Nach Einführung des Begriffs der ersten Tätigkeitsstätte ab 1.1.2014 hat sich – wie zu erwarten – aufgrund des hohen Streitpotentials der neuen Begrifflichkeit eine rege BFH-Rechtsprechung entwickelt, wodurch eine Reihe von Auslegungsfragen geklärt wurde.
a) Einzelfälle zum Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte
In folgenden Fällen hat der BFH das Vorliegen einer (ggf. großräumigen) ersten Tätigkeitsstätte bejaht:
- bei einem Polizeibeamten im Einsatz- und Streifendienst an seinem ihm zugeordneten Dienstsitz, den er arbeitstäglich aufsucht, um dort zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen, die er dienstrechtlich schuldet und die zu dem Berufsbild eines Polizeivollzugsbeamten gehören;
- bei einer Flugzeugführerin, die von ihrem Arbeitgeber arbeitsrechtlich einem Flughafen dauerhaft zugeordnet ist und auf dem Flughafengelände zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten erbringt, die sie als Flugzeugführerin arbeitsvertraglich schuldet;
- bei einem Arbeitnehmer, der auf einem Flughafen an wechselnden Kontrollstellen zur Durchführung von Sicherheitskontrollen eingesetzt wird:
- bei einem Gerichtsvollzieher an seinem Amtssitz;
- bei einem Postzusteller im Zustellzentrum, dem er zugeordnet ist;
- bei einem Rettungsassistenten die Rettungswache, der er zugeordnet ist, wenn er dort arbeitstäglich vor dem Einsatz auf dem Rettungsfahrzeug vorbereitende Tätigkeiten vornimmt (z.B. Überprüfung des Rettungsfahrzeugs in Bezug auf Sauberkeit und ordnungsgemäße Bestückung mit Medikamenten und sonstigem (Verbrauchs-)Material, im Bedarfsfall Reinigung sowie Bestückung des Fahrzeugs mit fehlenden Medikamenten und fehlendem Verbrauchsmaterial;
- bei grenzüberschreitender Arbeitnehmerentsendung die ortsfeste betriebliche Einrichtung des aufnehmenden Unternehmens, der der Arbeitnehmer im Rahmen eines eigenständigen Arbeitsvertrags mit dem aufnehmenden Unternehmen für die Dauer der Entsendung zugeordnet ist.
b) Besonderheiten bei Ausbildung/Studium
Als erste Tätigkeitsstätte gilt auch eine Bildungseinrichtung, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke
- eines Vollzeitstudiums oder
- einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme
aufgesucht wird (§ 9 Abs. 4 S. 8 EStG).
Eine vollzeitige Bildungsmaßnahme liegt – in Abgrenzung zu einer nur in Teilzeit durchgeführten Maßnahme – vor, wenn die berufliche Fort- oder Ausbildung typischerweise darauf ausgerichtet ist, dass sich der Steuerpflichtige ihr zeitlich vollumfänglich widmen muss und die Lerninhalte vermittelnden Veranstaltungen jederzeit besuchen kann.
Kurzzeitige Bildungsmaßnahme: Eine Bildungseinrichtung gilt auch dann als erste Tätigkeitsstätte, wenn sie vom Steuerpflichtigen im Rahmen einer nur kurzzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird. Davon ist auszugehen, wenn der Steuerpflichtige die Bildungseinrichtung anlässlich der regelmäßig zeitlich befristeten Bildungsmaßnahme
- nicht nur gelegentlich,
- sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder (dauerhaft)
aufsucht.
Keine zeitliche Mindestdauer erforderlich: Eine zeitliche Mindestdauer der Bildungsmaßnahme ist nicht erforderlich. Die Vorschrift setzt nach ihrem Wortlaut lediglich eine vollzeitige Bildungsmaßnahme außerhalb eines Dienstverhältnisses, nicht aber eine bestimmte Zeitdauer einer solchen Bildungsmaßnahme voraus.
Bei vollzeitigen Bildungsmaßnahmen, die außerhalb eines Dienstverhältnisses erfolgen, sind daher Aufwendungen für die Wege zur Bildungseinrichtung gem. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG – und damit nach Maßgabe der Entfernungspauschale – als WK anzusetzen.
Keine weitere erste Tätigkeitsstätte: Sieht die Studienordnung einer Universität vor, dass Studierende einen Teil des Studiums an einer anderen (weiteren) Hochschule (auch in Form eines Auslandssemesters) absolvieren können bzw. müssen, wird an der anderen Hochschule keine weitere erste Tätigkeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 4 S. 8 EStG begründet. Entsprechendes gilt in der Regel auch für Studierende, die im Rahmen ihres Studiums ein Praxissemester oder Praktikum ableisten können bzw. müssen und dabei ein Dienstverhältnis begründen.
c) Besonderheiten bei befristeten Arbeitsverhältnissen
Hier kommt eine unbefristete Zuordnung i.S.d. § 9 Abs. 4 S. 3 Alt. 1 EStG zu einer ersten Tätigkeitsstätte nicht in Betracht. War der Arbeitnehmer im Rahmen eines befristeten Arbeits- oder Dienstverhältnisses bereits einer ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet und wird er im weiteren Verlauf einer...