Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Kommentar
Das BMF-Schreiben ergänzt Abschn. 15.11 UStAE um einen Hinweis auf dieses BMF-Schreiben, inhaltliche Aussagen wurden in den UStAE nicht mit aufgenommen.
Vor mehr als 15 Jahren hatte der EuGH entschieden, dass einem Unternehmer ein sog. Direktanspruch gegen die Finanzverwaltung zustehen kann.
Ein sog. Direktanspruch (Rückzahlung einer rechtsgrundlos an den Leistenden gezahlten Umsatzsteuer) könnte sich dem Grunde nach ergeben, wenn ein Unternehmer einem Leistungsempfänger eine Umsatzsteuer unrichtig in einer Rechnung ausweist, und eine Korrektur – und damit ein Rückzahlung der unrichtig ausgewiesenen Umsatzsteuer – durch den leistenden Unternehmer z. B. aufgrund zwischenzeitlicher Insolvenz nicht erfolgen kann. In diesem Fall kann dem Leistungsempfänger ein solcher Direktanspruch gegen die Finanzverwaltung zustehen. Im Ergebnis soll damit sichergestellt sein, dass sich die Finanzverwaltung nicht an einem solchen Fehler bereichern kann.
Grundsätzlich setzt ein Direktanspruch voraus, dass die Korrektur nicht durch den leistenden Unternehmer vorgenommen werden kann bzw. übermäßig erschwert würde.
Unternehmer A führt eine Leistung gegenüber Unternehmer B aus. Aufgrund eines Irrtums über die Steuerpflicht des Umsatzes berechnet A dem B in einer ansonsten ordnungsgemäß erstellten Rechnung 19 % Umsatzsteuer. Aufgrund einer Außenprüfung bei B wird diesem der Vorsteuerabzug wegen § 14c Abs. 1 UStG (unrichtig ausgewiesene Umsatzsteuer) verwehrt. Da Unternehmer A zwischenzeitlich insolvent ist, kann eine Berichtigung und Rückzahlung der Umsatzsteuer von A an B nicht erfolgen. Soweit A die unrichtig ausgewiesene Umsatzsteuer an sein Finanzamt gezahlt hatte, könnte sich ein Direktanspruch des B gegenüber der Finanzverwaltung ergeben.
In Folge des Urteils des EuGH hatte sich der BFH in verschiedenen Verfahren mit dem Direktanspruch auseinandergesetzt. Die Finanzverwaltung hat nun zu den sich aus ihrer Sicht ergebenden Konsequenzen Stellung genommen:
- Über einen Direktanspruch kann nur im Rahmen eines (separaten) Billigkeitsverfahrens entschieden werden. In diesem Billigkeitsverfahren soll auch ein Mitverschulden des Leistungsempfängers an der Erstellung der falschen Rechnung berücksichtigt werden.
- Der Anspruch auf Erstattung der rechtsgrundlos gezahlten Umsatzsteuer soll regelmäßig zunächst zivilrechtlich gegenüber dem Leistenden geltend gemacht werden.
Die Finanzverwaltung geht regelmäßig von einer von vornherein unmöglichen oder übermäßig erschwerten Erstattung durch den Leistenden nur im Fall eines bereits mangels Masse abgelehnten Insolvenzantrags aus. Die bloße Zahlungsunfähigkeit des Leistenden soll nicht ausreichend sein.
- Solange noch eine Inanspruchnahme des Fiskus durch den Leistenden aufgrund einer Berichtigung nach § 14c Abs. 1 UStG rechtlich möglich ist, kann über einen Direktanspruch nicht entschieden werden. Eine Entscheidung soll deshalb erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens ergehen.
- Ein Direktanspruch soll ausscheiden, wenn der Anspruch gegen den Leistenden nicht mehr durchsetzbar wäre (z. B. wegen zivilrechtlicher Verjährung).
- Bei einer Bruttopreisvereinbarung soll ein Direktanspruch ebenfalls ausscheiden, da insoweit gar kein Anspruch gegen den Leistenden bestehen würde.
- Es muss vom Leistenden tatsächlich eine Leistung erbracht worden sein bzw. bei einer Anzahlungsrechnung der feste Wille auf Leistung bestanden haben. Ein Direktanspruch kann deshalb bei einem unberechtigten Steuerausweis nicht vorliegen.
- Hat der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer nicht entrichtet oder schon im Rahmen einer Berichtigung vom Finanzamt wieder zurückerhalten, scheidet ein Direktanspruch aus.
- Hat der Leistende zwar die Umsatzsteuer angemeldet, aber gleichzeitig Vorsteuer aus Rechnungen Dritter abgezogen, denen keine Leistungen zugrunde liegen, ergibt sich kein Direktanspruch.
Es müssen bei dem Leistungsempfänger ansonsten alle Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug erfüllt sein. Die Rechnung muss alle notwendigen Bestandteile zutreffend – bis auf den Steuerausweis – enthalten. Ist der Leistungsempfänger aber nach § 15 Abs. 2 ff. UStG vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen – z. B. aufgrund eigener steuerfreier Ausgangsleistungen – steht dies einem Direktanspruch nicht entgegen.
Konsequenzen für die Praxis
Ein umfassendes Schreiben der Finanzverwaltung, das viel Schatten und wenig Licht enthält. Positiv ist hervorzuheben, dass die Finanzverwaltung nach mehr als 15 Jahren überhaupt zu der Frage des Direktanspruchs Stellung nimmt. Allerdings überwiegen die Einschränkungen, die hier vorgenommen werden, eindeutig. Da der Unternehmer, der den Direktanspruch geltend machen möchte, die Voraussetzungen gegenüber dem Fiskus nachweisen muss, wird es sich in den meisten Fällen um ein erfolgloses Unterfangen handeln. Insbesondere ist zu beachten, dass der Direktanspruch nur in einem eigenständigen Billigkeitsverfahren geltend gemacht werden soll.