[1]Für Familienkassen hat vor allem der Straftatbestand des § 370 AO (Steuerhinterziehung) Bedeutung, der als lex specialis § 263 StGB (Betrug) vorgeht. [2]Zu beachten sind insbesondere § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO (Unrichtige oder unvollständige Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen) und § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO (Pflichtwidriges Unterlassen einer Mitteilung über steuerlich erhebliche Tatsachen). [3]Neben dem objektiven Tatbestand muss auch der subjektive Tatbestand erfüllt sein (vorsätzliches Handeln, vgl. § 15 StGB). [4]Eine Steuerverkürzung liegt auch dann vor, wenn Steuern vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden (§ 370 Abs. 4 Satz 1 AO). [5]Dies gilt auch, wenn Angaben des Berechtigten – etwa zu der Erwerbstätigkeit des Kindes – später überprüft werden sollen. [6]Auf die Dauer des nicht rechtmäßigen Belassens der Vorteile kommt es nicht an. [7]Zum Versuch siehe S 2.4; zur Selbstanzeige siehe S 6.
S 2.1.1 Steuerhinterziehung und Begünstigung
(1) Bei dem Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO handelt es sich um ein Erfolgsdelikt, das voraussetzt, dass der Täter im Zusammenhang mit der Festsetzung von Kindergeld nach Maßgabe der §§ 62 bis 78 EStG vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch nicht gerechtfertigte Steuervorteile (Kindergeld als Steuervergütung) erlangt.
(2) [1]Bei dem Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO handelt es sich um ein Unterlassungsdelikt, bei dem die vorsätzliche Verletzung der Handlungspflicht nach § 68 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 EStG (unterlassene Mitteilung von Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind) zur Folge hat, dass die Kindergeldfestsetzung unrechtmäßig bestehen bleibt. [2]Wenn sich herausstellt, dass bei Änderung des Sachverhaltes die Mitteilungspflicht verletzt wurde, sich aber die Anspruchsgrundlage für die Kindergeldfestsetzung nicht ändert, ist der objektive Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht erfüllt.
Beispiel
Stellt sich heraus, dass ein Kind, das seine Lehre abgebrochen hat, ohne dass dies der Familienkasse mitgeteilt wurde, unmittelbar anschließend ein Studium aufgenommen hat, so liegt keine Steuerhinterziehung vor.
[3]Unter den Voraussetzungen des § 68 Abs. 1 Satz 2 EStG kann auch ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, eine Steuerhinterziehung begehen. [4]Zur Abgabe von Strafverfahren gegen Heranwachsende (§ 1 Abs. 2 JGG) vgl. Nr. 154 AStBV (St) 2023. [5]Darüber hinaus ist die Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO zu beachten. [6]Zur Abgrenzung eines bloßen Fehlers zu einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit wird auf den AEAO zu § 153, Nr. 2.5 verwiesen.
(3) [1]Eine Steuerverkürzung liegt nach § 370 Abs. 4 Satz 3 AO auch dann vor, wenn die Steuer aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können (Kompensationsverbot). [2]Ob und in welchem Umfang ein Nachteil entstanden ist, ergibt sich aus dem Vergleich zwischen dem Kindergeld, das aufgrund der unwahren Angaben festgesetzt wurde, und dem Kindergeld, das festzusetzen gewesen wäre, wenn anstelle der unrichtigen die der Wahrheit entsprechenden Tatsachen zugrunde gelegt worden wären.
Beispiel
Hat ein Kindergeldberechtigter für ein Kind, für das ihm Kindergeld zustünde, keinen Antrag gestellt, so kann er nicht geltend machen, dass das für ein anderes Kind zu Unrecht gezahlte Kindergeld hierdurch ausgeglichen werde.
(4) [1]Nach § 369 Abs. 1 Nr. 4 AO begeht eine eigene Steuerstraftat, wer eine Person begünstigt, die eine Steuerstraftat begangen hat, also wer ihr in der Absicht Hilfe leistet, ihr die Vorteile der Tat zu sichern (vgl. § 257 Abs. 1 StGB). [2]Von der Beihilfe (vgl. S 2.1.2.2 Abs. 2) zur Steuerhinterziehung (§§ 370 AO, 27 StGB) unterscheidet sich die Begünstigung darin, dass die Hilfe erst nach der Tat geleistet wird, in der Absicht, dem anderen die Vorteile der Tat zu sichern. [3]Von der Begünstigung sind die Strafvereitelung (§ 258 StGB) bzw. Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) abzugrenzen. [4]Dabei wird die Strafverfolgung oder Strafvollstreckung vereitelt.
Beispiel 1
Ein Dritter stellt eine Bescheinigung für ein Ausbildungsverhältnis aus, obwohl dieses nicht vorliegt, um den Berechtigten in die Lage zu versetzen, Kindergeld zu erhalten. Der Berechtigte legt diese Bescheinigung bei der Antragstellung der Familienkasse vor. Daraufhin setzt die Familienkasse das Kindergeld fest und zahlt es aus.
Der Dritte hat sich der Beihilfe zur Steuerhinterziehung nach §§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, 27 StGB strafbar gemacht.
Beispiel 2
Die Familienkasse hat für das in Ausbildung befindliche Kind Kindergeld festgesetzt und ausgezahlt. Die Ausbildung wurde vorzeitig beendet und andere anspruchsbegründende Voraussetzungen lagen nicht vor. Dies teilte der Berechtigte nicht mit, sodass Kindergeld weitergezahlt wurde. Im Rahmen der abschließenden Prüfung wurde der Familienkasse eine Bescheinigung vorgelegt, in der von einem Dritten ein Ausbildungsverhältnis des Kindes bestätigt...