Leitsatz
1. Die nach § 25 Abs. 3a S. 1 Nr. 1.4 MinöStG 1993 gewährte und aus wettbewerbspolitischen Gründen eingeführte Mineralölsteuerbegünstigung für den Unterglasanbau stellt eine selektive steuerliche Maßnahme und damit eine Beihilfe i.S.v. Art. 87 Abs. 1 EG dar.
2. Die Rückgängigmachung einer gemeinschaftsrechtswidrigen Beihilfegewährung ist aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls geboten, sodass selbst die Annahme einer damit verbundenen echten Rückwirkung gerechtfertigt und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden wäre.
3. Hat die Bundesregierung die erforderliche Notifizierung einer Beihilfe unterlassen und dadurch das in Art. 88 EG vorgeschriebene Verfahren nicht eingehalten, kann ein beihilfebegünstigtes Unternehmen auf die Ordnungsmäßigkeit der ihm gemeinschaftsrechtswidrig gewährten Beihilfe grundsätzlich nicht vertrauen.
4. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gebietet es, bei der Rückforderung gemeinschaftsrechtswidrig gewährter Verbrauchsteuer-Beihilfen § 169 AO unangewendet zu lassen.
Normenkette
Art. 87 Abs. 1, Art. 88 Abs. 3, Art. 230 EG, Art. 14 Abs. 3 VO Nr. 659/1999, VO Nr. 794/2004, VO Nr. 1860/2004, § 169 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO, § 3 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 25 Abs. 3a S. 1 Nr. 1.4 MinöStG 1993
Sachverhalt
Einem Unternehmen ist für das von ihm zur Beheizung der Gewächshäuser eingesetzte Heizöl vom HZA für die Jahre 2001 bis 2004 eine Vergütung nach § 25 Abs. 3a S. 1 Nr. 1.4 MinöStG 1993 gewährt worden. Die Entscheidung über die für die Jahre 2005 und 2006 beantragte Vergütung stellte das HZA zunächst unter Hinweis auf das von der Bundesregierung bei der Europäischen Kommission eingeleitete Genehmigungsverfahren zurück.
Die Kommission hat entschieden, dass die in § 25 Abs. 3a S. 1 Nr. 1.4 MinöStG 1993 ohne die erforderliche Notifizierung getroffene Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist, soweit die Steuerermäßigung über das ursprüngliche Steuerniveau von 40,90 Euro/1000 Liter Heizöl hinausging. Das HZA forderte daraufhin die Mineralölsteuervergütung für die Jahre 2001 bis 2004 sowie Zinsen zurück und setzte die Vergütung für die Jahre 2005 und 2006 entsprechend dieser Entscheidung fest.
Entscheidung
FG (FG Hamburg, Beschluss vom 05.09.2008, 4 V 180/08, Haufe-Index 2079145) und BFH haben AdV des Rückforderungsbescheids aus den oben erläuterten Gründen abgelehnt.
Hinweis
Eine Steuervergünstigung, die den Wettbewerbsvorteil anderer Unternehmer bei den Heizkosten ausgleichen soll, ist eine Beihilfe i.S.v. Art. 87 Abs. 1 EG. Nach Art. 14 Abs. 3 VO Nr. 659/1999 musste folglich die Rückforderung der Steuervergünstigung unverzüglich erfolgen, die Vollstreckung der Kommissionsentscheidung, welche die Steuervergünstigung unangefochten als rechtswidrig beurteilt hatte, vollzogen werden. Einer vorherigen Änderung des MinöStG 1993, der der Rückwirkungseinwand hätte entgegengehalten werden können, bedurfte es nicht. Denn der ohne Notifizierung eingeführten Steuervergünstigung haftete von vornherein der Makel der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit an. Dieser Makel war für das Unternehmen nach dem Urteil des BFH auch erkennbar; auf Unkenntnis des Beihilferechts kann sich dieses nämlich nicht berufen.
Überdies meint der BFH, die Rückgängigmachung der gemeinschaftsrechtswidrigen Beihilfe sei aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls geboten, also unbeschadet einer etwaigen Rückwirkung zulässig!
Festsetzungsverjährung (§ 169 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO) steht der Rückforderung der Beihilfe nicht entgegen. Denn ein Mitgliedstaat ist selbst dann zur Rückforderung einer Beihilfe verpflichtet, wenn er die nach nationalem Recht im Interesse der Rechtssicherheit dafür bestehende Ausschlussfrist hat verstreichen lassen (EuGH-Urteil in Slg. 1997, I-1591). Die Anwendung einer Festsetzungsfrist von nur einem Jahr würde dazu führen, dass die Rückforderung einer mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbaren Beihilfe – insbesondere in Fällen, in denen das Notifizierungsverfahren nach Art. 88 Abs. 3 EG unterlassen worden ist – wesentlich erschwert oder sogar unmöglich gemacht würde. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gebietet es, in diesen Fällen § 169 AO gem. § 1 Abs. 1 S. 2 AO unangewendet zu lassen.
Nationale Verfahrensvorschriften, wie z.B. solche zur über AdV, müssen im Übrigen unangewendet bleiben, wenn ihre Beachtung zu einer erheblichen Verzögerung der Rückforderung einer Beihilfe und damit zu einer Perpetuierung des unzulässigen Wettbewerbsvorteils führen würde (EuGH, Urteil vom 05.10.2006, C-232/05, Slg. 2006, I-10071).
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 30.01.2009 – VII B 180/08