Tz. 96
Stand: EL 46 – ET: 10/2002
Hat der Veräußerer für nichtsteuerbare Leistungen iR einer Geschäftsveräußerung im Ganzen USt zu Unrecht gesondert ausgewiesen, steht dem Erwerber (übernehmende Kap-Ges) aus diesen Leistungen – vorbehaltlich des § 15 Abs 2 UStG – der Vorsteuerabzug (bis zu einer Rechnungsberichtigung) zu, wenn die Rechnung bis zum 06.11.1988 eingegangen ist (s Urt des BFH v 29.10.1987, BStBl II 1988, 508; Vfg der OFD Saarbrücken v 17.02.1995, DStR 1995, 849).
Nach geänderter Rspr des BFH setzt der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs 1 Nr 1 S 1 UStG bei (EU-)richtlinienkonformer Auslegung voraus, dass eine St für den berechneten Umsatz geschuldet wird (s Urt des BFH v 02.04.1998, BStBl II 1998, 695). Dies bedeutet, dass die vom leistenden Unternehmer nur auf Grund des § 14 Abs 2 UStG (wegen unberechtigten St-Ausweises) geschuldete St nicht zum Vorsteuerabzug führt. Die Fin-Verw wendet diese Rspr-Änderung aus Vertrauensschutzgründen erst für Rechnungen an, die nach dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des BFH-Urteils im BStBl II am 06.11.1998 beim Leistungsempfänger eingegangen sind (s Schr des BMF v 23.12.1998, UR 1999, 83; VfG der OFD Nürnberg v 18.01.1999, UVR 1999, 200 und OFD Frankfurt/M v 16.03.1999, UR 1999, 345). Diese über die allgemeinen Vertrauensschutzregelungen bei Änderung einer höchstrichterlichen Rspr (§ 176 AO) hinausgehende Handhabung der Fin-Verw ist aus Sicht betroffener Unternehmer sicherlich positiv einzuschätzen. Denn die stverschärfende Auslegung des BFH zum Vorsteuerabzug hätte grds auf alle erstmaligen St-Festsetzungen angewandt werden können (s Bock, UVR 1999, 278). Gegen die geänderte BFH-Rspr bestehen aber auch grundlegende rechtssystematische Bedenken: Nach bisher einhelliger Auff kann sich der Unternehmer unmittelbar auf eine im UStG fehlende Regelung der 6. EG-Richtlinie berufen, wenn diese sich zu seinen Gunsten auswirkt (s Klenk in Sölch/Ringleb/List, UStG, vor § 1 Tz 16 ff mwNachw). Andererseits darf er jedoch auf den Bestand einer für ihn günstigen nicht richtlinienkonformen Bestimmung des UStG vertrauen; ein Anwendungsvorrang der EG-Richtlinie besteht in derartigen Fällen nämlich nicht (s Urt des BFH v 08.10.1991, BStBl II 1992, 209 und v 19.05.1993, BStBl II 1993, 779). Der Mitgliedstaat als Adressat der EG-Richtlinie muss sich die unterlassene gesetzgeberische Umsetzung zurechnen lassen. Dies gilt auch im vorliegenden Fall, in dem der Gesetzgeber eine Art 17 Abs 2 Buchst a der 6. EG-Richtlinie entspr Regelung in § 15 UStG versäumt hat (so ausdrücklich noch Urt des BFH v 19.05.1993, BStBl II 1993, 779 für den Fall eines zu hohen St-Ausweises in einer Gutschrift). Denn nach dem Wortlaut des § 15 Abs 1 Nr 1 S 1 UStG wird ein Vorsteuerabzug nicht nach der vom BFH (s Urt des BFH v 02.04.1998, BStBl II 1998, 695) aufgestellten Anforderung, dass die USt für den berechneten Umsatz geschuldet wird, abhängig gemacht.