Leitsatz
Erlangt das FA erst mehr als drei Jahre nach Steuerentstehung Kenntnis von einer vollzogenen Schenkung i.S.d. § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO, beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahrs der Kenntniserlangung.
Normenkette
§ 169 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 1, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO
Sachverhalt
Die Klägerin veräußerte 1991 nach Auffassung des FA zu einem überhöhten Preis Aktien an eine GmbH, deren Geschäftsführer ihr Vater war. Von dem Vorgang erfuhr das FA erst 1995. Der noch 1995 ergangenen Aufforderung, eine Schenkungsteuer-Erklärung abzugeben, kam die Klägerin nicht nach.
Daher setzte das FA mit Bescheid vom April 2001 die Schenkungsteuer im Schätzungsweg gegen die Klägerin fest. Es war der Ansicht, der nach § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO zu bestimmende Anlauf der Festsetzungsfrist sei nicht mit Ablauf des Jahrs 1995 eingetreten, sondern wegen des Einleitungssatzes des Abs. 5 erst mit Ablauf des Jahrs 1998.
Dagegen wandte die Klägerin ein, die Festsetzungsfrist habe bereits mit Ablauf des Jahrs 1995 begonnen. Das FG (EFG 2006, 470) und der BFH gaben ihr recht.
Entscheidung
Soweit nach dem Wortlaut des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO unter Berücksichtigung seines Eingangssatzes die Festsetzungsfrist nach Abs. 2 der Vorschrift "nicht vor" Ablauf des Kalenderjahrs beginnt, in dem das FA von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat, erschöpft sich diese Regelung in der Anordnung eines späteren Beginns der Festsetzungsfrist. Nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs nach dem Jahr der Steuerentstehung.
Dem Abs. 5 Nr. 2 der Vorschrift kommt daher nur dann Bedeutung zu, wenn das FA erst nach Ablauf dieses dritten Kalenderjahrs die Kenntnis von der vollzogenen Schenkung erlangt hat. Dann aber beginnt mit Ablauf des Jahrs der Kenntniserlangung sofort die Festsetzungsfrist.
Für ein (nochmaliges) Dazwischenschalten einer wie auch immer aus Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift entlehnten dreijährigen Anlaufhemmung mit der Folge, dass dem FA nach dem Jahr der Kenntniserlangung stets sieben Jahre Zeit bleiben, die Schenkungsteuer festzusetzen, ist kein Raum.
Hinweis
Bezüglich der Schenkungsteuer enthält § 170 AO zwei Tatbestände der Anlaufhemmung.
Zum einen gilt auch für die Schenkungsteuer die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO, wonach dann, wenn eine Steuererklärung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs der Steuererklärung oder der Anzeige die Festsetzungsfrist beginnt, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs nach dem Jahr der Steuerentstehung. Abs. 5 Nr. 2 regelt eine weitere Anlaufhemmung, indem er den Fristbeginn an den Ablauf des Jahrs anknüpft, in dem das FA von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat.
Bestünden die beiden Tatbestände selbstständig nebeneinander – d.h. ohne Bezugnahme aufeinander – wäre klar, dass derjenige mit dem späteren Fristbeginn zum Tragen käme.
Das ist der Tatbestand des Abs. 5 Nr. 2 nur in den Fällen, in denen das FA die Kenntnis erst nach Ablauf des dritten Kalenderjahrs nach dem Jahr der Steuerentstehung erlangt hat.
Die beiden Tatbestände bestehen jedoch nicht eigenständig nebeneinander. Der Tatbestand des § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO nimmt vielmehr auf den des Abs. 2 Nr. 1 der Vorschrift Bezug. Er ordnet nämlich an, die Festsetzungsfrist nach Abs. 2 solle nicht vor Ablauf des Jahrs der Kenntniserlangung beginnen.
Damit wird die Anlaufhemmung des Abs. 5 Nr. 2 zu einer Modifizierung derjenigen nach Abs. 2 Nr. 1. Auch bei Anwendung des Abs. 5 Nr. 2 handelt es sich gesetzestechnisch um eine Anlaufhemmung nach Abs. 2 Nr. 1.
Im Ergebnis ändert sich aber durch die Bezugnahme des Abs. 5 Nr. 2 auf Abs. 2 Nr. 1 gegenüber einem bezugslosen Nebeneinander beider Tatbestände nichts.
Die Bezugnahme ist insoweit überflüssig, weil ohnehin die weiterreichende Anlaufhemmung eingreifen würde.
Daraus aber nun den Schluss zu ziehen, der Bezugnahme des Abs. 5 Nr. 2 auf Abs. 2 Nr. 1 sei dergestalt zu einem eigenen Regelungsgehalt zu verhelfen, dass nach Abs. 5 Nr. 2 mit Ablauf des Jahrs der Kenntniserlangung – sofern diese erst später als drei Jahre nach Steuerentstehung erfolgt – nicht sofort die Festsetzungsfrist beginnt, sondern zunächst eine (weitere) Phase dreijähriger Anlaufhemmung Platz greift, wäre mit dem Wortlaut des Abs. 5 Nr. 2 nicht vereinbar.
§ 170 Abs. 5 Nr. 2 AO lautet nun mal dahin, dass die Festsetzungsfrist nach Abs. 2 bei einer Schenkung nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs beginnt, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat.
Davon, dass mit Ablauf des Jahrs der Kenntniserlangung eine (nochmalige) Phase dreijähriger Anlaufhemmung beginnen soll, ist nicht die Rede.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 06.06.2007, II R 54/05