Wann greift die Entfernungspauschale?
[Ohne Titel]
Dipl.-Finw. Karl-Heinz Günther, StB
Steuerpflichtige, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielen, können beruflich veranlasste Fahrtkosten mit ihrem eigenen oder einem zur Nutzung überlassenen Pkw als Werbungskosten bei Ermittlung ihrer Einkünfte steuermindernd abziehen (§ 9 Abs. 1 S. 1 EStG). Dabei sind jedoch die gesetzlichen Abzugsbeschränkungen zur sog. Entfernungspauschale in § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, Abs. 2, und Abs. 4 EStG zu beachten; die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung hierzu ergibt sich aus dem BMF-Schreiben v. 25.11.2020 (BMF v. 25.11.2020 – IV C 5 - S 2353/19/10011 :006 – DOK 2020/1229128, BStBl. I 2020, 1228 = EStB 2020, 478 [Günther]). Nach Neuregelung des Reisekostenrechts ab 1.1.2014 hat sich insbesondere zum Begriff der "ersten Tätigkeitsstätte" im Zusammenhang mit der Anwendung bzw. Nichtanwendung der Entfernungspauschale eine rege BFH-Rechtsprechung entwickelt, auf die nachfolgend schwerpunktmäßig eingegangen wird.
1. Begriff "erste Tätigkeitsstätte"
Hat der Arbeitnehmer eine erste Tätigkeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 4 EStG, greift bei Fahrten zwischen ihr und der Wohnung des Arbeitnehmers lediglich die Entfernungspauschale, wodurch die Höhe des Werbungskostenabzugs (WK-Abzugs) begrenzt wird (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG).
Nach § 9 Abs. 4 EStG kann jeder Arbeitnehmer nur eine erste Tätigkeitsstätte (und nicht mehrere Tätigkeitsstätten) i.R.d. jeweiligen Arbeitsverhältnisses innehaben. Gegebenenfalls hat der Arbeitnehmer (z.B. als Bau- oder Montagearbeiter) aber auch keine erste Tätigkeitsstätte.
Es ist daher zunächst zu klären, ob die Voraussetzungen für die Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte vorliegen.
a) Ortsfeste betriebliche Einrichtung
Zunächst ist grundsätzlich Voraussetzung, dass es sich um eine von der Wohnung getrennte, ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten (z.B. eines Kunden) handeln muss. Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind
- räumlich zusammengefasste Sachmittel,
- die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und
- mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden.
Die Ableistung von Arbeitsbereitschafts- und Bereitschaftsruhezeiten in einer Einrichtung des Arbeitgebers ist eine Tätigkeit in einer ersten Tätigkeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 4 EStG.
Eine (großräumige) erste Tätigkeitsstätte liegt vor, wenn eine Vielzahl solcher Mittel, die für sich betrachtet selbständige betriebliche Einrichtungen darstellen können, räumlich abgrenzbar in einem organisatorischen, technischen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten stehen. Demgemäß kommt als eine solche erste Tätigkeitsstätte auch ein großflächiges und entsprechend infrastrukturell erschlossenes Gebiet (z.B. Werksanlage, Betriebsgelände, Bahnhof oder Flughafen) in Betracht.
Keine erste Tätigkeitsstätte: Nicht ortsfest sind dagegen Fahrzeuge, Flugzeuge, Schiffe. Auch das häusliche Arbeitszimmer des Arbeitnehmers ist keine Einrichtung des Arbeitgebers oder eines Dritten und kann daher keine erste Tätigkeitsstätte sein.
b) Zuordnung durch Arbeitgeber
Sodann bestimmt sich die Frage des Vorliegens einer ersten Tätigkeitsstätte nach einer eventuell vorliegenden Zuordnung des Arbeitnehmers zu einer bestimmten Tätigkeitsstätte durch den Arbeitgeber. Beachten Sie: Liegt eine solche Zuordnung nicht vor, kann sich eine erste Tätigkeitsstätte auch aus quantitativen Kriterien ergeben.
Arbeits-/dienstrechtliche Festlegung: Die Zuordnung zu einer bestimmten Tätigkeitsstätte erfolgt vorrangig anhand der arbeits- oder dienstrechtlichen Festlegungen durch den Arbeitgeber. Zu den arbeits- oder dienstrechtlichen Weisungen und Verfügungen zählen alle schriftlichen, aber auch mündlichen Absprachen. Folge der Zuordnung: Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte entsprechend zugeordnet, ist es unerheblich, in welchem Umfang er seine berufliche Tätigkeit an dieser oder auch anderen Tätigkeitsstätten ausübt, d.h. auch ein nur gelegentlicher Aufenthalt an der Tätigkeitsstätte reicht aus.
Dauerhaftigkeit der Zuordnung: Erforderlich ist jedoch, dass die Zuordnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber dauerhaften Charakter hat. Dies ist der Fall bei
- unbefristeter Zuordnung. Dies ist der Fall, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt,
- Zuordnung für die gesamte Dauer des Dienstverhältnisses,
- Zuordnung über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus.
Die Zuordnung eines Arbeitnehmers zu einer betrieblichen...