Sachverhalt
Bei dem französischen Verfahren ging es um die Frage, ob der Diebstahl von Waren, die sich in einem Zolllagerverfahren befinden, einen Einfuhrtatbestand gemäß Art. 71 MwStSystRL darstellen kann. Die französische Zollverwaltung setzte nach einem bewaffneten Raub, bei dem nach dem Zolllagerverfahren eingelagerte Waren gestohlen wurden, die Entrichtung der auf diese Waren entfallenden Zölle und EUSt fest.
Das vorinstanzliche Gericht hatte den Erhebungsbescheid hinsichtlich der Zölle mit dem Hinweis aufgehoben, dass Art. 206 ZK von der französischen Verwaltung so ausgelegt werde, als sei der Diebstahl der Zerstörung oder dem unwiederbringlichen Verlust im Sinne von Art. 206 ZK gleichzusetzen, und dass diese Rechtsauffassung den Kläger von der Zollschuld befreie, wenn er nachweise, dass der unwiederbringliche Verlust, im vorliegenden Fall der Diebstahl, auf höhere Gewalt zurückzuführen sei.
Die französische Zollverwaltung warf der Vorinstanz vor, nicht geprüft zu haben, ob der EuGH nicht mit dem Urteil v. 5.10.1983, verb. Rs. 186/82 und 187/82 (Esercizio Magazzini Generali und Mellina Agosta, Slg. 1983, 2951) entschieden habe, dass der Diebstahl von zollpflichtigen Waren die Zollpflicht nicht erlöschen lasse.
Seit diesem EuGH-Urteil hatte es jedoch zwei Neuerungen in rechtlicher Hinsicht gegeben hat, die nicht mit Sicherheit sagen lassen, ob das Urteil noch immer materielles Recht ist. Es handelte sich zum einen um den Zollkodex (Verordnung (EWG) Nr. 2913/92), der vermuten lässt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber das Erlöschen der Zollpflicht nicht mehr von dem festgestellten oder vermuteten Umstand abhängig machen wollte, dass die Waren nach einem Diebstahl nicht wieder in den Wirtschaftskreislauf eingegangen sind, und zum anderen um das EuGH-Urteil v. 14.7.2005, C-435/03 (British American Tobacco International und Newman Shipping, Slg. 2005, I-7077), wonach der Diebstahl von Waren keine "Lieferung von Gegenständen gegen Entgelt" im Sinne von Art. 2 der 6. EG-Richtlinie darstellt und daher nicht als solcher der MwSt unterliegen kann.
Im vorliegenden Verfahren ging es jedoch nicht um den Lieferbegriff, sondern um einen potentiellen Einfuhrtatbestand. Zu eingeführten, in das Zolllagerverfahren überführten Waren sieht Art. 71 MwStSystRL vor, dass Steuertatbestand und Steueranspruch erst zu dem Zeitpunkt eintreten, ab dem die Gegenstände diesem Verfahren nicht mehr unterliegen. Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, ob der Diebstahl von nach dem Zolllagerverfahren eingelagerten Waren geeignet ist, den Steuertatbestand und den Steueranspruch nach Art. 71 MwStSystRL eintreten zu lassen.
Entscheidung
Der EuGH entschieden, dass es unstreitig ist, dass Art. 206 des Zollkodex in Fällen, die in den Anwendungsbereich der Art. 202 und 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex fallen und daher grundsätzlich zur Entstehung einer Zollschuld hätten führen müssen, in Abweichung von diesen Vorschriften die Entstehung einer Zollschuld ausschließt, wenn der Beteiligte nachweist, dass er seine Pflichten nicht erfüllen konnte, weil die Ware aus in ihrer Natur liegenden Gründen, durch Zufall oder infolge höherer Gewalt oder mit Zustimmung der Zollbehörden vernichtet oder zerstört worden oder unwiederbringlich verloren gegangen ist. Daraus folge, dass Art. 206 des Zollkodex nur in den Fällen zur Anwendung kommen kann, in denen eine Zollschuld nach den Art. 202 und 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex entstehen kann. Art. 202 ZK sowie Art. 204 Abs. 1 Buchst. a ZK sind im Vorlagefall nach dem EuGH-Urteil jedoch nicht anwendbar.
Die Entstehung einer Zollschuld in einem Nichterhebungsverfahren ist nach dem Urteil dadurch gerechtfertigt, dass die sich physisch in einem Zolllager in der Union befindlichen Waren zollpflichtig wären, wenn sie sich nicht im Zolllager im Nichterhebungsverfahren befänden. Folglich habe ein in einem Zolllager begangener Raub oder Diebstahl zur Folge, dass diese Waren aus dem Zolllager entfernt werden, ohne verzollt worden zu sein. Die Annahme des EuGH in seinem Urteil v. 5.10.1983, verb. Rs. 186/82 und 187/82 (Esercizio Magazzini Generali und Mellina Agosta, Slg. 1983, 2951), dass bei einem Diebstahl die Ware in den Handelsverkehr der Union gelangt, sei somit immer noch zutreffend, auch wenn der Zollkodex nicht mehr den Wortlaut des neunten Erwägungsgrundes der Richtlinie 79/623 enthalte, der in dem genannten Urteil angeführt wurde.
Art. 203 Abs. 1 des Zollkodex ist nach dem Urteil somit dahin auszulegen ist, dass ein Raub von in das Zolllagerverfahren übergeführten Waren eine Entziehung dieser Waren im Sinne dieser Bestimmung darstellt, die zur Entstehung einer Einfuhrzollschuld führt, und dass Art. 206 des Zollkodex nur in Fällen Anwendung finden kann, in denen eine Zollschuld nach den Art. 202 und 204 Abs. 1 Buchst. a des Zollkodex entstehen kann.
Hinsichtlich der Entstehung der EUSt in einem solchen Fall hat der EuGH entschieden, dass Art. 70 MwStSystRL den Grundsatz aufstellt, dass Steuertatbestand und Ste...