Leitsatz
1. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nicht vor, wenn die Hauptwohnung, d.h. der "eigene Hausstand" i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG, ebenfalls am Beschäftigungsort belegen ist.
2. Die Hauptwohnung ist i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG am Beschäftigungsort belegen, wenn der Steuerpflichtige von dieser seine Arbeitsstätte in zumutbarer Weise täglich erreichen kann. Die Entscheidung darüber obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch das FG.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 Nr. 5, § 12 Nr. 1 EStG
Sachverhalt
Der Kläger wohnte mit seiner Familie in B. Sein Arbeitsplatz lag in A. Dort unterhielt er auch eine Zweitwohnung, von der er an 178 Tagen seine Arbeitsstätte aufsuchte. In der Einkommensteuererklärung 2013 machte er u.a. – vergeblich – Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung geltend. Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das FG ab. Eine steuerlich anzuerkennende doppelte Haushaltsführung liege nicht vor. Der Kläger könne von seiner Hauptwohnung in B seine Arbeitsstätte in A in zumutbarer Weise täglich aufsuchen. Der Ort des eigenen Hausstands und der Beschäftigungsort i.S.v. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG fielen damit nicht auseinander. Erst- und berufliche Zweitwohnung seien vielmehr am Beschäftigungsort belegen. In einem solchen Fall komme eine doppelte Haushaltsführung nicht in Betracht (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 16.6.2016, 1 K 3229/14, Haufe-Index 9598494, EFG 2016, 1423).
Entscheidung
Die Revision des Klägers wies der BFH aus den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen als unbegründet zurück.
Hinweis
1. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Orts, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG).
2. Der Ort des eigenen Hausstands und der Beschäftigungsort müssen demnach auseinanderfallen (z.B. BFH, Urteil vom 8.10.2014, VI R 16/14, BFH/NV 2015, 393, BFH/PR 2015, 119; BFH, Urteil vom 7.5.2015, VI R 71/14, BFH/NV 2015, 1240). Deshalb liegt keine steuererhebliche doppelte Haushaltsführung vor, wenn sowohl die Haupt- als auch die Zweitwohnung am Beschäftigungsort belegen sind.
3. Nach allgemeiner Meinung ist der Begriff des Beschäftigungsorts weit auszulegen. Insbesondere ist darunter nicht nur die nämliche politische Gemeinde, in der die Arbeitsstätte (jetzt: erste Tätigkeitsstätte) liegt, zu verstehen. Deshalb ist eine Wohnung am Beschäftigungsort belegen, wenn der Arbeitnehmer von dort üblicherweise täglich zu seiner Arbeitsstätte fahren kann (z.B. BFH, Urteil vom 19.4.2012, VI R 59/11, BFH/NV 2012, 1378, BFH/PR 2012, 306; BFH, Urteil vom 26.6.2014, VI R 59/13, BFH/NV 2015, 10).
4. Die Entscheidung darüber, ob die Wohnung so zur Arbeitsstätte gelegen ist, dass der Arbeitnehmer in zumutbarer Weise täglich von dort seine Arbeitsstätte aufsuchen kann, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch das FG. Denn die Antwort darauf kann nur aufgrund der Berücksichtigung und Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls gegeben werden und ist insbesondere von den individuellen Verkehrsverbindungen und Wegezeiten zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte abhängig. Dabei ist naturgemäß die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ein wesentliches, allerdings kein allein entscheidungserhebliches Merkmal.
5. Nach diesen Maßstäben ist die Würdigung des FG, der Kläger habe seine regelmäßige Arbeitsstätte in A von seiner Wohnung in B aus (Entfernung 36 km) in zumutbarer Weise täglich aufsuchen können, zumindest möglich und damit revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das FG hat die Fahrzeit für diese Wegstrecke mit dem Pkw einschließlich eines Zeitzuschlags aufgrund von Staulagen zu den Hauptverkehrszeiten "im Bereich von einer Stunde" geschätzt (§ 162 AO i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Fahrzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln hat das FG mit durchschnittlich 1:05 bis 1:11 Stunden festgestellt. Unter den Bedingungen einer Großstadt und deren Einzugsbereich sind solche Fahrzeiten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte üblich und ohne Weiteres zumutbar. Das FG hat daher zu Recht entschieden, dass (auch) die Wohnung des Klägers in B am Beschäftigungsort belegen war.
"Zumutbarkeit" ausschlaggebend
Liegen sowohl Haupt- als auch berufliche Zweitwohnung beide nahe zur regelmäßigen Arbeitsstätte / ersten Tätigkeitsstätte, etwa in der nämlichen politischen Gemeinde oder deren Einzugsbereich, kommt eine steuererhebliche doppelte Haushaltsführung daher nur in Betracht, wenn ausnahmsweise ein tägliches Pendeln von der Hauptwohnung nach dem Arbeitsplatz nicht zumutbar erscheint.
6. D...