Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
1. Stellt ein Kapitalanleger einem Unternehmer unter Gewährung einer Erfolgsbeteiligung von 30 % Geldbeträge zur Verfügung, die der Unternehmer an Brokerfirmen für Börsentermingeschäfte oder an Fonds weiterleiten soll, so kann eine solche Vereinbarung eine typische stille Gesellschaft i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG begründen.
2. Für die Annahme einer stillen Gesellschaft kommt es darauf an, was die Vertragsparteien wirtschaftlich gewollt haben und ob der – unter Heranziehung aller Umstände zu ermittelnde – Vertragswille auf die Merkmale einer stillen Gesellschaft gerichtet ist.
3. Auch Renditen aus Gutschriften aus sog. "Schneeballsystemen" können zu Einnahmen aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG führen, wenn der Unternehmer bei entsprechendem Verlangen des Anlegers zur Auszahlung der gutgeschriebenen "Renditen" fähig gewesen wäre (Bestätigung der Rechtsprechung).
4. Es kommt nicht darauf an, ob der Initiator eines Schneeballsystems bei einem etwaigen Auszahlungsbegehren eines Anlegers imstande gewesen wäre, seine sämtlichen Verbindlichkeiten auf einmal auszuzahlen. Ein Missverhältnis zwischen den tatsächlich zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln und den tatsächlich bestehenden Forderungen ändert daran nichts (Bestätigung der Rechtsprechung).
Normenkette
§ 8 Abs. 1, § 11 Abs. 1 S. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG, § 230 HGB
Sachverhalt
Der Betreiber des Schneeballsystems, von dem insgesamt etwa 2 800 Kunden betroffen waren, hatte zunächst als Vermittler von Terminkontrakten mit realen Geschäften begonnen und erst nach einigen Jahren, nachdem er Verluste erlitten hatte, damit begonnen, Geschäfte zu fingieren, und fingierte Abrechnungen zu erteilen. Die klagenden Eheleute hatten sich die ihnen gutgeschriebenen Renditen zum Teil auszahlen lassen. Der nicht ausgezahlte, sondern lediglich gutgeschriebene Teil der Renditen und das investierte Kapital gingen für die Kläger durch die Insolvenz des Betreibers des Schneeballsystems verloren.
Die Klage hatte teilweise Erfolg. Das FG (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.02.2004 2 K 1550/03, Haufe-Index 1166458, EFG 2004, 1211) beurteilte lediglich die tatsächlich ausgezahlten Renditen, nicht aber die lediglich gutgeschriebenen Beträge als Einnahmen aus Kapitalvermögen. Dagegen wandten sich sowohl die Kläger als auch das FA mit der Revision.
Entscheidung
Der BFH legte auch für diesen Fall die bisher zur Beurteilung von Schneeballsystemen entwickelten Maßstäbe zugrunde. Er hob die Vorentscheidung auf und wies die Klage insgesamt ab. Der vom FG bindend festgestellte Sachverhalt, nach dem die Anlageinitiative für die Anleger erkennbar beim Betreiber des Schneeballsystems lag, erfülle insbesondere mit Rücksicht auf die von den Klägern eingeräumte Erfolgsbeteiligung von 30 % die Merkmale einer stillen Gesellschaft. Auch die gutgeschriebenen Renditen seien den Klägern zugeflossen. Alle ihre Auszahlungswünsche seien nämlich, zum Teil in beträchtlicher Höhe, vom Betreiber des Schneeballsystems in vollem Umfang und zeitnah erfüllt worden, sogar noch unmittelbar vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Hinweis
Betrügerische Schneeballsysteme können für die betroffenen Anleger zu Einkünften aus Kapitalvermögen führen. Dies führt oft zu Empörung der betroffenen Steuerpflichtigen, insbesondere dann, wenn die Steuerpflichtigen die Renditen wieder in Schneeballsystemen angelegt und letztlich ihr Kapital und die Renditen verloren haben. Die dazu in der Vergangenheit ergangene Rechtsprechung des BFH wird in der Fachliteratur zum Teil heftig angegriffen. Mit dem vorliegenden Verfahren verband sich bei manchen Autoren die Hoffnung auf eine Rechtsprechungsänderung.
Für die Beurteilung derartiger Fälle stellen sich verschiedene Rechtsfragen:
1. Welcher Sachverhalt ist maßgebend, der vom Initiator des Schneeballsystems dem Anleger vorgespiegelte Sachverhalt oder der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt? Nach der Rechtsprechung des BFH ist der für den Anleger erkennbare Sachverhalt der Besteuerung nach objektiven Maßstäben zugrunde zu legen.
2. Wie ist das Rechtsverhältnis zwischen dem Betreiber des Schneeballsystems und dem Steuerpflichtigen zu qualifizieren? Insoweit kommt es nicht darauf an, wie der Betreiber des Schneeballsystems das Rechtsverhältnis bezeichnet hat, sondern darauf, was die Vertragsparteien aus der Sicht des Anlegers nach dem objektiv verwirklichten Sachverhalt wirtschaftlich gewollt haben. Deshalb kann, wenn ein Anleger einem Unternehmer unter Gewährung einer Erfolgsbeteiligung von 30 % Geld zur Verfügung stellt, damit der Unternehmer es an Brokerfirmen für Börsentermingeschäfte oder Fonds weiterleitet, eine typische stille Gesellschaft gegeben sein.
In diesem Zusammenhang wird häufig übersehen, dass den Anlegern bis zur Höhe ihrer Einlage für ggf. auf sie entfallende Anteile an den laufenden Verlusten der Werbungskostenabzug zustehen kann. Die Berücksichtigung eines auf den typischen stillen Gesellschafter entfallenden Verlustanteils als Werbungskosten setzt voraus...