I. Überblick
Rz. 344
Zur skizzenhaften Darstellung der historischen Entwicklung wird auf die Darstellung Vor § 95 BewG Rz. 183 bis 186 verwiesen.
Rz. 345
Das ErbStRG v. 4.11.2016 hat das Bewertungsgesetz als solches im Wesentlichen unverändert gelassen. Allerdings wurden der im Rahmen des vereinfachten Ertragswertverfahrens maßgebende Kapitalisierungsfaktor in § 203 Abs. 1 BewG n.F. rückwirkend auf den 1.1.2016 auf 13,75 festgeschrieben und begrenzt sowie eine Ermächtigungsgrundlage für die Finanzverwaltung geschaffen, den Kapitalisierungsfaktor an ein sich veränderndes Zinsumfeld anzupassen. Nach § 203 Abs. 1 BewG a.F. setzte sich der anzuwendende Kapitalisierungszinssatz aus einem Basiszinssatz und einem (Risiko-)Zuschlag von 4,5 % zusammen. Der Basiszinssatz war aus der langfristig erzielbaren Rendite öffentlicher Anleihen abzuleiten, der von der Deutschen Bundesbank jährlich auf den ersten Börsentag errechnet und vom BMF im Bundesteuerblatt veröffentlicht wird (näher dazu in § 203 Abs. 2 BewG a.F.). Der Kapitalisierungsfaktor entsprach gemäß § 203 Abs. 3 BewG a.F. dem Kehrwert des Kapitalisierungszinssatzes.
Rz. 346
Infolge der Niedrigzinspolitik der EZB stieg der Kapitalisierungsfaktor in den Jahren 2008 bis 2016 von ca. 11 auf 18 an mit der Folge, dass die deutschen Unternehmen auch bei gleichbleibenden Umsätzen und Erträgen stetig an Wert gewannen und Überbewertungen von 50 % bis 60 % hervorgerufen wurden.
Um dieser Überbewertung entgegenzuwirken, hat der Gesetzgeber des ErbStRG v. 4.11.2016 den Kapitalisierungsfaktor in § 203 Abs. 1 BewG n.F. auf 13,75 festgeschrieben, was einem (fixen) Kapitalisierungszinssatz von 7,27 % (100/13,75) entspricht und unter sonst gleichen Umständen im Jahr 2016 zu einer Minderung der Unternehmenswerte von ca. 23 % führt (13,75/17,86 = 76,98).
Zu den Einzelheiten vgl. die Kommentierung zu § 203 BewG n.F.
Rz. 347
Zu den weiteren Kernpunkten des ErbStRG v. 4.11.2016 wird auf die Erläuterungen zur Einf. ErbStG Rz. 31 und Vor § 95 BewG Rz. 193 ff. hingewiesen.
Rz. 348– 352
Einstweilen frei
II. Kritische Würdigung
Rz. 353
Leider hat der Gesetzgeber einmal mehr die Chance vertan, auf die speziellen Steuerverschonungen (insb. der §§ 13a, 13b, 13c, 28 und 28a ErbStG n.F.) zu verzichten und stattdessen einen für sämtliche Steuerpflichtige flachen Steuertarif einzuführen. Vielmehr richtete er (erneut) sein Hauptaugenmerk auf die Verschonung des (Betriebs-)Vermögens von sog. Familienunternehmen.
Rz. 354
In dem Bemühen, die in dem bisherigen Verschonungsinstrumentarium durch das BVerfG und – schon im Vorfeld – durch den BFH aufgezeigten und verfassungsrechtlich beanstandeten Fehler und Lücken zu beseitigen, hat der Gesetzgeber in einem langwierigen und zähen Gesetzgebungsverfahren im Kompromissweg ein äußerst kompliziertes und komplexes Regelungsgefüge der "Verschonungssubventionen" geschaffen, das sich über fünf Paragrafen (§§ 13a, 13b, 13c, 28 und 28a BewG n.F.) mit insgesamt 35 Absätzen und fast 37.000 Textzeichen erstreckt und einen "Regelungswirrwarr von Ausnahmen, Rückausnahmen und Rückrückausnahmen" kreiert, der selbst für Fachleute kaum noch überschaubar und beherrschbar ist.
Rz. 355
Der in § 13b Abs. 4 ErbStG n.F. vom Gesetzgeber unternommene Versuch, mit der Kategorie des "Verwaltungsvermögens" eine Separierung des unschädlichen "produktiven" Vermögens vom prinzipiell schädlichen "nicht produktiven" Vermögen herbeizuführen, wird von Teilen der Literatur in ihrer Sinnhaftigkeit generell in Frage gestellt. Als besonders schwierig erweist sich zudem die Zuordnung von Schulden nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 Satz 1 und Abs. 2 ErbStG n.F. Auch besteht die Gefahr, dass das Verschonungsinstrumentarium den (unentgeltlichen) Erwerber von Betrieben und gleichgestellten Beteiligungen zu allein steuerinduzierten und ökonomisch sinnwidrigen (beharrenden) Fehlentscheidungen verleitet, indem er sich ausschließlich auf die Erlangung und Bewahrung der Steuervergünstigungen fokussiert. Das kann sich insb. dann als "Danaer-Geschenk" erweisen, wenn das betreffende Unternehmen innerhalb der "Wohlverhaltensfrist" ungewollt und unverschuldet in eine finanzielle Krise gerät.
Rz. 356
Angesichts dieses Befunds gelangt Seer zu dem Ergebnis, dass die Neuregelung des Verschonungsinstrumentariums in den §§ 13a, 13b. 13c, 28 und 28a BewG n.F. weder gleichheitskonform ausgestaltet noch ihren Buchstaben gemäß vollziehbar sei. Sie führe daher im Ergebnis zu willkürlichen Steuerlasten. Eine kleine g...