Rz. 1
Das Problem der Bewertung von Wirtschaftsgütern für Steuerzwecke trat in seiner Gesamtbedeutung erst auf, nachdem seit der Steuerreform durch Miquel (1893) die damaligen Steuergläubiger – Reich, Länder und Gemeinden – dazu übergingen, auch das Vermögen zur Besteuerung heranzuziehen. Es dauerte allerdings noch längere Zeit, bis die Bedeutung und die Schwierigkeiten der steuerlichen Bewertung in vollem Umfang erkannt wurden. Die Probleme ergaben sich vor allem aus dem Fehlen einheitlicher Vorschriften und Anweisungen über die Wertermittlung. Solche Regelungen fanden sich lediglich in den einzelnen Steuergesetzen, so dass oftmals ein und derselbe Gegenstand für die verschiedenen Steuern mit divergierenden Werten angesetzt wurde. Speziell beim Grundbesitz bestand die Schwierigkeit der Wertermittlung in der Schätzung des als deren Grundlage herangezogenen Ertrags. In dieser Hinsicht gewann die Einführung eines Grundstückskatasters erhebliche Bedeutung.
Rz. 2
Durch das Preußische Ergänzungssteuergesetz vom 14.7.1893 wurde erstmals eine laufende Steuer vom Vermögen in Deutschland eingeführt. Mit diesem Gesetz sollte die größere steuerliche Leistungsfähigkeit der Vermögensinhaber durch eine zusätzliche steuerliche Belastung des Vermögens erfasst werden. Näheres zur Geschichte der Erbschaft- und Schenkungsteuer von Esskandari, Einf. ErbStG Rz. 10 ff.
Rz. 3
Seit 1906 wurde auf Reichsebene eine Erbschaftsteuer erhoben. Im Jahr 1913 folgte die Einführung eines einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrags sowie – durch das Besitzsteuergesetz vom 3.7.1913 – eine regelmäßig wiederkehrende Abgabe vom Vermögenszuwachs. Angesichts der Tatsache, dass aufgrund des Wehrbeitragsgesetzes erstmals eine Vermögensfeststellung im damaligen ganzen Reichsgebiet erforderlich geworden war, wurde es als besonders misslich empfunden, dass keine brauchbaren Werte für die Bemessung der Abgabe existierten. Es mussten deshalb in diesem Gesetz selbst besondere Vorschriften über die Ermittlung der steuerpflichtigen Vermögenswerte aufgenommen werden. Diese Bestimmungen lehnten sich weitgehend an bestehende landesrechtliche Regelungen an. Obgleich die sog. Wehrbeitragswerte auf diese Weise nach einheitlichen Grundsätzen ermittelt wurden, kam es – insb. beim Grundbesitz – zu ungleichmäßigen Bewertungen. Die Wehrbeitragswerte wurden in der Folgezeit mangels geeigneterer Vorgaben auch für andere Steuern verwendet.
Rz. 4
Die Reichsabgabenordnung vom 13.12.1919 unternahm in ihrer ursprünglichen Fassung nur einen unvollkommenen Versuch, allgemeine Grundsätze zur Wertermittlung aufzustellen. Dies schien umso misslicher, als in der Folgezeit das erste Vermögensteuergesetz des Reichs vom 8.4.1922 und kurz darauf das zweite Vermögensteuergesetz vom 19.12.1923 erlassen wurden. Zwar enthielt das zweite Vermögensteuergesetz gegenüber dem Wehrbeitragsgesetz und der Reichsabgabenordnung präzisere Bewertungsvorschriften. Diese beseitigten aber nur die größten Lücken und Ungleichmäßigkeiten der früheren Regelungen.
Rz. 5
Zu dieser Zersplitterung und Uneinheitlichkeit der Vorschriften über die Bewertung des Vermögens trat hinzu, dass in einigen Ländern die Realsteuern, vor allem die Grund- und Gebäudesteuern sowie teilweise auch die Gewerbesteuer, nach dem Wert der Steuergegenstände bemessen wurden.
Rz. 6
Vor diesem Hintergrund konnte es nicht verwundern, dass das Bedürfnis nach einer Vereinheitlichung und Zentralisierung der Bewertungsvorschriften als immer dringlicher empfunden wurde und schließlich zur Schaffung des Bewertungsgesetzes vom 10.8.1925 führte.