S 1 Allgemeines
[1]Nach § 386 Abs. 1 Satz 2 AO sind die Familienkassen im Zusammenhang mit der Festsetzung von Kindergeld nach dem EStG auch für die Verfolgung und Ahndung von Steuerstraftaten i.S.d. § 369 AO und Steuerordnungswidrigkeiten i.S.d. §§ 378, 379 AO zuständig. [2]Ferner haben die Familienkassen im Strafverfahren im Zusammenhang mit Kindergeld nach dem EStG die gleichen Rechte und Pflichten wie die Finanzämter im Steuerstrafverfahren. [3]Die Familienkassen unterliegen auch bei der Verfolgung von Steuerstraftaten und der Verfolgung und Ahndung von Steuerordnungswidrigkeiten der Fachaufsicht des BZSt.
S 1.1 Gesetzliche Vorschriften
Für die Verfolgung und Ahndung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten sind insbesondere folgende Vorschriften der AO von Bedeutung:
Im Übrigen gelten die allgemeinen Gesetze über das Strafrecht und das Strafverfahren, soweit die Strafvorschriften der Steuergesetze bzw. die Vorschriften der AO nichts anderes bestimmen (§§ 369 Abs. 2, 385 AO), namentlich StGB, JGG, StPO und GVG.
|
2. Ordnungswidrigkeitenrecht: |
Für Steuerordnungswidrigkeiten gelten die Vorschriften des Ersten Teiles des OWiG, soweit die §§ 409 bis 412 AO nichts anderes bestimmen (§ 377 Abs. 2 AO). Im Übrigen gelten die nach § 46 Abs. 1 OWiG sinngemäß anzuwendenden Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der StPO, des GVG und des JGG. § 410 Abs. 1 AO bestimmt darüber hinaus eine entsprechende Anwendung der dort näher bezeichneten strafrechtlichen Sonderbestimmungen der AO.
S 1.2 Verwaltungsanweisungen
[1]Soweit die Besonderheiten des steuerlichen Kindergeldrechts dem nicht entgegenstehen, haben die Familienkassen auch die AStBV (St) 2023 vom 04.01.2023 (BStBl I 2023 S. 103) sinngemäß zu beachten. [2]Im Hinblick auf die den Familienkassen im Rahmen des § 386 AO zugewiesene Zuständigkeit bei Steuerstraftaten sind auch die RiStBV ergänzend heranzuziehen.
S 2 Tatbestände des Steuerstraf- und Steuerordnungswidrig-keitenrechts
S 2.1 Tatbestände des Steuerstrafrechts
[1]Für Familienkassen hat vor allem der Straftatbestand des § 370 AO (Steuerhinterziehung) Bedeutung, der als lex specialis § 263 StGB (Betrug) vorgeht. [2]Zu beachten sind insbesondere § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO (Unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen) und § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO (Pflichtwidriges Unterlassen einer Mitteilung über steuerlich erhebliche Tatsachen). [3]Neben dem objektiven Tatbestand muss auch der subjektive Tatbestand erfüllt sein (vorsätzliches Handeln, vgl. § 15 StGB). [4]Eine Steuerverkürzung liegt auch dann vor, wenn Steuern vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO). [5]Dies gilt auch, wenn Angaben des Berechtigten – etwa zu der Erwerbstätigkeit des Kindes – später überprüft werden sollen. [6]Auf die Dauer des nicht rechtmäßigen Belassens der Vorteile kommt es nicht an. [7]Zum Versuch siehe S 2.4; zur Selbstanzeige siehe S 6.
S 2.1.1 Steuerhinterziehung und Begünstigung
(1) Bei dem Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO handelt es sich um ein Erfolgsdelikt, das voraussetzt, dass der Täter im Zusammenhang mit der Festsetzung von Kindergeld nach Maßgabe der §§ 62 bis 78 EStG vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch nicht gerechtfertigte Steuervorteile (Kindergeld als Steuervergütung) erlangt.
(2) [1]Bei dem Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO handelt es sich um ein Unterlassungsdelikt, bei dem die vorsätzliche Verletzung der Handlungspflicht nach § 68 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 EStG (unterlassene Mitteilung von Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind) zur Folge hat, dass die Kindergeldfestsetzung unrechtmäßig bestehen bleibt. [2]Wenn sich herausstellt, dass bei Änderung des Sachverhaltes die Mitteilungspflicht verletzt wurde, sich aber die Anspruchsgrundlage für die Kindergeldfestsetzung nicht ändert, ist der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht erfüllt.
Beispiel
Stellt sich heraus, dass ein Kind, das seine Lehre abgebrochen hat, ohne dass dies der Familienkasse mitgeteilt wurde, unmittelbar anschließend ein Studium aufgenommen hat, so liegt keine Steuerhinterziehung vor.
[3]Unter den Voraussetzungen des § 68 Abs. 1 Satz 2 EStG kann auch ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, eine Steuerhinterziehung begehen. [4]Zur Abgabe von Strafverfahren gegen Heranwachsende (§ 1 Abs. 2 JGG) vgl. Nr. 154 AStBV (St) 2023. [5]Darüber hinaus ist die Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO zu beachten. [6]Zur Abgrenzung eines bloßen Fehlers zu einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit wird auf den AEAO zu § 153, Nr. 2.5 verwiesen.
(3) [1]Eine Steuerverkürzung liegt nach § 370 Abs. 4 Satz 3 AO auch dann vor, wenn die Steuer aus anderen Gründen hätte...