 DM).
Das FA glich die Einkünfte der Antragsteller aus Vermietung und Verpachtung aus und verrechnete entsprechend der Regelung zur Mindestbesteuerung gem. § 2 Abs. 3 EStG die danach verbleibenden positiven Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (515.326 DM) lediglich in Höhe von 364.921 DM mit dem ausgleichsfähigen Verlust aus Gewerbebetrieb. Es ermittelte ein zu versteuerndes Einkommen von 137.023 DM und setzte die Einkommensteuer auf 34.872 DM fest. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1999 lehnte es ab.
Das FG gab dem bei ihm gestellten Aussetzungsantrag statt (EFG 2002, 597).
Entscheidung
Der BFH wies die Beschwerde des FA gegen den Aussetzungsbeschluss des FG als unbegründet zurück. Er hat ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 2 Abs. 3 EStG – und zwar insoweit, als sie dazu führt, dass eine Steuer festzusetzen ist, obwohl den Steuerpflichtigen infolge des tatsächlichen Mittelabflusses von dem im Veranlagungszeitraum Erworbenen nicht einmal das Existenzminimum verbleibt.
Hinweis
1. Der BFH bekräftigt zunächst noch einmal die Grundaussage seines Beschlusses XI B 151/00 vom 9.5.2001 (BFH-PR 2001, 294): Der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit i.S.d. Art. 3 GG wird durch die Mindestbesteuerungsregelung nicht verletzt, weil insoweit lediglich der Verlustausgleich zwischen den verschiedenen Einkunftsarten zeitlich gestreckt wird.
Zudem weist er darauf hin, dass im dortigen Fall die positiven Einkünfte die negativen erheblich überstiegen haben und dass dort die Werbungskosten-Überschüsse auf der Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen (nach dem FördGG) beruht haben.
2. Im Besprechungsfall hingegen standen den positiven Einkünften i.H.v. 515.326 DM höhere sofort ausgleichsfähige Verluste aus Gewerbebetrieb i.H.v. 564.308 DM gegenüber. Bei diesen Verlusten handelt es sich zudem – im Gegensatz zu Sonderabschreibungen – um "echte" Verluste, da sie durch den tatsächlichen Abfluss von Mitteln entstanden sind. Es handelt sich insoweit um typische Anlaufverluste eines neu gegründeten Unternehmens. Das hat zur Folge, dass den Antragstellern von dem im Streitjahr Erworbenen keine verfügbaren Mittel mehr zur Bestreitung ihres Existenzminimums verblieben sind.
3. Wenn aber – so der BFH – die Antragsteller aufgrund der Mindestbesteuerung nach § 2 Abs. 3 GG gleichwohl zur Zahlung einer Einkommensteuer von 34.872 DM herangezogen werden, so liegt darin ein Verstoß gegen das von der Verfassung garantierte Recht der Steuerpflichtigen auf Freistellung des Existenzminimums von der Besteuerung. Denn das BVerfG hat bekanntlich aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG sowie aus Art. 6 GG abgeleitet, dass der Staat dem Steuerpflichtigen von seinem Erworbenen so viel steuerfrei belassen muss, wie er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts und desjenigen seiner Familie benötigt. Der existenznotwendige Bedarf bildet von Verfassungs wegen die Untergrenze für den Zugriff durch die Einkommensteuer (sog. subjektives Nettoprinzip).
4. Die Garantie des steuerfrei zu belassenden Existenzminimums gilt nach Auffassung des BFH in jedem Jahr neu; eine Veranlagungszeitraum übergreifende Betrachtung darf insoweit nicht angestellt werden.
Ebenso wenig kommt es auf die Vermögensverhältnisse eines Steuerpflichtigen an. Das Existenzminimum orientiert sich ausschließlich an dem – typisierend zu ermittelnden – Bedarf für den Lebensunterhalt.
Die der gesetzlichen Regelung zur Mindestbesteuerung in § 2 Abs. 3 EStG zugrunde liegende Annahme, bei positiven Einkünften von mehr als 100.000 DM/51.500 Euro stünden einem Steuerpflichtigen stets ausreichende Mittel zur Deckung des Lebensunterhalts zur Verfügung, ist darum verfassungsrechtlich bedenklich.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 6.3.2003, XI B 76/02