Ewald Dötsch, Thomas Stimpel
8.1 Allgemeines
Tz. 461
Stand: EL 111 – ET: 09/2023
Bis zum 01.07.2004 musste aufgr EU-rechtlicher Vorgaben eine rechtliche und organisatorische Entflechtung (Legal and Organisational Unbundling) von Erdgasnetzbetreibern in nationales Recht umgesetzt werden. Danach müssen Netzbetreiber hinsichtlich ihrer Rechtsform, Organisation und Entsch-gewalt unabhängig von den übrigen Tätigkeitsbereichen über- oder nachgeordneter Energieversorgungsunternehmen sein (s Hummeltenberg/Grube/Behrendt, Versorgungswirtschaft 2005, 173). Da diese Verpflichtung zur Entflechtung regelmäßig Umstrukturierungsmaßnahmen zur Folge hat, enthält § 6 Abs 2 EnWG (Ges v 07.07.2005, BGBl I 2005, 1970; geändert durch Ges v 21.02.2013, BGBl I 2013, 346) stliche Erleichterungen (ebenso hierzu s § 20 UmwStG Tz 105). Die Regelungen des § 6 Abs 2 EnWG gehen als lex specialis denen des § 15 UmwStG vor.
- Nach § 6 Abs 2 S 1 EnWG gelten die in engem wirtsch Zusammenhang mit der rechtlichen oder operationellen Entflechtung eines Verteilnetzes, eines Transportnetzes oder eines Betreibers von Speicheranlagen nach § 7 Abs 1 und §§ 7a–10e EnWG übertragenen WG als Teilbetrieb iSd § 15 Abs 1 S 2 UmwStG. Diese Teilbetriebsfiktion gilt nach § 6 Abs 2 S 2 EnWG nur für diejenigen WG, die unmittelbar auf Grund des Organisationsakts der Entflechtung übertragen werden. Nach § 6 Abs 2 S 3 EnWG gilt auch das iRd Entflechtung durch Abspaltung bei der übertragenden Kö verbleibende Vermögen als zu einem Teilbetrieb gehörig. Nach § 6 Abs 2 S 7 EnWG leistet die Regulierungsbehörde Amtshilfe hinsichtlich der Frage, ob die Voraussetzungen des § 6 Abs 2 S 1 und 2 EnWG vorliegen.
- Nach § 6 Abs 2 S 4 EnWG ist § 15 Abs 2 UmwStG auf Maßnahmen iSd § 6 Abs 2 S 1 EnWG nicht anzuwenden, sofern diese Maßnahmen ergriffen worden sind.
- Nach § 6 Abs 4 EnWG gelten die vorstehenden Sonderregelungen nicht für Unternehmen, die eine rechtliche Entflechtung auf freiwilliger Grundlage vornehmen.
Tz. 462
Stand: EL 111 – ET: 09/2023
Nach § 118 Abs 6 EnWG ist § 6 Abs 2 EnWG bereits ab dem 26.06.2003 anzuwenden. Damit sollen bereits vorgenommene Entflechtungsmaßnahmen stlich nicht benachteiligt werden (s Hummeltenberg/Grube/Behrendt, Versorgungswirtschaft 2005, 173, 174). Die Änderungen durch das Ges v 21.02.2013 sind ab 13.07.2009 anzuwenden (s § 118 Abs 2 EnWG).
8.2 Teilbetriebsfiktion in § 6 Abs 2 S 1 bis 3 EnWG
Tz. 463
Stand: EL 111 – ET: 09/2023
Nach § 15 Abs 1 S 2 UmwStG setzt eine st-neutrale Spaltung das Vorliegen von "Nur-Teilbetrieben" voraus. Da fraglich ist, inwieweit ein Netzbetrieb die Voraussetzungen eines echten Teilbetriebs (s Urt des FG Ba-Wü v 04.11.1998, EFG 1999, 605) erfüllt, enthält § 6 Abs 2 S 1 und 3 EnWG eine Teilbetriebsfiktion. Dazu s auch das nicht veröffentlichte Schr des BMF v 08.05.2006 – Az: IV B2 – S 1909–11/06 (zitiert von Schumacher, in R/H/vL, 3. Aufl, § 15 UmwStG Rn 65ff).
Hummeltenberg/Grube/Behrendt (Versorgungswirtschaft 2005, 173, 174) untersuchen, inwieweit ein Netzbetrieb auch ohne Anwendung der Teilbetriebsfiktion in § 6 Abs 2 S 1 EnWG die Voraussetzungen eines Teilbetriebs erfüllt. Dabei verkennen Hummeltenberg/Grube/Behrendt uE, dass die Teilbetriebseigenschaft nicht aus Sicht der übernehmenden, sondern aus der Sicht der übertragenden Kö zu prüfen ist. So ist es zB unerheblich, ob bei der Übernehmerin eine selbständige Organisation oder eigene Verwaltung besteht; entsch ist, ob diese Voraussetzungen bei der übertragenden Kö erfüllt sind. Demgemäß kann uE – entgegen der Ansicht von Hummeltenberg/Grube/Behrendt (Versorgungswirtschaft 2005, 173, 175) – nicht regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die Übertragung eines Netzbetriebs iRe Entflechtungsakts eine Teilbetriebsübertragung nach allg Grundsätzen darstellt.
Auch ohne Erfüllen der oa Voraussetzungen eines echten Teilbetriebs ist aufgr der Fiktion in § 6 Abs 2 S 1 und 3 EnWG nur für Zwecke des § 15 Abs 1 UmwStG davon auszugehen, dass das übertragene und das iRe Abspaltung zurückbehaltene BV einen Teilbetrieb darstellen.
Tz. 464
Stand: EL 111 – ET: 09/2023
Nach § 6 Abs 2 S 2 EnWG gilt die Teilbetriebsfiktion aber nur für diejenigen WG, die in wirtsch engem Zusammenhang mit der operationellen und rechtlichen Entflechtung sowie unmittelbar auf Grund des Organisationsakts der Entflechtung übertragen werden.
Es sollen somit nur die Umstrukturierungsmaßnahmen durch die Teilbetriebsfiktion begünstigt werden, die durch die Änderungen des EnWG bedingt sind. Eine Begünstigung von Umstrukturierungsmaßnahmen, die nicht durch das EnWG bedingt sind, ist nicht gewollt.
Tz. 465
Stand: EL 111 – ET: 09/2023
UE ist § 6 Abs 2 S 2 EnWG eng auszulegen, da für eine stliche Begünstigung von Umstrukturierungsmaßnahmen über die ges vorgeschriebene Entflechtung hinaus kein Anlass besteht. Die Anwendung des § 6 Abs 2 S 1 EnWG setzt einen Veranlassungszusammenhang zwischen der Übertragung und der Entflechtung voraus. Huse/Hinrichs/Leipnitz (Versorgungswirtschaft 2004, 273) bejahen das Vorliegen der Voraussetzungen für WG, die den Sparten Strom und Gas zuzuordnen sind. UE kann diese Abgrenzung zu weitgehe...